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Fast 50 Gewinner: LANCOM im Interview

Stefan Herrlich zu Cybersecurity, SDN und Innovation „Made in Germany”

LANCOM wurde von Deloitte mit dem Sustained Excellence Award 2017 ausgezeichnet. Im Gespräch nimmt Stefan Herrlich, Geschäftsführender Gesellschafter der LANCOM Systems GmbH, Stellung zu aktuellen Themen der Digitalen Transformation.

Cyberkriminalität stellt für Unternehmen weltweit die gravierendste Bedrohung dar. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach die Netzwerksicherheit künftig weiter verbessern?

Stefan Herrlich: Aus unserer Sicht gibt es nicht den einen Ansatz, das eine Produkt oder den einen Schlüssel, um diese Herausforderung zu lösen. Vielmehr geht es um eine Kombination aus unterschiedlichen Elementen, die nahtlos ineinandergreifen müssen. Auf Seiten der Wirtschaft sind dies technische Maßnahmen und organisatorische Elemente, hinzu kommen wichtige politische Weichenstellungen.

In Bezug auf die Technik ist die stetige Weiterentwicklung von Lösungen wie Verschlüsselungstechnologien und Sicherheitsstandards entscheidend. Aktuelle Beispiele sind etwa WPA3 für die die WLAN-Netze oder neue Technologien wie SDN (Software-defined Networking), mit deren Hilfe sich komplexe Sicherheitsarchitekturen sauber aufsetzen und extrem schnell ausrollen lassen – selbst über weltweit verteilte Standorte. Durch die automatische Einrichtung der Netzwerkkomponenten entfällt das Risiko manueller Konfigurationsfehler.

Organisatorische Maßnahmen stellen den zweiten Block dar. Hier geht es einerseits darum, Awareness für Bedrohungs- und Angriffsszenarien zu schaffen und andererseits darum, IT-Sicherheitsrichtlinien im Unternehmen zu beschreiben und konsequent durchzusetzen.

Von Seiten der Politik gilt es, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Unternehmen und Privatanwender in puncto IT-Sicherheit nicht alleine gelassen werden. Ein spannender Ansatz wäre ein Gesamtpaket aus verbindlichen IT-Sicherheitsmindeststandards, gesetzlich verankerten Update-Pflichten bei Sicherheitsvorfällen sowie transparenten und nachvollziehbaren IT-Sicherheitszertifizierungen. Diese wären eine wichtige Orientierungshilfe für private und gewerbliche Nutzer vor der Anschaffung eines Produktes oder einer Lösung.

Selbstverständlich müsste ein solcher Rechtsrahmen auf europäischer Ebene entstehen. Die Bedrohungen aus dem Cyber-Raum kennen keine Grenzen. Daher glauben wir, dass es wichtig und notwendig ist, sich auf nationaler und internationaler Ebene, und hier vorrangig im Rahmen der EU, einzubringen und entsprechende Standards zu schaffen, etwa im Rahmen des EU Cybersecurity Acts. Für Deutschland würde ich mir wünschen, dass wir hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen, um den europäischen Prozess mit dem gebotenen Elan voranzutreiben.

Eine Zwischenfrage zur Technologie: Wie bewerten Sie den Ansatz, durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz künftig die Cybersecurity zu verbessern?

Stefan Herrlich: Ich denke, dass es mit Mitteln und Methoden der Künstlichen Intelligenz möglich sein wird, Bedrohungsszenarien schneller zu erkennen als bislang. Die Praxis zeigt, dass heute nur die wenigsten Unternehmen in der Lage sind, zeitnah zu erkennen, dass sie angegriffen werden oder sogar bereits angegriffen worden sind. KI als komplementäres Element kann dazu beitragen, hier schneller Gewissheit zu erlangen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Ihr Motto lautet: IT-Security made in Germany. Denken Sie, dass sich deutsche Unternehmen in diesem Bereich gegenüber internationalen Wettbewerbern besonders differenzieren können?

Stefan Herrlich: Absolut! Das zeigt tagtäglich der Dialog mit unseren Vertriebspartnern und Kunden, die uns bestätigen, dass „Made in Germany“ in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung hat. Im Kontext der IT- Sicherheit ist hier vorrangig ein Aspekt zu nennen: Vertrauenswürdigkeit. Das ist ein wertvolles und ganz besonderes Gut.

Im Gegensatz zu Herstellern aus Übersee profitieren wir hierzulande von sehr verlässlichen politischen Rahmenbedingungen, die uns die Entwicklung und Vermarktung vertrauenswürdiger IT ohne sogenannte Backdoors erlauben. Das ist viel mehr als ein technologischer Vorteil, sondern ein ganz wesentlicher Baustein zum Schutz vor Angriffen oder Sabotage über das Netz. Denn diese Backdoors, die eigentlich dafür gedacht sind, Nachrichten- oder Geheimdiensten den Zugriff auf Datenströme zu ermöglichen, werden eben auch von Cyberkriminellen genutzt.

Wir gehen sogar soweit, dass wir unseren Kunden die Backdoor-Freiheit schriftlich bestätigen. Denn wir entwickeln die Hard- und Software hier vor Ort und wissen ganz genau, was wir einbauen. Was unsere Produkte können – und was sie eben auch nicht tun. Sicherlich auch ausgelöst durch den NSA-Skandal, suchen Kunden und Partner zunehmend nach Quellen für vertrauenswürdige IT-Produkte und –Lösungen. Und als eine solche wird LANCOM von ihnen wahrgenommen.

Im Zuge der Digitalen Transformation spielt SDN (Software Defined Networking) für die Zukunftsfähigkeit der Infrastrukturlösungen eine zentrale Rolle. Wie beurteilen Sie hier die Entwicklung?

Stefan Herrlich: Das ist ein sehr wichtiges Thema, insbesondere für uns, denn Netze sind unser Kerngeschäft. Die digitale Transformation stellt die Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Prozesse werden nicht nur digital optimiert, sondern es entstehen vollkommen neue digital basierte Prozesse und Geschäftsmodelle. Was heute in weiten Teilen noch ein Hindernis in der digitalen Transformation ist, sind die starren, inflexiblen Netzwerkinfrastrukturen. Diese halten mit den darüber ablaufenden Prozessen und ihrer Veränderungsgeschwindigkeit nicht stand.

Die Agilität in Bezug auf die neuen Prozesse und Geschäftsmodelle muss sich auch in der IT-Infrastruktur niederschlagen. Daten müssen sicher und schnell, möglichst in Echtzeit, transportiert werden. SDN verwandelt vormals statische Netze in agile Infrastrukturen, die sich vollautomatisiert mit geringstem Aufwand an ständig wechselnde Anforderungen anpassen lassen. Viele unserer Kunden haben ja große Flächennetze und Filialstrukturen, die landesweit bis international weltweit unterstützt werden müssen –  da werden derartige Lösungen zu Schlüsseltechnologien für die digitale Transformation. 

Wie ist Ihre Einschätzung zum Thema Netzausbau in Deutschland – vor allem auch im Hinblick auf das IoT?

Stefan Herrlich: Ohne breitbandige, verlässliche – und flächendeckende – digitale Infrastrukturen wird Deutschland in der digitalisierten Welt nicht auf einem der vorderen Plätze mitspielen, das ist klar. Daher ist es aus unserer Sicht überfällig, dass der Netzausbau endlich mit voller Kraft vorangetrieben wird. Wir sind fest davon überzeigt, dass sich eine auf Technologieführerschaft aufgebaute Volkswirtschaft wie die unsere auf Dauer keine unterdurchschnittlichen digitalen Infrastrukturen erlauben kann. Doch genau die haben wir derzeit.

Hier gilt es, die zur Verfügung stehenden Technologien schnell und zügig bedarfsgerecht einzusetzen, etwa den flächendeckenden Glasfaserausbau, der sicher das Langfristziel sein muss. Aber auch Übergangstechnologien wie beispielsweise Super-Vectoring – durch die die Leistungsfähigkeit der heute schon bestehenden Netze massiv erhöht werden kann – spielen eine wichtige Rolle. Mit ihnen kann es ganz real gelingen, schnell und auf Basis der vorhandenen Infrastruktur überall im Land hohe Bandbreiten bereitzustellen. Sei es beim Privatanwender, aber vor allem auch bei den Geschäftskunden.

Ein weiterer Punkt ist der schnelle, unbürokratische Aufbau von Mobilfunknetzen der nächsten Generation 5G. Diese werden aus unserer Sicht für künftige drahtlose Echtzeitanwendungen eine Schlüsselrolle spielen. Denn 5G ist die erste Drahtlostechnologie, die ausreichend geringe Latenzen ermöglicht. Wir halten es zudem für wichtig, dass die Politik eine der zentralen Forderungen der Industrie aufgreift und einen Teil der 5G-Frequenzen nicht nur an die klassischen Provider vergibt, sondern direkt der Industrie zur Verfügung stellt. Damit in den Unternehmen eigene 5G-Infrastrukturen z.B. zur Realisierung von Industrie-4.0-Anwendungen in der Produktion oder für das Autonome Fahren aufgebaut werden können.

In der öffentlichen Wahrnehmung kommen Innovationen im Technologie-Bereich meist aus den USA oder Asien. Welche Chancen sehen Sie für deutsche Unternehmen, hier Akzente zu setzen?

Stefan Herrlich: Sie sagen es bereits: Hier geht es um Wahrnehmung und um Innovation im Technologiebereich – das muss man differenziert betrachten. In den Medien und der Öffentlichkeit sind Innovationen oder Lösungen aus den USA natürlich sehr präsent, siehe Facebook oder Google/ Alphabet. Hierzu haben auch die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beigetragen.

In den USA ist es beispielsweise selbstverständlich, dass bei IT-Investitionen der öffentlichen Hand ein konsequentes „America first“ zur Anwendung kommt – und das nicht erst seit Trump. Es ist dort undenkbar, dass in Behördennetzen ausländische Komponenten zum Einsatz kommen – bis hin zum expliziten Verbot, etwa für Produkte aus China. Dieser Protektionismus in Verbindung mit dem großen, natürlichen Heimatmarkt hat ein schnelles Wachstum von Technologieunternehmen in den USA begünstigt und es den Firmen erleichtert, sich aus dieser starken Position auch international weiterzuentwickeln.

In Deutschland sind Unternehmen hier aus unserer Sicht mehr oder weniger auf sich alleine gestellt. Dass diese, und das gilt auch für uns, es dennoch schaffen, technologisch mit den großen internationalen Mitbewerbern mitzuhalten, ist eine enorme Leistung, die sicherlich auch auf die lange Tradition der deutschen Ingenieurskunst zurückzuführen ist. Wenn noch klare industriepolitische Signale und wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen hinzukämen, könnte sicherlich in Zukunft auch der eine oder andere deutsche oder europäische Champion entstehen. Ganz besonders, wenn wir uns auf unsere Stärken konzentrieren. Gerade im B2B-Bereich und im Industrieumfeld, mit unseren traditionell starken Wurzeln im Maschinen- und Automobilbau, liegt sicherlich das Potential, den einen oder anderen Global Player im Industrie-4.0-Umfeld entstehen zu lassen.

Wie werden in Ihrem Unternehmen Innovationen und neue Ideen gefördert und umgesetzt?

Stefan Herrlich: Da kommen sehr viele Aspekte und Einzelelemente zusammen. Für uns ist es fundamental wichtig, dass wir mit unseren Produkten und Lösungen den Nerv der Kunden und Partner treffen und deren Herausforderungen optimal adressieren. So nutzen wir unter anderem agile Entwicklungsmethoden, die es ermöglichen, in wesentlich kürzeren Zyklen neue Funktionalitäten und Lösungen bereitzustellen als bei traditionellen Ansätzen, wo ein bis zweimal im Jahr eine neue Software-Version gleich 100 Features mitbringt.

Aber auch Personal, Prozesse und Strukturen sind hier entscheidende Aspekte: Es geht um die Offenheit, neue Ideen zuzulassen und zu diskutieren, und darum, ihnen Zeit zu geben, damit sie sich entwickeln und reifen, um dann in die Produkte einzufließen. Dazu kommt ein reger und stetiger Austausch mit Partnern, Anwenderunternehmen und Kunden. Das ist für uns ganz wichtig: wirklich den Finger am Puls der Kunden und Partner zu haben. Was bewegt diese aktuell, wo sehen sie Herausforderungen in ihrem Geschäft? Aber wir arbeiten auch regelmäßig mit Universitäten, FHs und Instituten in Forschungsprojekten zusammen, um im Schulterschluss mit der Wissenschaft neue Themen schon früh aufzugreifen und zur Praxisreife zu entwickeln.

Sustained Excellence Award Gewinner 2017

Sie wurden 2017 im Rahmen des Technology Fast 50 mit dem Sustained Excellence Award ausgezeichnet. Was hat Sie bewogen, an diesem Wettbewerb teilzunehmen und welchen Effekt hatte die Auszeichnung für Ihr Unternehmen?

Stefan Herrlich: Das war eine sehr schöne Bestätigung für uns. Wir denken, dass wir seit Gründung eine interessante, wenn nicht beeindruckende, Wachstumsgeschichte hingelegt haben. Dabei war für uns von Anfang an wichtig: wir wollen wachsen, aber dieses Wachstum geht mit Verantwortung einher. Der besondere Umstand unserer Gründung ist ja, dass wir als Management-Buyout aus der Insolvenz der ELSA AG entstanden sind. Die Verantwortung, die sich daraus ergibt, spürt man bei uns vermutlich deutlicher als bei einem Start-up, das aus dem Nichts entsteht. Die Gründungsmitglieder unter Leitung von Ralf Koenzen haben sich konsequent dafür entschieden, Wachstum mit Verantwortung zu untermauern. Und genau dafür steht ja der Award – für nachhaltiges, langfristiges Wachstum. Intern bedeutet das für unsere Mitarbeiter vor allem einen sicheren Arbeitsplatz. Für unsere Kunden und Partner wiederum bietet dies die Sicherheit, dass sie sich auf uns auch in Zukunft verlassen können. Daher war Auszeichnung für uns und vor allem für unser Team eine fantastische Bestätigung unserer Arbeit. Auch aus dem Markt erhalten wir dafür viel Anerkennung und positives Feedback.

Nachhaltigkeit bezieht sich für uns übrigens nicht nur auf das Geschäft, sondern auch auf ökologische und gesellschaftliche Aspekte. Wir haben schon früh ein professionelles Nachhaltigkeitsmanagement im Sinne einer Corporate Social Responsibility etabliert und verfolgen hier eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie. Hierbei spielt unser Ansatz „Made in Germany“ eine wichtige Rolle – denn die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards hierzulande sind im Vergleich zu Mitbewerbern, die beispielsweise in Schwellenländern produzieren, auf einem ganz anderen Niveau.

Der Preis ehrt besonders nachhaltig wachsende Unternehmen der Technologiebranche. Bitte geben Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre bisherige Entwicklung und wo Sie Wachstumschancen für die Zukunft sehen.

Stefan Herrlich: Wir sind 2002 mit etwa 20 Mitarbeitern gestartet und beschäftigen jetzt über 330 Kolleginnen und Kollegen an 3 Standorten in Deutschland. Unser Wachstum war jedes Jahr zweistellig – und das stets aus eigener Kraft, ohne Zukäufe. Wir sind in Deutschland in unserem Segment die Nummer 2 direkt hinter dem Weltmarktführer aus den USA. Während wir in den Anfangsjahren primär Kunden aus dem Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen gewinnen konnten, wandelt sich dieses Bild zusehends. Heute zählen zahlreiche Großunternehmen – bis hin zu weltweit agierenden Großkonzernen – zu den Anwendern unserer Netzwerkinfrastrukturlösungen. Mit diesem Schwung im Rücken sehen wir großes Potential im Enterprise-Markt generell, aber vor allem auch im europäischen Ausland.

Auch unser Portfolio bietet enorme Wachstumschancen: Neben der Weiterentwicklung unserer Hardware in Richtung Enterprise-Markt, beobachten wir eine rasant steigende Nachfrage nach unseren Software-defined Networking-Lösungen und Infrastructure-as-a-Service. Hinzu kommt das steigende Interesse an vertrauenswürdigen Security-Lösungen, das uns in die Hände spielt.

Stefan Herrlich, Geschäftsführender Gesellschafter LANCOM Systems GmbH