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Innovation? Der Kunde entscheidet.
Expertengespräch mit Sennheiser's COO
Mit bahnbrechenden Erfindungen im Audio-Bereich steht Sennheiser als Synonym für „Innovation made in Germany“. Wie entstehen Neuentwicklungen in der digitalen Ära? Wie setzen sich vielversprechende Ideen durch? Darüber diskutieren Peter Claussen, Chief Operating Officer bei Sennheiser, und Nicolai Andersen, Chief Innovation Officer bei Deloitte.
Nicolai Andersen: Herr Claussen, wir sitzen in der Schaltzentrale eines Unternehmens, das seit Jahren als Innovationsschmiede gilt. Auf welche Entwicklung von Sennheiser sind Sie besonders stolz?
Peter Claussen: Das ist sicherlich der Kopfhörer HD414. Er kam 1968 als allererster offener Kopfhörer heraus und eröffnete einen gesamten Markt. Ursprünglich machte der Gründer Fritz Sennheiser hauptsächlich Mikrofone, und dann kam diese wilde Idee. Das war die radikalste und eine extrem erfolgreiche Innovation.
Andersen: Ihre neue und, wie ich finde, sehr interessante Entwicklung 3D-Audio haben Sie gar nicht genannt.
Claussen: Aus einem einfachen Grund: AMBEO 3D Audio ist eine tolle Idee, aber wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sie sich am Markt durchsetzt. Und da sind wir bereits bei einer wesentlichen Erkenntnis in Bezug auf Innovation: Ob Sennheiser innovativ ist oder nicht, liegt im Auge unserer Kunden. Unternehmen können sich selbst für sehr innovativ halten, aber erst wenn der Kunde das auch so sieht, haben sie etwas erreicht. Daher lautet unsere Definition von Innovation: Ein Produkt ist brandneu und kommerziell erfolgreich.
Andersen: Es stellt sich die Frage, wie man das schafft. Dem Kunden gegenüber aufgeschlossen zu sein, ist die eine wichtige Sache. Das Produktangebot muss man außerdem schnell an die Bedürfnisse der Kunden anpassen können, das braucht Flexibilität. Aber ohne Mut, mit einer Idee auch mal in der Sackgasse zu landen, kommt man nicht weit. Lässt Ihre Unternehmenskultur Scheitern und Misserfolg zu?
Claussen: Scheitern ist bei Sennheiser kein Makel. Ausprobieren ist bei uns ein wesentlicher Bestandteil von Innovation. Generell ist Deutschland da noch nicht ganz so weit. Wir brauchen mehr Mut und Experimentierfreude. Bei Sennheiser haben wir seit mehr als 70 Jahren Spaß an Technologie und sind neugierig – egal ob als Produkt-Manager, Vertriebler oder Entwickler. An Ideen mangelt es also nicht. Die Herausforderung liegt woanders: Innovative Köpfe, deren Idee nicht umgesetzt wird, muss man weitermotivieren. Es ist sehr wichtig, eine qualifizierte Rückmeldung zu geben. Man muss eine Idee begraben können, ohne einen Scherbenhaufen zu hinterlassen.
Andersen: Mitarbeiter spielen in der Tat eine zentrale Rolle als Ideengeber. Für uns ist unternehmensübergreifende Teamarbeit sehr wichtig. Wir legen Wert auf unterschiedliche Kompetenzen und binden unsere Talente aktiv ein. Zum Beispiel suchen wir mit Innovation Challenges nach Ideen mit Potenzial. Dabei kann es auch um konkrete Herausforderungen eines Kunden gehen. Digitale Plattformen helfen uns, den Ideenaustausch zu beschleunigen.
Scheitern ist kein Makel. Ausprobieren ist bei Sennheiser ein wesentlicher Bestandteil von Innovation.
Peter Claussen, COO von Sennheiser
Claussen: Oder man fördert die Initiative der Mitarbeiter, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, sich für Projekte zu bewerben. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht, etwa mit unserer AMBEO-3D-Audio-Initiative. Daran arbeitet ein virtuelles, interdisziplinäres Team. Wenn es dann darum geht, aus virtuell reell zu machen, nutzen wir den Innovation Campus, unser neues Innovations- und Entwicklungszentrum in der Wedemark. Hier können sich die Teammitglieder für zwei, drei Monate intensiv zusammensetzen.
Andersen: Gleichzeitig brauchen Innovationen eine Öffnung der Ökosysteme. Ideen werden heutzutage ja oft in offenen Netzwerken umgesetzt. Das bringt Unternehmen verschiedene Vorteile, zum Beispiel Zugang zu externen Fähigkeiten. Holen Sie auch Geschäftspartner oder Experten jenseits Ihrer Branche mit ins Boot?
Claussen: Ursprünglich lief unser Innovationsmanagement prozessorientiert. Die Kundenanforderungen wurden gesammelt, dann wurde das Produkt zwei bis drei Jahre lang entwickelt und schließlich auf den Markt gebracht. Das hat uns erfolgreich gemacht. Heute muss man da anders herangehen. In jedem unserer Geschäftssegmente beobachten Experten den Markt und halten Ausschau nach Kooperationspartnern, etwa Start-ups. Zum Beispiel öffnen wir uns bewusst dem Ökosystem des Silicon Valley.
Andersen: Für ein mittelständisches Familienunternehmen ist es nicht gerade selbstverständlich, Kooperationen einzugehen.
Claussen: Da hat die dritte Generation der Unternehmensführung mit Andreas und Daniel Sennheiser die Zeichen der Zeit erkannt. Wir setzen bewusst auf Kooperationen. Die Idee, AMBEO 3D Audio in Smartphones zu ermöglichen, findet Anklang. Anfang 2017 wird es dazu ein erstes Consumer-Produkt geben. Gemeinsam mit dem Kamerahersteller GoPro haben wir für ihre Hero Action Cameras ein deutlich besseres Mikrofon entwickelt. Ein gutes Beispiel dafür, wie Innovationen bei uns funktionieren: Da wird schnell ein Prototyp gebaut und damit der Vergleich zur bestehenden Lösung ermöglicht. Das dauert keine zwei Monate. Die eigentliche Produktentwicklung braucht länger, schließlich steht am Ende ein hochwertiges Premiumprodukt, da machen wir keine Abstriche.
Andersen: Für uns ist die Zusammenarbeit mit Universitäten sehr fruchtbar. Externe Talente haben einen unverstellten Blick auf unsere Themen, da entstehen viele interessante Ideen. Nehmen wir unser Neuroscience Institute, mit dem wir neurowissenschaftliche Erkenntnisse in unsere Arbeit integrieren. Die Idee dazu kam von Studierenden. Man muss aktuelle Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Deswegen öffnen wir unser Unternehmen bewusst für Talente verschiedenster Disziplinen: von Naturwissenschaftlern über Mediziner bis hin zu Designern.
Claussen: Das stimmt – nur so kann man Entwicklungen früh erkennen. Der Anspruch muss sein, zu wissen, was der Kunde braucht, bevor er es selbst weiß. Wichtig ist es, Markterwartungen zu analysieren und sich mit den Auswirkungen der Megatrends zu beschäftigen. Wir haben neben unserer Forschung hier in Deutschland Think Tanks in Kalifornien, Singapur und in der Schweiz aufgebaut und haben so „unser Ohr auf der Schiene“.
Innovationen brauchen eine Öffnung der Ökosysteme. Ideen werden heutzutage in Netzwerken umgesetzt.
Nicolai Andersen, Chief Innovation Officer von Deloitte
Andersen: Die Digitalisierung ist ja einer dieser Megatrends. Sie verschiebt unter anderem den Fokus von Produkt- und Prozessinnovationen in Richtung neue Geschäftsmodelle. Ich sehe in Deutschland fast schon einen Zwang dahin. Das ist aus meiner Sicht aber nicht immer sinnvoll. Bleiben Sie eine Audiofirma oder sind Sie offen für andere Modelle?
Claussen: Wir sollten uns mit den neuen Möglichkeiten befassen. Es existiert eine Vielzahl an Chancen, Geschäftsmodelle erfolgreich zu erneuern. Auf unser Geschäft angewendet ergibt sich vielleicht eine interessante Business-Modell-Innovation.
Andersen: Sicherlich ist es interessant, gedanklich zuzulassen, dass der Aktionsraum größer wird. Bevor man etwas komplett neu aufstellt, sollte man sich aber fragen: Lassen sich bestimmte Innovationen nicht besser mit einem anderen Vertriebsmodell oder sogar mit einer anderen Marke aufziehen? Das verlieren viele aus den Augen.
Claussen: Ganz gleich, ob es um Produkte oder das Geschäftsmodell geht, Augenmaß und Balance sind bei neuen Entwicklungen entscheidend. Wir orientieren uns an unserer bewährten Innovationsmatrix. Die meisten Innovationen betreffen die Basis, unser Kerngeschäft, hier ist das Risiko überschaubar. Von dort aus richten sich Neuentwicklungen entweder an neue Kundengruppen oder stellen eine technologisch neue Lösung dar, bei jeweils steigendem Risiko. Unternehmen haben eine ureigene Motivation, ein ausgewogenes Innovationsportfolio zu entwickeln.
Andersen: Da stimme ich Ihnen zu – es gilt, die Gesamtheit der Innovationsprojekte im Auge zu haben. Das Portfolio sollte Projekte mit unterschiedlichem Risikolevel und Ertragspotenzial umfassen. Beides muss regelmäßig überprüft werden. So dürfen disruptive Ideen nicht in Konkurrenz mit Verbesserungen stehen, die kurzfristig Profitoptimierung versprechen. Und ich denke, dass man bei alldem der Marke treu bleiben und authentisch sein sollte. Das meine ich, trägt auch zum Erfolg der Sennheiser-Produkte bei. Gleichzeitig gehen Sie über geschäftsorientierte Innovationen hinaus. Ich denke da an die Streaming-Lösung für Menschen mit Hörbehinderung.
Claussen: Das ist für uns in der Tat ein extrem wichtiger Aspekt. Mit dieser barrierefreien Lösung leisten wir einen Beitrag für Inklusion. Seh- und Hörbehinderte nutzen „Mobile Connect“, um bei einem Theaterbesuch Audio-Signale von der Bühne live auf ihr Smartphone als Hörunterstützung oder Audio-Deskription zu empfangen. Für solche Lösungen haben wir als Familienunternehmen ein Faible. Übrigens kann auch eine solche „soziale Innovation“ finanziell erfolgreich sein.
Andersen: Das ist eine Stärke der Unternehmen hierzulande. Den Standort Deutschland zeichnet eine Sensibilität für gesellschaftliche, ethische Themen aus. Wir verstehen den Konsumenten in all seinen Belangen, auch in seiner Skepsis, woraus dann tolle Dinge entstehen können. Das verspricht einen neuen Weg zu nachhaltigen Innovationen – neue Lösungen, die sich direkt am Menschen orientieren. In dieser Schnittstelle zwischen wirtschaftlicher Denke und sozialen Zielen kann Innovation dann mehrfach Wert schaffen.
Das Unternehmen
Gegründet wurde die Sennheiser Electronic GmbH & Co. KG 1945 als „Laboratorium Wennebostel“ von Prof. Dr. Fritz Sennheiser. Das Unternehmen ist zu 100 Prozent in Familienbesitz und setzte 2015 682,2 Mio. Euro um. Stammsitz ist Wennebostel bei Hannover. Sennheiser ist weltweit führender Anbieter von Gesamtlösungen für elektroakustische Produkte, Systeme und Dienstleistungen. Das Produktangebot umfasst unter anderem Mikrofone, Kopfhörer, Konferenz- und Informationssysteme und drahtlose Audiotechnik. Sennheiser produziert in Deutschland, Irland und den USA. 2015 investierte das Unternehmen 46,9 Mio. Euro in Forschung und Entwicklung (ein Plus von 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Deloitte ist der Abschlussprüfer der Sennheiser Electronic GmbH & Co. KG.
Audio-Legende und Innovator
Sennheiser setzt seit seiner Gründung technologische Meilensteine: das erste Richtrohrmikrofon (50er Jahre), der offene Kopfhörer (60er Jahre), die Infrarotübertragungstechnik (70er Jahre), Multikanal-Drahtlosübertragung (80er Jahre), kopfbezogene Surroundsysteme (90er Jahre). Heute steht die Digitalisierung der Audiowelt auf der Agenda. 2016 bringt Sennheiser ein Virtual-Reality-Mikrofon für 3D-Klang auf den Markt.
Für seine Innovationsfähigkeit bekam Sennheiser den „technischen Oskar“ (Scientific & Engineering Award), den Grammy-Musikpreis sowie den Emmy-Award. Deloitte prämierte Sennheiser mit dem Axia-Award für dessen besondere Innovationskultur.
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