Nach einer aktuellen Entscheidung des EuGH (C-555/21) können die Mitgliedsstaaten hinsichtlich Verbraucher:innen- Hypothekar- und Immobilienkrediten (im Gegensatz zu sonstigen Verbraucherkrediten) Regelungen vorsehen, wonach bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits lediglich Zinsen und andere laufzeitabhängige Kosten, nicht aber auch laufzeitunabhängige Kosten (wie zB Bankbearbeitungsgebühren) zu reduzieren sind.
Das Unionsrecht differenziert zwischen Verbraucherkreditverträgen und Hypothekar- und Immobilienkreditverträgen mit Verbraucher:innen, die von zwei verschiedenen Richtlinien geregelt werden, der Verbraucherkredit-RL (RL 2008/48/EG) sowie der Wohnimmobilienkredit-RL für Verbraucher:innen (RL 2014/17/EU). Beide Richtlinien sehen nahezu wortident vor, dass Verbraucher:innen im Falle der vorzeitigen Rückzahlung eines Kredits das „Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits“ haben.
In Umsetzung der beiden Richtlinien sieht auch die österreichische Rechtsordnung eine Unterscheidung vor: Verbraucherkreditverträge unterliegen dem Verbraucherkreditgesetz (VKrG), Verbraucher-Hypothekar- und Immobilienkreditverträge, dh insb Kredite zur Finanzierung von Eigentum an Liegenschaften oder hypothekarisch besicherte Kredite, unterliegen dem Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG).
In der sog „Lexitor-Entscheidung“ vom 11.9.2019 (C-383/18), die die Auslegung von Art 16 Abs 1 der Verbraucherkredit-RL betroffen hat, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass unter „Gesamtkosten des Kredits“ sowohl laufzeitabhängige als auch laufzeitunabhängige Kosten zu verstehen sind. Demnach können Verbraucher:innen bei vorzeitiger Rückzahlung eines Kredits auch eine entsprechende Reduktion der laufzeitunabhängigen Kosten verlangen. Im Sinne eines hohen Verbraucher:innenschutzstandards wollte der EuGH mit dieser Entscheidung insbesondere verhindern, dass Kreditgeber:innen durch die Ausweisung möglichst vieler Kosten als „laufzeitunabhängig“, eine Reduktion der Kosten im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung umgehen können.
In Entsprechung dieser Entscheidung änderte der österreichische Gesetzgeber mit 1.1.2021 sowohl das VKrG als auch das HIKrG, sodass nicht nur – wie zuvor vorgesehen – laufzeitabhängige, sondern nunmehr auch laufzeitunabhängige Kosten bei vorzeitiger Rückzahlung eines Kredits durch eine:n Verbraucher:in entsprechend zu reduzieren sind. Dies wird in unserem Beitrag vom 13.1.2021 näher erläutert.
In der gegenständlichen Entscheidung war der EuGH nun mit der Frage konfrontiert, ob die Lexitor-Entscheidung – welche die Verbraucherkredit-RL betroffen hat – auch auf Wohnimmobilienkredite umzulegen ist, sprich ob die Mitgliedsstaaten Regelungen vorsehen müssen, die die laufzeitunabhängigen Kosten eines:einer Verbraucher:in reduzieren, wenn dieser einen Wohnimmobilienkredit vorzeitig zurückzahlt. Seit der Änderung des HIKrG ist dies in Österreich so vorgesehen, der gegenständliche Sachverhalt bezieht sich aber noch auf die Rechtslage vor der Änderung.
Der EuGH sprach aus, dass trotz des nahezu identen Wortlauts der beiden anwendbaren Richtlinien zu differenzieren ist. Eine nationale Regelung, die hinsichtlich Wohnimmobilienkrediten eine Reduktion lediglich der laufzeitabhängigen Kosten vorsieht, steht laut dem EuGH Unionsrecht nicht entgegen.
Begründend führt der EuGH ua aus, dass das Recht auf Reduktion der Kosten nicht darauf abziele, den:die Verbraucher:in in die Lage zu versetzen, in der er sich befände, wenn der Kreditvertrag für eine kürzere Laufzeit oder einen geringeren Betrag oder zu anderen Bedingungen geschlossen worden wäre. Vielmehr sei der Vertrag an die sich durch die vorzeitige Rückzahlung geänderten Umstände anzupassen. Bei Wohnimmobilienkreditverträgen sei zudem auch der Handlungsspielraum des:der Kreditgeber:in, dem:der Verbraucher:in möglichst hohe laufzeitunabhängige Kosten aufzuerlegen, wesentlich geringer. Dies va aus dem Grund, dass dem:der Verbraucher:in bei Wohnimmobilienkreditverträgen die Kosten mittels standardisierten Merkblattes (ESIS-Merkblatt) mitgeteilt werden müssen. Dieses Merkblatt sieht eine standardisierte Aufschlüsselung der Kosten vor, deren Einordnung in laufzeitabhängige oder laufzeitunabhängige Kosten notfalls auch gerichtlich überprüft werden kann.
Im Ergebnis können Mitgliedsstaaten bei Wohnimmobilienkreditverträgen – anders als bei Verbraucherkrediten – zwischen laufzeitunabhängigen und laufzeitabhängigen Kosten differenzieren, müssen dies aber nicht. Zwingend sind daher nach dem Unionsrecht lediglich Zinsen und andere laufzeitabhängige Kosten zu reduzieren, laufzeitunabhängige Kosten wie zB Bearbeitungsgebühren nicht.
Somit steht die aktuelle Rechtslage des österreichischen HIKrG im Einklang mit dem Unionsrecht; der Gesetzgeber hätte jedoch nunmehr die Möglichkeit, das HIKrG wieder zu ändern und auf die Reduktion von laufzeitabhängigen Kosten zu beschränken. Ob dies passiert, bleibt abzuwarten.
Sarah Koller-Salminger ist Rechtsanwältin bei Deloitte Legal / Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte GmbH, der österreichischen Rechtsanwaltskanzlei im globalen Deloitte Legal Netzwerk. Ihre Tätigkeitsschwerkpunkte liegen im Bereich Litigation, Gesellschaftsrecht und Banking & Finance, insbesondere in der Beratung und Vertretung von Unternehmen und Banken in Gerichtsverfahren sowie im Zusammenhang mit Finanzierungen und der Restrukturierung von Finanzierungen. Zudem ist Sarah Koller Autorin von Fachpublikationen.
Valentina Christl ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal, der österreichischen Rechtsanwaltskanzlei im globalen Deloitte Legal Netzwerk. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich Banking & Finance.