Supplier Risk Management Studie

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Lieferanten-Risikomanagement in der deutschen Automobilindustrie

Die aktuelle Studie zeigt: Die Umsetzung ist noch ausbaufähig.

Immer enger verzahnte und komplexere Supply Chains im Automobilsektor schaffen Abhängigkeiten und erhöhen die Folgen von Störfällen auf das eigene Unternehmen. Entsprechend hoch ist die Relevanz eines umfassenden Lieferanten- Risikomanagements. Dass dieses in der deutschen Automobilindustrie jedoch noch nicht umfassend etabliert ist, belegen die Ergebnisse unserer Studie, die in Zusammenarbeit mit der Universität Friedrichshafen durchgeführt wurde.

Steigende Komplexität der Supply Chain birgt gravierende Implikationen von Störfällen im Zuliefernetzwerk

Die Komplexität der Supply Chain im Automobilsektor hat im Zuge der Umstellung auf Just-in-Time- oder Just-in-Sequence-Fertigung und der zunehmenden Globalisierung, Digitalisierung, steigender Produktindividualität und kürzeren Produktzyklen signifikant zugenommen. Diese Entwicklungen führten dazu, dass Hersteller ihre Wertschöpfungsprozesse immer enger mit denen ihrer Lieferanten verzahnt haben.

Hieraus ergibt sich das Risiko, dass sich ein Störfall direkt und teilweise existenzbedrohend auf die eigene Wertschöpfungskette auswirken kann. Die Aktualität des Themas zeigt sich regelmäßig in der medialen Berichterstattung über Produktionsunterbrechungen und wird insbesondere durch die momentane Lage im Hinblick auf potenzielle Lieferanten-Insolvenzen verstärkt.

Krisensituationen bei Automobilzulieferern gemeinsam meistern Quelle: OEM und Lieferant (02/2020)

Untersuchungsgegenstand der Studie

In diesem Umfeld von steigenden Risiken für die Supply Chain hat Deloitte in Zusammenarbeit mit der Zeppelin Universität Friedrichshafen von Juni bis August 2019 eine repräsentative Umfrage unter deutschen OEMs und Zulieferern durchgeführt. Ziel war es, in diesem Umfeld mit dem Potenzial sich weiter verschärfender Risiken für die Supply Chain, den gegenwärtigen Status des Lieferanten-Risikomanagements im Automotive-Sektor abzubilden sowie konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten.

 

Lieferanten-Risikomanagement überwiegend noch reaktiv und teilweise geringer Fokus auf finanzielle Risiken

Nahezu alle Befragten nahmen innerhalb der letzten fünf Jahre einen Anstieg des Lieferantenrisikos wahr und erwarten diese Entwicklung auch für die kommenden fünf Jahre. 

Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass Risikomanagement noch nicht flächendeckend etabliert ist und teilweise eher passiv betrieben wird:

  • 28 Prozent der Befragten überwachen ihr Lieferantenrisiko nicht, obwohl nur 16 Prozent der Befragten dieses für ihr Unternehmen als gering erachten
  • Nur 20 Prozent der Teilnehmer, die ihr Lieferantenrisiko überwachen, tun dies mit dedizierten Mitarbeitern

Auch die schwerpunktmäßige Ausrichtung des Lieferanten-Risikomanagements auf eher operative Fragestellungen kann insbesondere in der momentanen Situation zum Problem werden:

  • Für keinen der Befragten hat die finanzielle Stabilität der Lieferanten Priorität; über die Hälfte der befragten Unternehmen beobachten die finanzielle Situation ihrer Lieferanten gar nicht
  • 64 Prozent der Teilnehmer legen ihren Schwerpunkt auf Qualität und Produktion; 32 Prozent halten dieses Thema für wichtig
  • Logistische Risiken stellen für 52 Prozent der Teilnehmer den Schwerpunkt dar bzw. erachten 36 Prozent diese für wichtig
  • Für über die Hälfte der Befragten sind zudem Compliance-/ Reputations- sowie Marktrisiken wichtig

Eine wahrgenommene hohe Erfolgsrate beim Lieferanten-Risikomanagement wird in vielen Fällen nur über eine notgedrungene Anpassung der eigenen Produktion sichergestellt:

  • 92 Prozent erachten ihre Erfolgsquote mit Lieferantenrisiken als positiv
  • Die Erfolgsquote reduziert sich jedoch auf nur 32 Prozent, wenn nur Fälle ohne (oftmals kosten- und ressourcenintensive) Anpassungen des Produktionsprogramms berücksichtigt werden

Personal- und Toolausstattung noch im Aufbau und wenig Transparenz jenseits von Tier 1

Auch wenn das Lieferanten-Risikomanagement zunehmend als wichtig eingestuft wird, können die Mehrwerte aus der Nutzung auf Basis der unzureichenden Ausstattung mit Tools noch nicht vollumfänglich generiert werden:

  • 60 Prozent der Teilnehmer kommen ohne ein dediziertes Tool im Lieferanten-Risikomanagement aus; andere nutzen ein „Spezial-Tool“ (28%), Google (12%) oder nicht näher bestimmte Tools (20%)*  
  • Nur 44 Prozent der Befragten haben ein Frühwarnsystem installiert
  • Obwohl 68 Prozent der Teilnehmer es für erforderlich erachten, eine Sichtbarkeit bis Tier 3 oder darüber hinaus zu haben, können nur 16 Prozent ihr Lieferantennetzwerk bis Tier 3 beobachten

Künstliche Intelligenz  wird als der „Game Changer“ in unterschiedlichen Anwendungsgebieten bezeichnet, allerdings sind die Teilnehmer auf die Transparenz in Bezug auf den eigenen Fortschritt eher restriktiv:

  • 44 Prozent der Unternehmen geben an, bereits Künstliche Intelligenz zu nutzen
  • 72 Prozent der Teilnehmer erwarten Anwendungsfälle bei Risikoprognosen für Lieferanten und Märkte, 48 Prozent bei der Informationsbeschaffung sowie 44 Prozent bei der Interpretation der Relevanz von Information
  • 84 Prozent der Teilnehmer geben jedoch keine weiterführenden Informationen hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Anwendung

Flexible und erfahrene Krisenteams zur Behebung von Störursachen sind nur partiell auf Abruf vorhanden:

  • Nur 20 Prozent der Befragten haben Mitarbeiter in ihrer Organisation, die sich ausschließlich mit Lieferantenrisiken beschäftigen
  • Oft erfolgt erst als Reaktion auf akute Störfälle die notgedrungene Suche nach Alternativen

Fazit:
Weitere Professionalisierung des Lieferanten-Risikomanagements, auch mit erfahrenen externen Partnern, oftmals notwendig

Die Automobilindustrie erwartet eine wachsende Bedrohung ihrer Lieferkette durch steigende Lieferantenrisiken. Dennoch hält sie sich aber mit einem entsprechenden aktiven Management dieses Risikos noch zurück bzw. befindet sich dieses in vielen Fällen noch im Aufbau. Durch die Implementierung eines modernen Lieferanten-Risikomanagementsystems und den Zugriff auf erfahrene Ressourcen, die im Störfall schnell und auch international agieren, können Lieferantenrisiken effizient kontrolliert und die Störfallauswirkungen minimiert werden.

Deloitte hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von Mandanten mit entsprechenden Krisenteams erfolgreich mit operativer, finanzieller und juristischer Expertise zielorientiert und vor Ort unterstützt. 

Insbesondere die Kombination aus analytischer Expertise, finanzwirtschaftlichen Aufgabenstellungen und operativem Sachverstand bei Logistik, Produktion und Vertrieb werden von unseren Kunden als besonders wertvoll wahrgenommen.

Beim Lieferanten-Risikomanagement gibt es derzeit noch keinen umfassenden Marktstandard für eine integrierte KI-Lösung und die zugehörigen Algorithmen und Datenbanken sind für einzelne Unternehmen nur schwer zu entwickeln. Durch unsere Erfahrungen sowie entsprechende internationale Experten in den jeweiligen Kernbereichen entwickelt Deloitte momentan ein System, welches als KI-basiertes Lieferanten-Risikomanagement auf die Bedürfnisse unserer Mandanten zugeschnitten ist. Dieses verfolgt das Ziel, potenzielle Risiko-Lieferanten frühzeitig zu identifizieren und Lieferketten sichtbar zu machen. 

 

*Mehrfachnennungen eingeschlossen

Ansprechpartner der Zeppelin Universität Friedrichshafen

Univ.-Prof. Wolfgang H. Schulz
Zeppelin Universität Friedrichshafen
Lehrstuhl für Mobilität, Handel & Logistik

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