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Analysen

Interview zur Zukunft des Strommarkts: 3 Fragen an Dr. Thomas Schlaak

Wie sieht der Strommarkt im Jahr 2030 aus?

1. Herr Schlaak, die neue Deloitte-Strommarktstudie analysiert die zu erwartenden Entwicklungen bis 2030. Was sind die wesentlichen Veränderungen gegenüber der vorherigen Ausgabe mit dem Zieljahr 2025?

Das traditionelle Versorgungsgeschäft ist auch weiter stark unter Druck, die Herausforderungen sind nicht kleiner geworden. Überraschend ist die Effektivität des Auktionsmodells für Erneuerbare, der Fortschritt im Bereich Speicher (was Wirtschaftlichkeit und Einsatz angeht) sowie die Konsequenz, mit der die großen Versorger ihr Portfolio angepasst haben.

Eine der größten Veränderungen im Vergleich zur letzten Ausgabe der Strommarktstudie ist im Bereich Erzeugung sicherlich die Erholung der Großhandelspreise, getrieben durch den zunehmenden politischen Druck zur Dekarbonisierung: Eine mögliche CO2-Bepreisung ist keine Utopie mehr und der Abbau von konventionellen Überkapazitäten schreitet voran. Ein Großhandelspreis von 50-60 EUR/MWh in 2030 scheint durchaus realistisch – vor einiger Zeit noch unvorstellbar.

Erneuerbare Erzeugung wird zunehmend profitabel und dank steigender Großhandelspreise wird deren Vermarktung künftig häufiger über den Handelsmarkt erfolgen. Gleichzeitig zeigt sich, dass zentrale, konventionelle Erzeugung nicht „tot“ ist und für die Systemstabilität auch weiterhin von Bedeutung bleibt. Vergleichsweise CO2-arme, flexible Gaskraftwerke könnten – mit entsprechenden Anreizen – eine Renaissance erleben.

Im Netzgeschäft wurden die Erkenntnisse der letzten Studie nochmal bestärkt. Aufgrund der sinkenden Eigenkapital-Verzinsung tun Netzbetreiber gut daran, sich neue Einnahmequellen aus nicht-reguliertem Geschäft zu erschließen. Auch durch Investitionen in den dringend erforderlichen Netzausbau sowie die Bereitstellung angrenzender Infrastruktursysteme (z.B. Kommunikations-, Daten- und Verkehrsinfrastruktur) kann der Ergebnisdruck reduziert werden.

Im Endkundengeschäft sehen sich Versorger neuen Kundenerwartungen gegenüber. Altersunabhängig besteht ein großes Interesse an digitalen Kanälen, erwartet wird ein positives Kundenerlebnis über alle Kanäle hinweg. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen bestehende Unternehmensstrukturen angepasst werden. Unsere Kalkulationsmodelle zeigen, dass wettbewerbsfähige Servicekosten zu einer Frage der Größe werden: Durch einen kompletten Neuaufbau lassen sich die Servicekosten auf unter 10 EUR senken – das dazu nötige Investitionskapital ist bei kleineren Versorgern aber meist nicht vorhanden. Das wiederum spricht für eine Konsolidierung im Vertriebsgeschäft.

2. Welche Konsequenzen sollten Energieversorger aus diesen Veränderungen ziehen?

Die Unternehmen sollten ihr Geschäftsmodell und ihre Investitionsentscheidungen neu priorisieren und ihr Betriebsmodell noch klarer konfigurieren. Es kann sinnvoll sein, schlankere Geschäftsmodelle für unterschiedliche Marktrollen aufzusetzen (Stichwort E.On-RWE-Deal).

Fragen, mit denen sich Energieversorger beschäftigen sollten, sind zum Beispiel, wie sich das Kerngeschäft mit digitalen Prozessen verbessern lässt und wie die Kundenzufriedenheit gesteigert werden kann. Aber natürlich auch, wie das Unternehmen über das Kerngeschäft hinaus wachsen kann bzw. mit welchen neuen Geschäftsfeldern. Dafür braucht es jedoch auch neue Kompetenzen und eine Anpassung der Unternehmenskultur.

Es ist ratsam, sich lieber auf ausgewählte Themen zu konzentrieren und diese dafür mit Herzblut und Konsequenz umzusetzen, statt einen Blumenstrauß an Themen anzugreifen und am Ende ohne klare Strategie und Marktpositionierung dazustehen.

3. Mit der Übernahme der RWE-Tochter Innogy durch E.ON steht der Markt vor einer Neuordnung. Welche Folgen erwarten Sie für die Energiebranche durch diesen Schritt?

Dieser Schritt spiegelt die Neuausrichtung von Versorgern als Antwort auf die sich ändernden Marktbedingungen sehr gut wider. Das Streben nach Größe und damit auch nach Economies of Scale in der Energiebranche ist vor dem Hintergrund eines Sektors der durch hohe Kapitalintensität in der Erzeugung und im Netz sowie notwendigem Wachstum im Endkundenmarkt geprägt ist, strategisch eine logische Konsequenz. Die Abkehr von der vertikalen Integration bietet damit die Möglichkeit durch die Konsolidierung auf Wertschöpfungsebene – trotz der damit verbundenen Risiken – das Business Model der EVU profitabler aufzustellen.

Die E.ON/Innogy Transaktion könnte der Startschuss für eine Erholung der Branche sein, die unter politischem sowie regulatorischem Druck, den Folgen der Energiewende und steigendem Wettbewerb leidet. Ob die Neuaufstellung allerdings eine Blaupause für die gesamte deutsche oder gar europäische Energieindustrie ist, bleibt aber abzuwarten. Trotz der starken Fragmentierung des deutschen Energiemarktes (Deutschland ist eines der Länder mit der höchsten Anzahl an EVU) haben sich die EVU bisher gegen eine Marktkonsolidierung gesträubt. Gründe hierfür waren der Trend zur Rekommunalisierung und aber auch das Misstrauen der Verbraucher gegenüber Großkonzernen. Auf alle Fälle erhöht die Übernahme den Druck auf die anderen Marktteilnehmer.

Ich erwarte und hoffe, dass so wieder mutigere Unternehmensentscheidungen getroffen werden, damit man nicht abgehängt wird. Das bedeutet eine radikalere Sicht auf das Geschäftsportfolio, was zu Unternehmenskäufen und –verkäufen führt, als auch auf Investitionen in moderne Technologie zur Senkung der Prozesskosten und Umsetzung neuer Dienstleistungen.

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