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Geplante Änderung von § 550 BGB
Schach-Matt für die „Schriftformkündigung“?
Der Bundesrat versucht, der zweckwidrigen Berufung auf die Schriftformwidrigkeit durch eine Gesetzesänderung Einhalt zu gebieten. Diese könnte zu einer Beseitigung bestehender Rechts-und Planungsunsicherheiten beitragen.
Aktuell liegt der Bundesregierung eine Gesetzesinitiative des Bundesrates vor, nach der das Schriftformgebot des § 550 BGB bzw. das aus einem Verstoß gegen das Schriftformgebot resultierende Kündigungsrecht der Vertragsparteien wieder auf den ursprünglichen Zweck – den Schutz des Erwerbers einer vermieteten Immobilie – reduziert werden soll. Sollte der Bundestag ein entsprechendes Gesetz beschließen, würde dies dazu führen, dass sich künftig nur noch der Erwerber einer Immobilie - zeitlich befristet - auf einen Schriftformverstoß berufen könnte. Versuchen, sich über einen behaupteten Verstoß gegen das Schriftformgebot von vereinbarten Laufzeiten zu lösen, würde so Einhalt geboten.
Der Erwerber einer vermieteten Immobilie hat ein berechtigtes Interesse daran, den Inhalt der Mietverträge zu kennen, in die er aufgrund der Bestimmung des § 566 BGB – „Kauf bricht nicht Miete“ – zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs anstelle des veräußernden Vermieters eintritt. Die mietvertraglichen Regelungen, insbesondere die vereinbarten Festlaufzeiten, sind oft ausschlaggebend für die Kaufentscheidung des Erwerbers. Aus diesem Grund werden vor dem Erwerb vermieteter Immobilien meist mehr oder weniger umfangreiche Due Diligence-Prüfungen vorgenommen, um etwaige Risiken im Hinblick auf bestehende Mietverträge als wesentliches Asset aufzudecken. Bei gewerblichen Mietobjekten kommt dabei der Ermittlung des sog. WA(U)LT (Weighted Average (Unexpired) Lease Term), also der durchschnittlichen Restlaufzeit der Mietverträge als wesentliches KPI, erhebliches Gewicht zu.
Wie oft aber kommt es vor, dass ein im Rahmen einer Due Diligence oder im Zuge der Verkaufsgespräche vom Veräußerer vorgelegter Mietvertrag unvollständig ist oder auf Mieterseite zwischenzeitlich ein Wechsel stattgefunden hat, der nicht dokumentiert wurde? Erfahrungsgemäß betrifft dies eine Vielzahl von Mietverhältnissen pro Erwerbsvorgang. Dem Erwerber unbekannte mietvertragliche Regelungen, z. B. nachträglich vereinbarte Bauverpflichtungen des Vermieters, Mietnachlässe, etc., können für den Erwerber jedoch finanziell erhebliche Auswirkungen haben.
Hierin, also im Schutz des Erwerbers vor unangenehmen Überraschungen, bestand ursprünglich der Zweck des in § 550 BGB verankerten Schriftformerfordernisses, dessen Nichteinhaltung dem Erwerber erforderlichenfalls ein besonderes Kündigungsrecht einräumt.
Mit der Zeit entwickelte sich das Schriftformerfordernis jedoch immer mehr zu einer Bestimmung, die - transaktionsunabhängig – zu erheblicher Rechtsunsicherheit führte. Dies war und ist darauf zurückzuführen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung an die Einhaltung des Schriftformerfordernisses sehr hoch waren und sind und die Bereitschaft von Vertragsbeteiligten, (behauptete) Verstöße zum Anlass für eine vorzeitige Lösung von vereinbarten Laufzeiten zu nehmen, nach Ansicht der beteiligten Kreise stetig zugenommen hat. In der Praxis wurde die Regelung des § 550 BGB von Vermietern und Mietern zunehmend dazu verwendet, um „unliebsame“ längerfristiger Mietverträge durch Kündigung zu beenden. Da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung schon nicht verschriftlichte oder nicht zum Gegenstand der einheitlichen Urkunde gemachte nachträgliche Ergänzungen häufig für einen Verstoß gegen das Schriftformgebot ausreichten, führte die Suche nach einem Kündigungsgrund oft zum Erfolg.
Auch mit den in der Kautelarpraxis entwickelten „Heilungsklauseln“ war der hiermit einhergehenden Rechtsunsicherheit aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr beizukommen.
Dies hat der Bundesrat nunmehr zum Anlass genommen, eine Gesetzgebungsinitiative einzubringen, die zum Ziel hat, die bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen bzw. die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Schriftformgebot zu begrenzen.
1. Das Schriftformerfordernis
Nach dem in §§ 550, 126 BGB geregelten Schriftformgebot, müssen bei einem Mietvertrag mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr sämtliche vertragswesentlichen Abreden schriftlich festgehalten werden. Über die Verweisung in § 578 BGB gilt das Schriftformerfordernis nicht nur für Wohnraum, sondern auch für gewerbliche Mietverhältnisse.
Die Nichteinhaltung des Schriftformgebots führt dazu, dass eine etwaig mietvertraglich vereinbarte Festlaufzeit keine Geltung beansprucht, der Mietvertrag als für unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt und das Mietverhältnis von beiden Vertragsparteien mit den gesetzlichen Fristen gekündigt werden kann, sofern eine solche Kündigung nicht treuwidrig ist. Im Übrigen bleibt der formwidrige Vertrag voll wirksam, selbst dann, wenn die Parteien einen Vertrag auf unbestimmte Zeit nicht gewollt haben und so nicht geschlossen hätten. Formwidrige Gewerberaummietverträge können mit einer Frist von sechs Monaten zum jeweiligen Quartalsende gekündigt werden. Die genannten Rechtsfolgen treten unabhängig davon ein, ob ein Wechsel im Eigentum und/oder den Personen der Beteiligten des Mietverhältnisses eingetreten ist.
Diese ausdrücklich im Gesetz angeordnete Rechtsfolge kann – je nach Marktsituation und Interessenlage – für beide Parteien angenehme oder unangenehme Konsequenzen zeitigen. So kann sich zum Beispiel der Mieter einer nicht mehr rentabel operierenden Retail-Immobilie unter Berufung auf den Formmangel lange vor dem Ende der ursprünglich vereinbarten Laufzeit - die Grundlage für die Rentabilitätsberechnungen des Vermieters war – von seinen Verpflichtungen lösen. Ein Vermieter könnte geneigt sein, ein Mietverhältnis vor Ende der vereinbarten Laufzeit zu beenden, um bei Neuvermietung einen höheren Mietzins erzielen zu können. Dies natürlich unter der Voraussetzung, dass in den vorgenannten Fällen der Vertragspartner die Treuwidrigkeit der Kündigung nicht nachweisen kann bzw. nicht gewillt ist, diese gerichtlich feststellen zu lassen.
Für Wohnraummietverhältnisse kommt dem Schriftformerfordernis aus unterschiedlichen Gründen nur eingeschränkte Bedeutung zu. So unterliegt die Befristung von Mietverhältnissen über Wohnraum ohnehin den engen Voraussetzungen des § 575 BGB und ist eine vermieterseitige Kündigung nur unter Beachtung der einschlägigen Mieterschutzbestimmungen möglich.
Anders stellt sich die Situation bei gewerblichen Mietverhältnissen dar. Hier sind befristete – und häufig langfristige - Mietverträge, häufig gepaart mit Verlängerungsoptionen zugunsten des Vermieters oder des Mieters (etwa 10 Jahre Laufzeit mit Verlängerungsoptionen von jeweils 5 Jahren), an der Tagesordnung und, wesentlich stärker als dies bei Wohnraum der Fall ist, Grundlage für Investitionsentscheidungen und wertbestimmender Faktor.
Zugleich besteht bei gewerblichen Mietverhältnissen ein signifikant höheres Risiko einer beabsichtigten oder unbeabsichtigten, erkannten oder unerkannten Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Schriftformgebot nicht nur zum Gegenstand, dass der Mietvertrag von beiden Parteien unterzeichnet werden muss. Er muss zugleich die Anforderungen an die Einheitlichkeit der Vertragsurkunde einhalten. Dies bedeutet, dass auch Anlagen – wie etwa der Grundriss des Mietobjekts – entweder in den Vertragstext inkorporiert oder mit dem Vertrag insgesamt fest verbunden werden müssen. Entsprechendes gilt für Änderungen, Nachtragsvereinbarungen, geänderte Anlagen, etc. Nicht nur bei der Neubegründung von Mietverhältnissen, insbesondere im Hinblick auf neu zu errichtende, neu errichtete oder mit Umbauten bzw. Einbauten zu versehende Mietflächen liegt hier ein erhebliches Risiko.
Dies führte und führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit und nicht selten zu einer – nach Ansicht der beteiligten Kreise - missbräuchlichen Inanspruchnahme von dem vom Gesetzgeber ursprünglich für andere Zwecke eingeräumten Kündigungsrecht.
2. Unwirksamkeit von Schriftformheilungsklauseln
Da das Schriftformerfordernis zwingend ist, also von den Vertragsparteien nicht wirksam abbedungen werden kann, hatte die Vertragspraxis in der Vergangenheit den Versuch unternommen, sich mit sog. „Schriftformheilungsklauseln“ zu behelfen. Hierbei handelt es sich zusammengefasst um vertragliche Regelungen, nach denen sich die Parteien verpflichten, etwaige Mängel der Form zu heilen, sich zur Heilung von Formmängeln zu verpflichten und/oder den Mietvertrag nicht wegen eines Verstoßes gegen das Schriftformgebot zu kündigen. Mit seiner Grundsatzentscheidung vom 27. September 2017 hat der Bundesgerichtshofs (BGH-Urteil, 27.09.2017 - VII ZR 114/16) solche Schriftformheilungsklauseln jedoch für unzulässig erklärt, da sie in Widerspruch zu § 550 BGB stehen.
3. Reformbestrebungen
Angesichts der durch die Bestimmung des § 550 BGB herbeigeführten Rechtsunsicherheit überrascht es kaum, dass wiederholt Rufe nach dem Gesetzgeber laut wurden.
Nunmehr wurde das Thema vom Bundesrat zum Gegenstand einer Gesetzgebungsinitiative gemacht, die zum Ziel hat, das Schriftformgebot bzw. das besondere Kündigungsrecht abzumildern und wieder auf den ursprünglichen Zweck – den Schutz des Erwerbers einer vermieteten Immobilie – zu reduzieren.
Hierzu hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen im September 2019 einen Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht, nach dem das durch einen Verstoß gegen das Schriftformgebot begründete Kündigungsrecht nurmehr Erwerbern des Mietobjekts zustehen, also nur im Anschluss an Transaktionen Geltung beanspruchen soll.
Nach Maßgabe des Gesetzesantrags soll die neue Regelung nur für nach dem Inkrafttreten des Gesetzes geschlossene Wohnraum- und Gewerberaummietverhältnisse gelten. Die Kündigung soll überdies nur innerhalb von drei Monaten, nach Kenntniserlangung des Erwerbers von der ohne Wahrung der erforderlichen Schriftform getroffenen Vereinbarung möglich sein. Zusätzlich sieht der Entwurf zudem eine weitere Einschränkung des Kündigungsrechts für Wohnraummietverträge vor. Schließlich soll der Mieter die Kündigung verhindern können, indem er sich mit der Fortsetzung des Mietvertrages zu den schriftlich vereinbarten Bedingungen einverstanden erklärt.
Mit der Reform wird bezweckt, mehr Rechtssicherheit für die Beteiligten des Mietverhältnisses zu schaffen und den Missbrauch des Kündigungsrechts wegen eines Schriftformmangels zu verhindern.
Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) e.V. - als eine der bedeutendsten Interessenvertretungen der Immobilienwirtschaft – hat mitgeteilt, dass er die Gesetzesinitiative ausdrücklich befürwortet. Nach Maßgabe seines Positionspapiers vom 17. Dezember 2019 würde der Verband allerdings eine noch umfassendere Lösung begrüßen - namentlich die (vollständige) Abschaffung des Schriftformgebotes für Gewerberaummietverhältnisse. Ausweislich der Begründung des Gesetzesantrags hatte dies auch das Land Nordrhein-Westfalen erwogen, war dann jedoch zu dem Schluss gelangt, dass eine Abschaffung des Schriftformgebots im Gewerbemietrecht mit den berechtigten Informationsinteressen eines Erwerbers im Hinblick auf bestehende Mietverhältnisse nicht in Einklang zu bringen wäre.
Am 20. Dezember 2019 hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Eine wesentliche Änderung gegenüber dem vom Bundesland NRW eingebrachten Vorschlag besteht dabei darin, dass nach Maßgabe des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs die neuen Regelungen auch für bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes geschlossene ungekündigte Mietverträge gelten sollen.
Nach Art. 76 Abs. 3 des Grundgesetzes muss nunmehr zunächst die Bundesregierung zur Gesetzesvorlage des Bundesrates Stellung nehmen. Mit einer solchen Stellungnahme ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Danach wird sich der Bundestag mit dem Gesetzesentwurf zu befassen haben.
Die Gesetzgebungsinitiative des Bundesrats erscheint begrüßenswert, ist sie doch geeignet, den vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten „Fehlentwicklungen“ Einhalt zu gebieten, den von den Parteien getroffenen Vereinbarungen zur Wirkung zu verhelfen und die Parteien an ihren Erklärungen festzuhalten und damit zur Rechtssicherheit beizutragen, ohne dass insoweit die berechtigten Interessen eines möglichen Erwerbers an ausreichenden und belastbaren Informationen zu bestehenden Mietverträgen missachtet würden.
Nunmehr bleibt der weitere Gang des Gesetzgebungsverfahrens abzuwarten – über weitere Entwicklungen werden wir Sie unterrichten.
Stand: Februar 2020