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Schneller ans Ziel kommen
CEO Gisbert Rühl im Interview
Der Traditionskonzern Klöckner & Co wandelt sich zum Plattformbetreiber und mischt den Stahlhandel auf. CEO Gisbert Rühl über E-Commerce-Mitspieler, die Nähe zu Start-ups – und warum ein Kulturwandel für die digitale Transformation wichtig ist.
Ein Beitrag aus dem Deloitte-Jahresbericht 2017/2018
E. Denison: Herr Rühl, mit Industrie 4.0 hat die deutsche Wirtschaft die große Chance, digitale Geschäftsmodelle aufzubauen – in der Produktion, in der Logistik, im Handel. Die technologische Vernetzung über Plattformen beschleunigt diese Entwicklung. Wo stehen wir aktuell?
G. Rühl: Deutschland ist in diesem Feld noch immer Vorreiter in Europa. Aber das ist nicht der richtige Maßstab. Die großen Plattformunternehmen kommen heute alle aus den USA oder zunehmend auch aus China. Im Gegensatz zu Deutschland, wo wir noch zu häufig über geschlossene Systeme sprechen, kommen aus diesen Ländern globale, offene Plattformen. Zudem haben diese Marktteilnehmer, wie beispielsweise Amazon mit der Cloud-Plattform AWS, den Vorteil, dass sie bereits die Infrastruktur für das Industrial Internet of Things (IIoT) dominieren. Es verwundert somit nicht, dass bereits heute die sensiblen Maschinendaten überwiegend auf Servern von Plattformunternehmen wie Amazon gespeichert und ausgewertet werden. Diese dominierenden Plattformanbieter investieren weiter in den Ausbau ihrer Marktposition und das nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Die Unternehmen verfolgen damit die Zielsetzung, sich „von oben“ in vertikale Wertschöpfungsketten zu integrieren.
Deutsche Unternehmen orientieren sich im Gegensatz dazu oft zu sehr an der eigenen Produkt- oder Prozesslogik. So kommt es, dass beispielsweise deutsche Maschinenbauunternehmen die Digitalisierung „von unten“ denken und realisieren. In der Konsequenz ist in Deutschland eine fragmentierte Plattformlandschaft entstanden. Ausnahmen sind aufgrund ihrer Größe Siemens mit MindSphere und die Bosch IoT Suite.
Was können wir tun, um beim Thema Industrie 4.0 im internationalen Wettbewerb zu bestehen?
Wir müssen schneller ans Ziel kommen und das schafft man kollaborativ und unter optimaler Ausnutzung aller Synergien leichter. Konsequent gedacht heißt das, dass sich die Anbieter deutscher oder europäischer IIoT-Plattformen zu einem Konsortium zusammenschließen müssten. Einen richtigen Schritt in diese Richtung hat Siemens mit „MindSphere World“ unternommen. Derzeit wird dort mit 18 überwiegend mittelständischen Maschinenbau- und Automation-Unternehmen an dem Ausbau des Siemens MindSphere IIoT-Ökosystems gearbeitet. Aber wahrscheinlich wird das allein nicht ausreichen.
Notwendig hingegen ist ein größerer Zusammenschluss möglichst auf europäischer Ebene. Zudem ist eine Öffnung der Systeme erforderlich, da geschlossene Systeme bereits heute von vielen Kunden einfach nicht mehr akzeptiert werden. Deutsche Unternehmen dürfen davor nicht länger ihre Augen verschließen und müssen ihre Selbstzufriedenheit ablegen.

Klöckner & Co hat sein Geschäftsmodell revolutioniert, die Leistungs- und Lieferkette wurde neu gedacht. Wie sind Sie die Transformation angegangen?
Wir sind ein ganzes Stück weitergekommen, aber sind noch lange nicht am Ziel. Über den Prozess hinweg haben wir viel gelernt, auch wie man mit Fehlern richtig umgeht. Beispielsweise haben wir es anfangs mit einem sehr klassischen Ansatz versucht und eine Innovationsgruppe mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen gegründet. Allerdings haben wir schnell festgestellt, dass wir aus unseren eingefahrenen Denkweisen nicht herauskommen. Sobald eine Idee vorgetragen wurde, traten Bedenkenträger mit Aussagen auf den Plan wie „Die Stahldistribution tickt anders“ oder „Das funktioniert bei uns nicht“. Ich habe mir das eine Zeit lang angesehen und die Innovationsgruppe dann kurzerhand wieder eingestampft.
Aufgegeben haben Sie aber offensichtlich nicht …
Nein, mit der Erkenntnis, dass wir frisches Blut von außen für unsere digitale Transformation benötigen, habe ich mich im Jahr 2014 auf eine Start-up-Tour nach Berlin begeben. Im Rahmen dieser Reise besuchte ich unter anderem den Coworking Space betahaus und mietete dort spontan einen Tisch. Gemeinsam mit zwei Management Trainees verbrachte ich dort einige Wochen, um mich mit der dortigen Start-up-Szene zu vernetzen. Ich wollte herausfinden, warum Start-ups eigentlich so viel schneller sind, als etablierte Unternehmen.
Auf welche Antwort sind Sie gestoßen? Was waren die wichtigsten Erkenntnisse?
Es gibt natürlich nicht die eine Antwort. Interessant ist jedoch der Weg zum Ergebnis. Start-ups verfügen in der Regel über sehr begrenzte finanzielle Mittel. Sie können es sich daher nicht leisten, an den Bedürfnissen der Kunden vorbei zu entwickeln. Daher schauen sie ihren Kunden ganz genau über die Schulter, um herauszufinden, wo deren Probleme liegen. Die auf diesen Erkenntnissen entwickelten Lösungen werden den Kunden dann schon in einem sehr frühen Stadium präsentiert und gemeinsam in einem iterativen Prozess zu einem sogenannten Minimum Viable Product weiterentwickelt. Dieses deckt zunächst nur die wichtigsten Basisfunktionalitäten ab. Mit diesem Ansatz wird die Chance, die Kundenbedürfnisse zu treffen, maximiert. Wird ein Produkt dennoch nicht vom Kunden angenommen, wird es nach dem Prinzip „fail fast, fail cheap“ verworfen.
Uns war klar, dass wir uns dem Plattformthema nur Schritt für Schritt nähern konnten und zunächst viel Know-how für den Verkauf von Stahl- und Metallprodukten über das Internet aufbauen mussten.
Wie haben Sie diesen Prozess weiter vorangetrieben und welche Ergebnisse haben Sie erzielt?
Bereits Ende 2014 gründeten wir mit kloeckner.i unsere Digitaleinheit in Berlin und begannen sofort, mit Start-up-Methoden digitale Tools wie Onlineshops und Kontraktportale zu entwickeln. In einem zweiten Schritt integrierten wir diese Tools in unser Serviceportal Kloeckner Connect als zentralen Zugriffspunkt für unsere Kunden. Mittlerweile haben wir unsere Onlineshops zu Marktplätzen ausgebaut, über die wir komplementäre Produkte von Dritten anbieten. Unser Geld verdienen wir über Gebühren und erweitern das Angebot für unsere Kunden, ohne zusätzliche Produkte auf Lager nehmen zu müssen. Aktuell erzielt der Klöckner & Co-Konzern fast ein Viertel seines Umsatzes über digitale Kanäle, was einem Jahresumsatz von rund eineinhalb Milliarden Euro entspricht.
Was war die größte Hürde auf dem Weg dorthin?
Die größte Herausforderung liegt sicher nicht auf der Technologieseite. Mit kloeckner.i haben wir in Berlin ein Team aus mittlerweile 90 Experten aufgebaut. Das Schwierigste war tatsächlich, sowohl die Kernorganisation als auch die Kunden zu überzeugen. Wenn der Vertriebsmitarbeiter aus Angst um seinen Arbeitsplatz dem Kunden offline ein attraktiveres Angebot macht als online, sind unsere digitalen Tools von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wie haben Sie es geschafft, Ängste zu nehmen und Widerstände zu beseitigen?
Wir haben intensiv mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommuniziert. Dafür mussten wir unsere interne Kommunikation im Rahmen unserer digitalen Transformation komplett umkrempeln. Früher habe ich wichtige Nachrichten per sogenannter CEO E-Mail an unsere Top-200-Führungskräfte kommuniziert. Leider haben wir aber festgestellt, dass viele Informationen auf den unteren Ebenen nur verzerrt oder bruchstückhaft angekommen sind. Mittlerweile kommuniziere ich hauptsächlich über unser internes Netzwerk Yammer komplett hierarchiefrei und interaktiv an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit habe ich zum Beispiel die Möglichkeit, unseren Vertriebsmitarbeitern zu erklären, dass sie durch die Digitalisierung von einfachen administrativen Tätigkeiten entlastet werden und mehr Zeit für das beratungsintensive Geschäft bekommen. Ich kommuniziere aber auch offen, dass wir zukünftig voraussichtlich weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen werden, wenn es uns als digitaler Vorreiter in unserer Branche nicht gelingt, Marktanteile hinzuzugewinnen. Um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fit für den Arbeitsmarkt der Zukunft zu machen, bieten wir ihnen außerdem im Rahmen unserer Digital Academy während der Arbeitszeit Online-Schulungen zum Thema Digitalisierung an. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen.
Je größer eine Plattform ist, umso attraktiver ist sie – mit zunehmender Teilnehmerzahl steigt die Chance, einen Transaktionspartner zu finden, exponentiell an.
Wann entstand die Idee von XOM Materials und welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Immerhin haben Sie mit dem Plattformkonzept Ihr zuvor geschlossenes Ökosystem geöffnet.
Bereits vor der Gründung von kloeckner.i hatten wir die Vision einer offenen Industrieplattform. Aus Kundensicht gedacht ist eine solche Plattform besonders attraktiv, da Sie als Kunde Zugriff auf ein sehr breites Produktportfolio erhalten und die Preise verschiedener Anbieter vergleichen können. Uns war aber auch klar, dass wir uns dem Plattformthema nur Schritt für Schritt nähern konnten und zunächst viel Know-how für den Verkauf von Stahl- und Metallprodukten über das Internet aufbauen mussten. Wir haben dann festgestellt, dass sich direkte Wettbewerber schwer damit tun, unter der Marke Klöckner zu verkaufen. Zudem hat das Bundeskartellamt für den Betrieb einer offenen Industrieplattform zur Auflage gemacht, dass Klöckner & Co keinen Zugriff auf wettbewerbssensitive Daten anderer Plattformteilnehmer haben darf. Daher haben wir uns dazu entschlossen, die Plattform als ein von Klöckner & Co unabhängiges Venture auszugründen. Um diese Unabhängigkeit weiter zu untermauern, planen wir, den Anteil von Klöckner & Co an XOM mittelfristig auf unter 50 Prozent zu reduzieren.
Ihre Konkurrenten sind also demnächst B2B-Plattformen wie zum Beispiel Amazon Business?
Bereits heute können Sie Standardstahlteile in kleineren Abmessungen über Plattformen wie Amazon Business bestellen. Wir verkaufen über XOM auch schwerere Teile, für die eine spezielle Stahllogistik erforderlich ist. Zudem bieten wir auch Services wie das Schneiden und weitere Bearbeitungsschritte an. In Zukunft wird sich der Online-Wettbewerb aber sicher auch in diesen Bereichen intensivieren. Es gilt daher schnell zu wachsen, um von dem sogenannten Netzwerkeffekt zu profitieren. Denn je größer eine Plattform ist, umso attraktiver ist sie – mit zunehmender Teilnehmerzahl steigt die Chance, einen Transaktionspartner zu finden, exponentiell an.
Wie geht es in Sachen Digitalisierung bei Klöckner & Co weiter?
Nachdem sich kloeckner.i in der Anfangsphase im Wesentlichen auf die Digitalisierung der Frontends zu den Kunden konzentriert hat, rücken nun unsere internen Prozesse mehr und mehr in den Fokus. Auch hier besteht noch ein erhebliches Potenzial zur Effizienzverbesserung, sodass sich die Digitalisierung zukünftig deutlich stärker in Form von Kosteneinsparungseffekten bei uns bemerkbar machen wird. Zudem reagieren wir auf den Wunsch vieler Kunden sowie weiterer Unternehmen, kloeckner.i als Digitalberater zu engagieren, und bieten die Services unserer Digitaleinheit ab 2019 für Dritte an. Auch für unsere unabhängige Industrieplattform XOM Materials verfolgen wir ehrgeizige Pläne. In Kürze wollen wir eine erste Finanzierungsrunde mit externen Investoren abschließen. Nach der sehr guten Entwicklung der Plattform in Europa ist zudem bereits im ersten Quartal 2019 der Eintritt in den US-Markt geplant.
Herr Rühl, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dr. Elisabeth Denison, Chief Strategy & Talent Officer bei Deloitte.
Umsatz 2017: 6,3 Mrd. € | Standorte: 170 in 13 Ländern | Mitarbeiter: rund 8.600 | Kunden: rund 120.000 | Gründungsjahr: 1906 | Mission: Vollständige Digitalisierung der Liefer- und Leistungskette | Umsatzanteil Digitalgeschäft 3. Quartal 2018: 23%
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