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CO2-Grenzwerte für OEMs: Regelkonform und gleichzeitig profitabel agieren – auch nach COVID-19 möglich?

Wie OEMs ihre Steuerung und Planung anpassen können, um zukunftsfähig zu bleiben

Neue europäische Gesetzgebungen hinsichtlich der CO2-Grenzwerte von Fahrzeugen zwingen OEMs zum Umdenken: Es ist nicht länger ausreichend, möglichst viele profitable Autos zu verkaufen – es gilt nun, auch deren CO2-Emissionen zu berücksichtigen, um Strafzahlungen und Reputationsschäden vorzubeugen. Eine Erweiterung der bisherigen Konzepte zu Steuerung und Planung ist unerlässlich, um die gestiegene Komplexität abzubilden. Insbesondere aufgrund der durch COVID-19 hervorgerufenen, abrupten Veränderungen im globalen Wirtschaftsgeschehen – beispielsweise Werksschließungen, Absatzeinbrüche und kürzlich in Deutschland beschlossene Fördermaßnahmen (Mehrwertsteuersenkungen, Kaufprämien für E-Fahrzeuge) – sehen sich OEMs gezwungen, ihre Unternehmenssteuerung und -planung entschlossen anzupassen.

Deloitte hat bereits Anfang des Jahres in einer Studie mit einem quantitativen Prognosemodell den Einfluss der strengeren CO2-Regulierung auf die Kfz-Verkäufe, die Emissionen und die zu erwartenden CO2-Strafzahlungen in der EU von 2020 bis 2026 berechnet. Als Reaktion auf die Pandemie und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die gesamte Automobilindustrie hat Deloitte nun das existierende Prognosemodell um die aktuellsten Produktions- und Absatzzahlen erweitert und die Effekte der aktuellen Situation insbesondere mit Blick auf die Einhaltung der CO2-Richtlinien untersucht. Dabei wurden auch die kürzlich beschlossenen Maßnahmen zur Mehrwertsteuersenkung und Kaufprämien von E-Fahrzeugen bereits mitabgebildet.

CO2-Grenzwerte: Der externe Druck auf OEMs steigt

Bereits seit mehreren Jahren steigt der Druck auf die europäischen OEMs kontinuierlich, die CO2-Emissionen ihrer Fahrzeuge zu reduzieren, um die regulatorischen Vorgaben einzuhalten. Bis 2030 wird aktuell mit einer Senkung der CO2-Grenzwerte um 37,5% gerechnet, was gravierende Auswirkungen auf die OEMs hat. Eine Umstellung des gesamtheitlichen Produktportfolios hin zu CO2 konformen Fahrzeugen (insbesondere E-Mobile und Plug-in-Hybride) ist dringend geboten und frühzeitig einzuleiten.

Deloitte-Studie: Die Folgen von COVID-19 erhöhen die zu erwartenden Strafzahlungen der Automobilindustrie in den Jahren 2020-2026 um knapp 36%

Welche Auswirkungen diese strengere CO2-Regulierung hat, haben wir mit einem quantitativen Prognosemodell berechnet. Das Modell führt Produktions- und Absatzzahlen der Automobildatenbank IHS sowie die von der Europäischen Umweltbehörde veröffentlichten Emissionswerte zusammen und prognostiziert Kfz-Verkäufe, Emissionen und die Einhaltung der CO2-Vorschriften in der Europäischen Union von 2020 bis 2026. Damit lässt sich für jeden OEM und jedes in der EU verkaufte Fahrzeugmodell der CO2-Ausstoß in Gramm pro Kilometer bis 2026 ermitteln und vorhersagen, ob die EU-Grenzwerte überschritten und mögliche Strafzahlungen auf die Hersteller zukommen.

Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Höhe der prognostizierten CO2-Strafzahlungen zu bestimmen, wurden die aktuellsten Produktions- und Absatzzahlen (Stand 12.05.2020) in das Prognosemodell integriert und die Unterschiede zu den Ergebnissen der im Januar veröffentlichen Studie herausgearbeitet. Ergänzend wurden für Deutschland auch bereits die aktuellen Bestrebungen der Mehrwertsteuersenkung sowie eine Kaufprämie für E-Fahrzeuge mit inkludiert. Hierzu wurde das geänderte Kaufverhalten der Kunden auf Basis aktuell verfügbarer Listenpreise sowie modellspezifischer Preiselastizitäten prognostiziert. Dabei wird angenommen, dass die Produktion von zusätzlichen Fahrzeugen (unabhängig von der Antriebsart) durch die Hersteller sichergestellt werden kann.

Zentrale Insights durch den Vergleich der Ergebnisse von Januar mit den Ergebnissen im Juni:

  • Erholung der Absatzzahlen von Corona-Pandemie wird Jahre dauern: Infolge der wochenlangen Werksschließungen und der während der europaweiten Ausgangsbeschränkungen stark eingeschränkten Vertriebsaktivitäten erwartet die europäische Automobilindustrie für 2020 einen Absatzeinbruch von über 20%. Hier können auch die spezifischen Maßnahmen in Deutschland nur geringfügig gegenwirken. Auch über das „Krisenjahr“ 2020 hinaus wird mit einem signifikant geringeren Absatzvolumen gerechnet. So erholt sich die Zahl der Autoverkäufe nur schrittweise und wird erst im Jahr 2024 wieder dem ursprünglich geplanten Absatzvolumen entsprechen.
  • Der Trend zu E-Autos trotzt der Corona-Krise und wird durch deutsche Maßnahmen zusätzlich gefördert: Während sich der Volumenrückgang in erster Linie in stark gesunkenen Absatzzahlen von traditionellen Antriebsarten (Benzin, Diesel) widerspiegelt, ist die Verkaufsprognose insbesondere für rein elektrisch betrieben Fahrzeuge immer noch positiv. Einige OEMs gehen im Vergleich zu den Erwartungen Anfang des Jahres sogar von absolut steigenden Absatzzahlen ihrer E-Autos aus. Im Vergleich zur Vorstudie steigt der Anteil der elektrifizierten Flotte am Gesamtvolumen im Jahr 2026 um über 4 Prozentpunkte auf über 38%.
    Die in Deutschland beschlossenen Maßnahmen verstärken diesen Trend kurzfristig. In 2020 ist mit einem zusätzlichen Anstieg des E-Anteils durch die neu beschlossenen Maßnahmen um 0,8 Prozentpunkte zu rechnen. Das entspricht absolut ca. 40.000 zusätzlichen Fahrzeugen. 
  • CO2 Emissionen steigen bis 2023: Trotz der optimistischen Absatzprognose in Bezug auf E-Autos steigt die Höhe der durchschnittlichen CO2-Emissionen in der EU in den kommenden Jahren. Erst ab 2024 unterschreitet der Wert der CO2-Emissionen die Prognose der Studie aus Januar 2020.
  • CO2-Strafzahlungen in 2020 verdreifachen sich: Aufgrund der in 2020 gewährten Sonderregelungen wie „Phase-In“ und „Super Credits“ können gemäß unseres Prognosemodells alle OEMs, die bereits in unserer letzten Prognose 2020 CO2-compliant waren, auch trotz der Auswirkungen von COVID-19 die CO2-Emissionsziele in 2020 erreichen. Da die erwartete Höhe der CO2-Strafzahlungen jedoch um 0,8 Mio. € auf insgesamt 1,2 Mrd. € gestiegen ist, bedeutet dies, dass die Pandemie für die sowieso schon von Strafzahlungen betroffenen OEMs eine enorm hohe, zusätzliche finanzielle Belastung darstellt. Alle hiervon betroffenen OEMs haben für das Jahr 2020 noch keine bzw. nur wenige elektrifizierte Fahrzeuge im Portfolio.
  • Erhöhte CO2-Strafzahlungen auch in den Jahren 2021 bis 2026: Während der Großteil der OEMs in 2020 Strafzahlungen insbesondere aufgrund der gewährten Übergangsregelungen (Flexibilitäten) vermeiden kann, haben in den Jahren 2021 bis 2026 mehr als die Hälfte aller betrachteten OEMs empfindliche Strafzahlungen zu erwarten. Die Höhe der in diesem Zeitraum prognostizierten CO2-Strafzahlungen liegt dabei mit ca. 10,5 Mrd. € in etwa 27% über den Ergebnissen der im Januar 2020 und damit vor COVID-19 durchgeführten Berechnungen.
  • Risiko von zusätzlichen Strafzahlungen im Falle von Produktionsverzögerungen neuer Elektro-Modelle: Um drohende CO2-Strafzahlungen zu umgehen oder zumindest deren Höhe zu minimieren, planen alle in der Studie betrachteten OEMs, ihr Portfolio an elektrifizierten Modellen im aktuellen und den kommenden Jahren kontinuierlich zu erweitern. Ein Vergleich der geplanten Termine für den Produktionsstart (SOP = „Start of Production“) neuer Elektro-Autos mit der Studie aus Januar hat gezeigt, dass bereits mehr als 20% der für 2020 geplanten SOPs in die Folgejahre verschoben werden mussten. Da die zeitliche Einhaltung der für die E-Modelle vorgesehenen SOPs insbesondere in 2020 die Grundlage für die Erreichung der CO2-Zielwerte darstellt, bergen weitere SOP-Verzögerungen infolge von COVID-19 zusätzliche Risiken für OEMs – auch für solche OEMs, welche nach derzeitigen Prognosen in 2020 Strafzahlungen vermeiden können.

Weitere Informationen und Details finden Sie in der Deloitte Studie “Cutting CO2 emissions from passenger cars” (Stand 01/2020) zum Download. Gerne stehen wir auch für einen persönlichen Austausch zu Detailfragen zur Verfügung.

Stellhebel zur Optimierung des Produktportfolios

Die gestiegenen Anforderungen an die OEMs erfordern operativ eine langfristige und kurzfristige Steuerung und Planung von CO2. Hierbei ist neben der neuen KPI insbesondere ihr Zusammenspiel mit Absatzzahlen und finanziellen Kennzahlen relevant.

Betrachtet man die Stellhebel zur Optimierung des Produktportfolios, lassen sich folgende Maßnahmen identifizieren, die zu einer verbesserten CO2-Compliance der OEMs führen:

  • Technische Produktmaßnahmen
  • Portfoliomaßnahmen
  • Mixverschiebungen von konventionell zu elektrisch
  • Preisliche Maßnahmen (Senkung / Erhöhung von Listenpreisen)
  • Kurzfristige Volumenplanung / Mixverschiebung

Der Großteil dieser Maßnahmen bedarf einer langfristigen Planung und muss frühzeitig eingeleitet werden.

Wie aus oben dargestellten Ergebnissen sichtbar wird, können staatliche Maßnahmen einen gewissen Einfluss auf Absatzzahlen ausüben. Jedoch ersetzt dies nicht die langfristige und kurzfristige Optimierung durch die OEMs.

Die langfristige Steuerung legt die Grundlagen für ein CO2-konformes Produktportfolio und damit die CO2-Grenzwert-Compliance

Langfristig wie kurzfristig ist es wichtig, dass neben den bisherigen Steuerungsgrößen (Profitabilität und Absatz) auch das Thema CO2-Emissionen in den Fokus des Steuerungsansatzes rückt. Eine kontinuierliche Abwägung zwischen Einbußen in der Profitabilität, potenziellen Strafzahlungen und Reputationsverlusten sowie zusätzlich benötigten technischen Maßnahmen ist erforderlich.

Dabei wird die Basis für ein mit CO2-Grenzwerten konformes und profitables Produktportfolio in der langfristigen Planung gesetzt – kurzfristig kann nur minimal ausgeglichen werden. Ein integrierter Prozess zur Steuerung des strategischen Produktportfolios (Langfristplanung) sowie der am Ende tatsächlich zugelassenen Fahrzeuge (Kurzfristplanung) ist essentiell, um einen gesamtheitlichen Blick auf das Thema CO2-Grenzwerte zu gewährleisten. Darüber hinaus erfordert insbesondere die aktuelle, volatile Entwicklung des Wirtschaftsgeschehens infolge der Pandemie einen erhöhten Fokus auf die kurzfristige Betrachtung unterschiedlicher Szenarien, um sich den sich laufend ändernden Gegebenheiten schnellstmöglich anpassen und effektive Gegenmaßnahmen initiieren zu können.

Ohne Systemsupport ist die Komplexität nur schwer zu managen

Ein integrierter Prozess zwischen langfristiger und kurzfristiger Steuerung impliziert die Kombination aus einer Vielzahl von Informationen aus unterschiedlichen Fachbereichen und Systemen. Diese Informationen müssen harmonisiert und miteinander verknüpft werden, um Transparenz über den aktuellen Status zu schaffen und die Simulation von Optimierungspotenzialen zu ermöglichen.

Eine gesamtheitliche Systemlösung stellt sicher, dass alle Fachbereiche über einen gemeinsamen Status sprechen („Single Source of Truth“) und entsprechende Maßnahmen gemeinschaftlich und auf Basis identischer Prämissen erarbeitet werden können.

Wie sind die gestiegenen Anforderungen in Bezug auf CO2-Grenzwerte für die OEMs umsetzbar?

Es ist unumstritten, dass europäische Automobilkonzerne in den kommenden Jahren weiterhin mit den gestiegenen Anforderungen an die Steuerung von CO2-Emissionen zu kämpfen haben. Damit einhergehende Profitabilitätseinbußen sind nur bedingt abwendbar. Dennoch ist eine Umgestaltung des Produktportfolios bereits gestartet und mittels eines gesamtheitlichen methodischen Ansatzes und entsprechender systemseitiger Unterstützung machbar.

Ausführliche Informationen dazu erhalten Sie in unserem Whitepaper „Wie zukunftsfähig ist die Automobilindustrie? Anpassungen zur CO2-konformen und gleichzeitig profitablen Steuerung und Planung“ zum Download.

Ihr Kontakt

Lydia Neuhuber
Senior Manager | Strategy & Operations
Deloitte Deutschland
lneuhuber@deloitte.de
+49 89 29036 7447