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Aktuelle arbeitsrechtliche Rechtsprechung zur bAV
Die Rechtsprechung wirkte auch in den letzten Monaten aktiv an der Fortentwicklung der betrieblichen Altersversorgung (BAV) mit. In diesem Fachbeitrag fassen wir die jüngsten arbeitsrechtlichen Entwicklungen im Bereich bAV zusammen.
1. Wirksamkeit einer Altersabstandsklausel in einer Versorgungszusage mit einer ratierlichen Kürzung von Hinterbliebenenleistungen (BAG Urt. v. 11.12.2018, 3 AZR 400/17)
In seinem Urteil vom 11.12.2018 hatte das BAG Gelegenheit, die Rahmenparameter für leistungsbeschränkende Regelungen zu Hinterbliebenenleistungen in BAV-Zusagen weiter zu vervollständigen.
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt gewährte der beklagte Arbeitgeber eine BAV-Zusage mit Hinterbliebenenleistungen. Die Versorgungsordnung bestimmte für Hinterbliebene, die mehr als 10 Jahre jünger waren als der verstorbene Arbeitnehmer, einen Abschlag auf die Versorgungsleistungen von 5% für jedes volle, über den zehnjährigen Altersabstand hinausgehende Lebensjahr des Altersunterschieds. Der Arbeitgeber gewährte der im Jahr Oktober 1945 geborenen Klägerin als Witwe des im November 1930 geborenen Arbeitnehmers Hinterbliebenenleistungen und nahm gemäß der Altersabstandsklausel eine Kürzung des Ausgangsbetrags um 20 % vor. Die Klägerin hielt die Altersabstandsklausel, wegen Verstoßes gegen das altersbedingte Diskriminierungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), für unwirksam, und machte mit ihrer Klage Hinterbliebenenleistungen in ungekürzter Höhe geltend.
Das BAG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Klägerin als Hinterbliebene zwar grundsätzlich in den Geltungsbereich des AGG falle und die Altersabstandklausel ihrer Natur nach auch nur auf ältere Arbeitnehmer anwendbar sei, sodass die Kürzung der Hinterbliebenenleistungen eine altersbedingte Ungleichbehandlung inkludiere. Die Altersabstandsklausel sei jedoch nach dem AGG gerechtfertigt (§ 10 S. 1, S. 3 Nr. 4 AGG). Der Arbeitgeber habe das legitime Interesse, die mit der Hinterbliebenenversorgung verbundenen finanziellen Risiken zu begrenzen. Dazu gehöre auch die Begrenzung finanzieller Belastungen für Fälle eines großen Altersunterschieds zwischen dem Arbeitnehmer und dem/der versorgungsbegünstigten Hinterbliebenen. Sachlich gerechtfertigt sei dies vor allem deshalb, da die eheliche Lebensgemeinschaft bei Ehepartnern mit größerem Altersunterschied gegenüber (nahezu) gleichaltrigen Ehepartnern kürzer sei und die Bezugsdauer der Hinterbliebenenrente im Vergleich höher sei. Bei einem mehr als zehnjährigen Altersabstand sei der gemeinsame Lebensabschnitt der Ehepartner darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Außerdem seien ausschließlich Ehepartner vom Ausschluss erfasst, deren Altersabstand zum Versorgungsberechtigten den üblichen Abstand übersteige. Schließlich sei die Klausel auch sachgerecht ausgestaltet, da sie bei einem mehr als zehnjährigen Altersunterschied nicht die Versorgung insgesamt ausschließt, sondern eine maßvolle schrittweise Reduzierung bewirke. Ein vollständiger Ausschluss sei erst bei einem mehr als 30-jährigen Altersabstand gegeben.
Fazit
Das BAG bestätigt mit diesem Urteil einen weiteren wirksamen Parameter zur risikosteuernden Leistungseinschränkung von Hinterbliebenenleistungen. Es fügt sich an das vom BAG bereits am 20.02.2018 abgesetzte Urteil (3 AZR 43/17) an, in dem das BAG mit vergleichbaren Erwägungen eine Altersabstandsklausel mit einem Ausschluss von Hinterbliebenenleistungen bei einem mehr als 15-jährigen Altersabstand für wirksam erachtet hat.
2. Mindesteheklausel für Hinterbliebenenleistungen (BAG Urt. v. 19.2.2019, 3 AZR 150/18)
Das BAG hat am 19. Februar 2019 (3 AZR 150/18) entschieden, dass die Verknüpfung einer Hinterbliebenenversorgung mit einer mindestens zehnjährigen Ehedauer zum Zeitpunkt des Todes des versorgungsbegünstigten Arbeitnehmers den unmittelbar Versorgungsberechtigten unangemessen benachteiligt und nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist.
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt war die Klägerin Witwe des 2015 verstorbenen Arbeitnehmers, dem sein ehemaliger Arbeitgeber eine Zusage der betrieblichen Altersversorgung erteilt hatte, die unter anderem eine Hinterbliebenenversorgung enthielt. Nach der Versorgungszusage bestand kein Anspruch auf die Hinterbliebenenleistungen, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers nicht mindestens 10 Jahre bestanden hat. Die Ehe der Klägerin bestand zum Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers fast vier Jahre. Der Arbeitgeber verweigerte die Gewährung der Hinterbliebenenleistungen mit Verweis auf die in der Versorgungszusage bestimmte Mindestehedauer.
Das BAG hat die Mindestehedauer für unwirksam erkannt und der Klage auf die Hinterbliebenenleistungen stattgegeben. Die 10-jährige Mindestehedauer benachteilige den Arbeitnehmer nach den allgemeinen gesetzlichen Maßstäben der gesetzlichen AGB-Kontrolle unangemessen, weil sie sich an einer zufälligen Zeitspanne orientiere, die keinen inneren Zusammenhang zu dem Arbeitsverhältnis oder zu dem durch die Hinterbliebenenversorgung verfolgten Zweck habe. Der Arbeitgeber könne für eine solche Mindesteheklausel zwar im Ausgangspunkt sein Interesse anführen, möglichst wenige Risiken zu übernehmen und somit auch seine Zahlungspflichten gering zu halten. Demgegenüber habe der Arbeitnehmer jedoch das Interesse, dass ihm nahestehende Personen auch nach seinem Tod finanziell versorgt werden; diese finanzielle Existenzsicherung der Hinterbliebenen sei auch der Zweck der Versorgungszusage, welche als Vertrag zugunsten Dritter gerade Personen schützen soll, die nicht Vertragspartner sind. Durch die Einschränkung der versorgungsberechtigten Personen verschaffe sich der Arbeitgeber einen Vorteil. Ist die Einschränkung begründet, muss die Klausel nicht unwirksam sein. Hier war allerdings nach Einschätzung des BAG unklar, aus welchen Gründen eine Ehe mindestens 10 Jahre bestanden haben muss, um von der Versorgungsberechtigung erfasst zu sein. Die konkrete Zahl lasse sich weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus dem Zweck der Hinterbliebenenversorgung ableiten. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass eine Ehe, die etwa neun Jahre bestand weniger schutzwürdig sei als eine Ehe, die 10 Jahre bestand. Die Mindestehedauer von 10 Jahren lasse nach Einschätzung des BAG eher einen Rückschluss darauf zu, dass der Arbeitgeber einen möglichst großen Berechtigtenkreis von der Hinterbliebenenversorgung ausschließen wollte. Damit habe der Arbeitgeber missbräuchlich eigene Interessen über die Interessen des Arbeitnehmers gestellt.
Fazit
Mit seiner Entscheidung hat das BAG erstmals eine Mindestehedauerklausel in einer Hinterbliebenenversorgungszusage für unwirksam erklärt. Dass eine gewisse Einschränkung vorliegen muss, lässt sich auch schon aus den Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwenrente bzw. Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 a SGB VI ableiten. Hier will die gesetzliche Rentenversicherung eine Versorgungsehe ausschließen und verlangt daher einen mindestens einjährigen Bestand der Ehe vor dem Tod des Versicherten. Dass hier eine Mindestehedauer von 10 Jahren vorausgesetzt wird, um eine Versorgungsehe auszuschließen, erscheint daher unverhältnismäßig. Grundsätzlich ist eine Abweichung von der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen der betrieblichen Versorgungszusage auf Grund der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers möglich. Eine derart starke Abweichung spricht allerdings für einen Missbrauch durch den Arbeitgeber. Um einem Missbrauchsvorwurf vorzubeugen, ist es daher ratsam, dass betriebliche Mindestehedauerklauseln möglichst an die gesetzliche Mindestehedauer angenähert werden und im Falle einer Abweichung entsprechend begründet werden.hung entsprechend begründet werden.
3. Sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus einer Direktversicherung (BSG Urt. v. 26.2.2019, B 12 KR 13/18 RR)
Das BSG hatte in dieser Entscheidung Gelegenheit zur Revision seiner Rechtsprechung zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Leistungen aus BAV-Zusagen im Durchführungsweg der Direktversicherung, die der Versorgungsbegünstigte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Eigenbeiträgen fortgeführt hatte.
In dem entscheidungsgegenständlichen Sachverhalt endete das der BAV-Zusage zugrunde liegende Arbeitsverhältnis im Jahr 1992 und erfolgte (erst) im Jahr 2006 eine Änderung des Versicherungsvertrags mit dem Einrücken der klagenden Arbeitnehmerin in die Stellung als Versicherungsnehmerin. Im August 2013 erhielt die Klägerin aus der Versicherung die aus der BAV-Zusage erteilte Kapitalleistung ausgezahlt; die beklagte Krankenkasse verteilte den auf die Zeit bis 2006 entfallenden Betrag auf 120 Monate und setzte darauf Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung fest. Mit der Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung der Beiträge auf die Versorgungsleistungen, die auf den Zeitraum nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fielen. Zur Begründung führte sie aus, dass die auf den Versicherungsvertrag von ihr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingezahlten Beiträge den institutionellen Rahmen der betrieblichen Altersversorgung verlassen hätten und nicht mehr der Versicherungspflicht nach § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V unterliegen. Zudem habe der Gesetzgeber mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) die betrieblichen Riesterrenten mit Wirkung zum 1.1.2018 aus der Beitragspflicht herausgenommen; mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) sei eine Ungleichbehandlung ihrer Direktversicherung mit den betrieblichen Riesterrenten nicht gerechtfertigt.
Das BSG wies die Klage ab. Der für die Beitragspflicht nach § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V maßgebliche institutionelle Rahmen der betrieblichen Altersversorgung werde bei einer Direktversicherung erst bei einem Einrücken des Arbeitnehmers in die Stellung des Versicherungsnehmers verlassen. Die Beitragspflicht sei auch nicht durch die im BRSG bestimmte Herausnahme von betrieblichen Riesterrenten aus der Beitragspflicht entfallen. Beide Betriebsrentenarten werden im Wesentlichen gleich behandelt, weil sie jeweils nur einmal der vollen Beitragspflicht unterliegen, die Riesterrenten in der Ansparphase, die übrigen Betriebsrenten in der Auszahlphase.
Fazit
Das BSG führt mit dieser Entscheidung seine formalistische Betrachtungsweise zur Abgrenzung der Beitragspflicht von Leistungen aus einer Direktversicherung fort, die auf Eigenbeiträgen des Arbeitnehmers nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhen. Betroffene Arbeitnehmer sollten bei einer Fortführung solcher Direktversicherungen nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf ein unverzügliches Einrücken in die Stellung als Versicherungsnehmer hinwirken.
4. Insolvenzrechtliche Verteilung der Haftung für BAV-Zusagen bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz (BAG Beschl. v. 16.10.2018, 3 AZR 139/17 (A))
Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 16.10.2018 den EuGH um eine Vorabentscheidung zu der Rechtsfrage ersucht, ob die von ihm in seiner bisherigen Rechtsprechung bestimmte Haftungsbeschränkung des Erwerbers in einem Betriebsübergang in der Insolvenz im Einklang mit den EU-Vorschriften zur sog. Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 2001/23/EG) steht.
Bei einem Übergang des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Betriebsübergangs tritt der Erwerber als übernehmender Arbeitgeber gemäß § 613a Abs. 1 BGB u.a. auch in die Verpflichtungen einer bestehenden BAV-Zusage ein und hat im Versorgungsfall die Leistungen aus der BAV-Zusage uneingeschränkt zu erfüllen. Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz hat das BAG dem Erwerber bisher eine Haftungsbeschränkung in der Weise zugestanden, dass er Versorgungsleistungen ausschließlich in dem Umfang der Anwartschaften zu erbringen hat, die der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient hat. Die Betriebsübergangsrichtlinie sieht eine solche Haftungsbeschränkung nicht vor.
Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber dem Kläger im Jahr 1968 eine BAV-Zusage erteilt, nach der die Höhe der Altersrente für jedes anrechnungsfähige Dienstjahr 0,5 v.H. der vom Arbeitnehmer zu einem bestimmten Stichtag vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erzielten monatlichen Bruttovergütung, höchstens jedoch - nach 45 Dienstjahren - 22,5 v.H. betrug. Im März 2009 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers ein Insolvenzverfahren eröffnet; im April 2009 ging der Betrieb im Rahmen eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Seit August 2015 erhält der Kläger von der Beklagten und vom Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) eine betriebliche Altersrente. Der PSV legte seiner Berechnung die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebliche Bruttovergütung zugrunde. Die Beklagte berücksichtigte für die Berechnung der Altersrente nur die bei ihr geleisteten Dienstjahre. Der Kläger verlangt die Zahlung der Differenz zum Gesamtrentenanspruch, der sich aus 45 anrechnungsfähigen Dienstjahren errechnet. Der Kläger hält die Beklagte für verpflichtet, ihm eine höhere Betriebsrente zu gewähren; diese müsse sich nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung auf der Basis des zum Stichtag vor dem Versorgungsfall bezogenen Gehalts unter bloßem Abzug des Betrags errechnen, den er vom PSV erhalte.
Fazit
Sollte der EuGH die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Haftungsbeschränkung für nicht vereinbar mit der Betriebsübergangsrichtlinie halten und eine unbeschränkte Haftung des Erwerbers auch bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz - unter Anrechnung der vom PSV zu übernehmenden insolvenzgeschützten Verpflichtungen - bejahen, hätte dies gravierende Auswirkungen unter anderem auf die Kalkulation des Kaufpreises des Erwerbers – und damit verbunden für die Entscheidung des Insolvenzverwalters über eine insolvenz(masse-)gerechte Fortführung des Geschäftsbetriebs der Insolvenzschuldnerin.