Heute sind wir alle Robert Kelly

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Leben - und arbeiten - mit dem Lockdown

Heute sind wir alle Robert Kelly

Vor drei Jahren amüsierten wir uns über den so genannten „BBC Dad“, den Politik-Professor Robert Kelly, der zum viralen Star wurde, weil dessen vierjährige Tochter Marian fröhlich in sein Home Office hopste und ein Interview mit BBC-Reporter James Menendez crashte. Heute sind wir alle Robert Kelly: Wir sitzen zuhause im Home Office, versuchen zu arbeiten und uns nicht vom familiären Umfeld ablenken zu lassen. Und haben so unfreiwillig eine Arbeitsweise kennengelernt, die für viele schon Alltag war.

In der Schweiz arbeiteten schon vor Corona 28% aller Arbeitnehmer mindestens einen halben Tag pro Woche mobil und ortsungebunden. Dabei hätte sogar die Hälfte aller Schweizer Beschäftigten das Potenzial gehabt, ihre Arbeit mobil zu verrichten. Von den restlichen 72% hätte dies ein Drittel in Zukunft auch gerne getan.[1] Recruiter berichteten schon in den letzten Jahren, dass Möglichkeiten für Home Office bei den Millennials und der Generation Z eine entscheidende Rolle bei der Jobwahl spielten und für Arbeitgeber ein Must-Have waren. Ohne von Zuhause aus arbeiten zu können, hätten vier von zehn – und damit ein größerer Teil als in jeder anderen Generation – einen Job nicht angenommen.[2]

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Die Kinder von Robert Kelly unterbrechen das Interview der BBC News

Corona-Krise als Digitalisierungsbeschleuniger

Die Corona-Krise wird als Digitalisierungsbeschleuniger wirken, und diesen Trend zum Home Office noch verstärken. Doch natürlich ist der Rückzug in die privaten Arbeitsräume zuhause nicht in jeder Branche möglich: Was für Büroarbeiter aus IT, Dienstleistung, Finanz- oder Versicherungswesen schnell einzurichten war, ist für Branchen wie Verkehr und Logistik, Pflege oder Gastronomie gar nicht möglich. Sie arbeiten direkt am Menschen und müssen mobil sein.

Und diejenigen, für die das Arbeiten am heimischen Schreibtisch möglich und sinnvoll ist, müssen hoffen, dass die Datenleitungen stark und stabil sind. Ich erlebe gerade bei einigen meiner Ansprechpartner in Deutschland, dass sie verzweifelt mit den geringen Bandbreiten im Home Office kämpfen, vor allem, wenn sie in einer ländlichen Region mit schlechter IT-Infrastruktur leben. Hier rächt sich der geringe Grad der Digitalisierung. Themen wie der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Umstellung auf Industrie 4.0 sind in vielen Branchen und Regionen schlichtweg verschlafen worden.

Dabei findet die Arbeit im Home Office meist am Computer statt. Und die ist abhängig von verlässlichen Datenleitungen. Aber auch die Werkzeuge zur Kommunikation müssen vorhanden sein. Vielen Firmen fällt erst jetzt auf, was dazu alles nötig ist. „Die Unternehmen stellen über das verstärkte Arbeiten im Home-Office fest, ob sie bereits über die richtigen Werkzeuge - von Kommunikationssoftware bis Cloud-Services – für das Arbeiten 4.0 verfügen", sagt Digitalisierungsexpertin Carolin Proft vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).[3] Viele, auch Schweizer Firmen, hinken hinterher, und bemerken erst jetzt: Hoppla, wir haben gar nicht die Ausstattung, die bestehende Infrastruktur ist verbesserungsfähig, wenn nicht sogar unzureichend.

Halten die Datenleitungen der Belastung statt?

Daher fragen sich viele, ob die Datenleitungen der Überlastung standhalten. Allein in der vergangenen Woche hat sich der durch Videokonferenzen verursachte Datenverkehr am weltgrößten Internetknoten in Frankfurt am Main verdoppelt, meldet die Betreiberfirma DE-CIX.[4] Die Verweildauer in Gruppentelefonaten soll nun um 1000 Prozent länger sein als zuvor. Programme wie Skype, Teams, Slack, Webex und Zoom sind die Gewinner der Stunde. Kein Wunder, dass die Zoom-Aktie in den letzten Wochen zulegte.

Viele Teilnehmer dieser Video-Meetings stellen gerade fest, dass der Austausch in diesen Besprechungen viel schneller, prägnanter und präziser abläuft. Die Menschen verzichten (noch) auf überflüssige Selbstdarstellung und ermüdende Diskussions-Dauerschleifen, unter denen Meeting bisher litten. Sinnloses wird reduziert, die Mitarbeiter konzentrieren sich auf das Wesentliche. Man muss hoffen, dass dies so bleibt.

Vielleicht freunden sich ja die Nutzer von Video-Konferenzen auch nach der Krise mit diesem Werkzeug an, statt für ein zweistündiges Meeting mal eben nach London oder Madrid zu fliegen. Wo doch schon ohne Corona das Phänomen der „Flugscham“ deutlich zunahm. Am 13. Juli 2018 vermeldete Flightradar24 einen Rekord: An diesem Freitag waren so viele Flugzeuge unterwegs wie noch nie zuvor. Der Dienst zählte weltweit insgesamt 205‘468 Flüge an diesem einen Tag. Zur Spitzenzeit waren dabei mehr als 19‘000 Flugzeuge gleichzeitig in der Luft.[5] Während wir nun zuhause sitzen und 80 Prozent dieser Flüge gerade nicht stattfinden, haben wir damit ganz nebenbei Millionen Tonnen an Kohlendioxid pro Monat eingespart. Ich rechne damit, dass der geschäftliche Flugverkehr frühere Grössenordnungen nicht mehr erreicht wird. Auch aus Kostengründen.

Persönliche Begegnungen bleiben wichtig

Doch Wirtschaft ist neben den klar definierten Abläufen, Fakten und Ergebnissen auch ein hochemotionales Geschäft, it´s a people´s business. Persönliche Kontakte, das Sich-Beschnuppern, das Gegenüber als Ganzes wahrzunehmen, das ist enorm wichtig. Die wichtigsten Entscheidungen auf Manager-Meetings sind schon oft in der informellen Kaffeepause entstanden oder beim gemeinsamen Abendessen. So etwas kann man nicht virtuell simulieren. 

Andererseits bekommt man aber auch gerade sehr persönliche Einblicke in die private Lebenswelt der Kollegen und Partner: die private Kaffeetasse, das Bücherregal, die Porträts der Liebsten, das Mobiliar werden auf einmal sichtbar und bringen einem den Kollegen und die Kollegin näher. Ausserdem kann man auch einen Virtual Lunch Table organisieren, und sich in der Mittagspause auch virtuell mit seinem Kollegen zusammensetzen. Ein Mitarbeiter einer PR-Agentur überraschte seine Kollegen sogar damit, als Pommes Frites-Tüte verkleidet in der Videokonferenz aufzutauchen. Die mutmassten, dass der kostümierte Kollege sich vielleicht eher mit dem Colonia-Virus infiziert habe und nun unter „Karneval“ leide. Man darf und muss in diesen Zeiten auch mal albern sein. Alles ist willkommen, um die Stimmung etwas zu heben.

Combating COVID-19 with resilience

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