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Die Zukunft von ESG-Ratings

Wie wird sich die Bedeutung von ESG-Ratings durch EU-Regulierungen verändern?

Aktuell spielen ESG-Ratings eine wichtige Rolle bei der Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen und werden vor allem von Investoren zur Vergleichbarkeit genutzt. Allerdings erschweren die Vielzahl an Ratingagenturen und die fehlende Standardisierung der Methoden eine genaue Interpretation der Ratings. In unserem Deloitte-Beitrag erfahren Sie, welche Rolle ESG-Ratings in einem stärker regulierten Umfeld spielen.

Mit der steigenden Nachfrage nach ESG-Daten von Unternehmen und Institutionen nimmt auch die Bedeutung transparenter und verlässlicher Daten zu, die die Bewertung möglicher Investmentoptionen möglich machen. ESG-Bewertungen sind ein Ausgangspunkt, um das Geschäftsumfeld eines Unternehmens zu verstehen und vergleichbare Mitstreiter zu identifizieren. Für die Unternehmen selbst eröffnen ESG-Ratings wiederum die Möglichkeit, Stakeholder-Beziehungen zu vertiefen, Investitionen auszubauen, Zugang zu niedrigeren Kapitalkosten zu erhalten und effektivere strategische Entscheidungen zu treffen.

Während der letzten zehn Jahre korrelierte die ESG-Leistung von Unternehmen stark mit deren Investitionswert, insbesondere dem wahrgenommenen Risikoniveau1. ESG-Daten können dazu beisteuern, die Auswirkungen von Krisen auf dem Markt abzufedern, die Erholung zu beschleunigen, die für die neue Normalität notwendigen Innovationen anzustoßen und die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Krisen zu reduzieren. 

Europa ist Vorreiter im Bereich nachhaltige Investments – mit dem steigenden Interesse am ESG-Sektor wuchs auch das Interesse an der Datengrundlage und an den ESG-Ratingsystemen, die bestimmen, was als „nachhaltig“ definiert wird. Investoren möchten Unternehmen immer öfter über den herkömmlichen Geschäftsbericht hinaus verstehen. Von Ratingagenturen zur Verfügung gestellte ESG-Daten bieten eine weitere Perspektive für die Bewertung der Gesundheit und Ausrichtung eines Unternehmens.

Es gibt keine einheitliche Methodik oder Bewertungsskala für ESG-Ratings. Stattdessen steigt die Anzahl an Ansätzen stetig und auch traditionellere Investmenthäuser und Kreditrating-Agenturen bieten ihre eigene Interpretation von ESG-Daten an. Obwohl all diese Unternehmen oft ein gemeinsames Ziel haben, setzt der Großteil für die Bewertung der ESG-Daten von Unternehmen verschiedene Methoden, Maßstäbe, Kennzahlen und Validierungsskalen ein.

Bedeutung für den M&A-Sektor

Auch in den unterschiedlichen Phasen des M&A-Zyklus gewinnt ESG für unsere Kunden an Bedeutung – und das nicht nur aus der Perspektive der Wertschöpfung (mögliche langfristige Vorteile sind etwa eine Kostenreduktion, mehr Produktivität, zusätzliche Einnahmen und ein erleichterter Zugang zu Kapital), sondern auch aufgrund veränderter Investorpräferenzen. Die Einführung von ESG-Rankings ist bereits heute für Geldgeber von Bedeutung, die ihrem Ideal entsprechend verantwortungsvoll in Unternehmen investieren möchten, die nach ESG-Prinzipien handeln.

Aus der Perspektive des M&A-Sektors können ESG-Ratings auch für den Due-Diligence-Prozess beträchtliche Vorteile bieten, da sie helfen, versteckte Risiken zu identifizieren und Bewertungen entsprechend anzupassen. Diese Bemühungen tragen zur Reduktion von Informationsasymmetrien, Förderung von Transparenz und Verbesserung der Unternehmensentwicklung nach der Fusion bzw. Übernahme bei. Außerdem können ESG-Bewertungen die Bedingungen einer Fusion oder Akquisition beeinflussen, denn Unternehmen mit einer guten Bewertung haben die Chance, bessere Konditionen oder Bewertungen zu erhalten.

Wenngleich die Zahl an Ratingagenturen auf dem Markt unentwegt zunimmt und obwohl ein und dasselbe Unternehmen von diesen oft unterschiedlich bewertet wird, scheint keines dieser Unternehmen in der Lage zu sein, das grundlegende Problem – das Fehlen eines zweckmäßigen und transparenten Benchmarking-Prozesses für die Analyse von ESG-Leistungen – zu lösen. Folglich nehmen die Forderungen nach einer standardisierten, vergleichbaren und konsistenten Methodik für die Analyse von ESG-Daten stetig zu.

Herausforderungen

Die Unmenge an Ansätzen zur Bewertung der Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens macht es Investoren schwer, diese ESG-Ratings richtig zu verstehen und einzuordnen. In der EU sind aktuell 59 ESG-Ratinganbieter aktiv2. Diese hohe Anzahl an Ratinganbietern intensiviert die fehlende Erfassung bestimmter Branchen bzw. Organisationsformen, die unzureichende Detailgenauigkeit der Daten, die Komplexität und die fehlende Transparenz der Methoden.

Ein einziges Wertpapier eines bestimmten Unternehmens könnte beispielsweise von unterschiedlichen Ratingagenturen mit 20, AAA, DD oder C+ bewertet werden. Dieser Mangel an Interpretierbarkeit hat zu einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf ESG-Ratings geführt. Bewertungen unterscheiden sich je nach Branche. Manche Ratinganbieter verwenden einen Maßstab relativ zur Branche, andere schließen den Impact der jeweiligen Industrie generell aus. Auch die Menge an Informationen und Daten, die Rating-Agenturen für die Bewertung zur Verfügung stehen, variiert deutlich.

Ein beliebtes ESG-Ratingsystem ist das MSCI-Modell, welches Unternehmen in Bezug auf 35 für den jeweiligen Industriesektor wesentliche Kernthemen bewertet. Diese Kernthemen werden anschließend nach potenziellen Auswirkungen und Unmittelbarkeit gewichtet. Die Kombination dieser beiden Faktoren ergibt eine an die Branche angepasste Punktzahl von 0 bis 10. Diese Punkte werden in eine ESG-Note übertragen, die von den Branchenbesten (AAA) bis zu den Schlusslichtern (CCC) reicht.

Ein weiteres Beispiel ist das ESG-Risikorating von Sustainalytics. Dieses basiert auf einem zweidimensionalen Wesentlichkeitsrahmen, der einerseits bewertet, wie sehr ein Unternehmen wesentlichen branchenspezifischen ESG-Risiken ausgesetzt ist und andererseits, wie gut mit diesen ESG-Risiken umgegangen wird. Die Ratingagentur bewertet 20 Kernthemen, die den wirtschaftlichen Wert eines Unternehmens erheblich beeinflussen können. ISS ESG analysiert Unternehmensratings, indem der Umgang eines Unternehmens mit ESG-Themen auf Basis von bis zu 100 Bewertungskriterien untersucht wird, aus denen ein Großteil auf den spezifischen Sektor abgestimmt ist.

Es ist problematisch, sich auf einzelne ESG-Ratinganbieter zu verlassen, da die Einstufung von Bereichen ab einem bestimmten Wert als „gut“ keinen repräsentativen Ansatz darstellt. Stattdessen sollte der Fokus auf transparente, objektive und quantitative Impact-Kennzahlen liegen, die auf stichhaltige Methodiken aufbauen.

Eine Ursache dieser Schwierigkeiten ist, dass ESG-Ratingagenturen keinen Anreiz haben, kompatible Bewertungen oder eine einheitliche Bewertungsmethodik zu entwickeln, da sie zueinander im Wettbewerb stehen. Indem sie einander widersprechen, erschweren diese Diskrepanzen den Anlegern sowohl auf Aktien- als auch auf Portfolioebene das Verständnis der Nachhaltigkeitsrisikoperformance. Dies erhöht wiederum das Risiko, dass sich Unternehmen auf die gefälligere ESG-Bewertung konzentrieren und Warnsignale, die kritischere Ratings aufzeigen könnten, missachten.

Darüber hinaus werden ESG-Ratings für ihre mangelnde Regulierung, ihre kostspieligen Honorare, den Zugang zu Daten und die mangelnde Transparenz der für die Bewertung verwendeten Methoden kritisiert. Häufig fehlt vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Zeit und das Personal, um ausreichend Ressourcen in die Beantwortung der Informationsanforderungen von ESG-Ratingagenturen zu investieren. Mit dem Wachstum des Privatsektors und der zunehmenden Bevorzugung nachhaltiger Produkte seitens der Anleger steigt auch die Nachfrage nach entsprechenden ESG-Daten. Langsam erkennen auch ESG-Ratingagenturen die Notwendigkeit, einfache und zugängliche Bewertungen für Privatunternehmen zu entwickeln. 

Was kommt auf ESG-Ratingagenturen in der EU zu?

Es überrascht nicht, dass ESG-Bewertungen für ihre Widersprüchlichkeit und Undurchsichtigkeit kritisiert werden. Vor diesem Hintergrund wurden in letzter Zeit Fortschritte in der Umsetzung einer EU-weiten Regulierung für mehr Transparenz im ESG-Ratingsektor erzielt. Zum Beispiel startete die Europäische Kommission im April 2022 eine Konsultation, um Rückmeldungen auf Maßnahmen zu erhalten, die sich mit den Problemen im ESG-Ratingmarkt befassen. Die vorgeschlagenen Schritte betrafen etwa eine Regelung bei Interessenskonflikten, minimale Offenlegungsvorschriften für die Bewertungsmethodik und ein EU-weites zentralisiertes Erfassungssystem für Anbieter. Obwohl 80 Prozent der Branche legislative Maßnahmen zuvor befürwortet hatten, lehnten die (global) führenden ESG-Ratinganbieter den Vorschlag der EU im August ab.

Eine umfassendere Rechenschaftspflicht durch die Offenlegung im Rahmen der Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFRD) macht es Ratingagenturen einfacher, auf die verfügbaren Informationen aufzubauen. Außerdem helfen standardisierte Offenlegungsvorschriften Investoren, die Integration von ESG-konformen Unternehmen in ihr Anlageportfolio effektiver zu analysieren. Durch robustere Richtlinien erhalten Investoren Zugang zu zunehmend verlässlichen und transparenten Daten, was ihnen ermöglicht gut fundierte Investitionsentscheidungen zu treffen. Im Prinzip könnte die Umsetzung solcher Richtlinien langfristig die Abhängigkeit der Investoren von Ratingagenturen reduzieren. Das International Accounting Standards Board entwickelt aktuell ein transparentes, standardisiertes ESG-Rahmenwerk für die finanzielle Berichterstattung, dass voraussichtlich die Art und Weise, wie Unternehmen derzeit über wesentliche ESG-Themen berichten, verändern wird.

Fazit

ESG-Ratings sind für Unternehmen und Investoren ein Thema, das sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene umgesetzt werden muss. Die größte Herausforderung stellt dabei weiterhin die Unbeständigkeit von ESG-Bewertungsmethoden dar, die sich aus den unterschiedlichen Zielsetzungen und Vorlieben der verschiedenen ESG-Ratingagenturen ergeben. Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass Ratingagenturen dazu übergehen, zusätzlich zur globalen Problematik des Klimawandels eine breitere Palette von Sozial- und Governance-Dimensionen zu berücksichtigen.

Die Ergebnisse von ESG-Ratingagenturen sind in verschiedenen Regionen dieser Welt weiterhin relevant. Doch die Einführung neuer Richtlinien ermöglicht einen einfacheren Zugang zu ESG-Daten und dank globaler Berichterstattungsstandards auch eine bessere Offenlegung. Diese größere Verfügbarkeit von Daten könnte es Ratingagenturen erschweren, im Wettbewerb zu bestehen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass neue Richtlinien die Abhängigkeit der Investoren von Ratingagenturen teilweise oder sogar vollständig eliminieren. 

 

1  OECD (2020): ESG Investing. Practices, Progress and Challenges, zuletzt abgerufen am 05.06.2023.

2  ESMEA European Securities and Markets Authority (2022): Outcome
of ESMA Call for Evidence on Market Characteristics of ESG Rating and Data
Providers in the EU
, zuletzt abgerufen am 05.06.2023.

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