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Ansatzpunkte für den Umgang mit dem Arbeitskräftemangel
Der Fachkräftemangel zieht sich durch alle Branchen und zeigt Folgen in allen Bereichen wirtschaftlichen Handelns. Was aber können Unternehmen tun, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen?
Demografische Entwicklung
Zwar steigt die Zahl der Erwerbstätigen bis 2022 noch leicht an, die Struktur der Erwerbsbevölkerung ändert sich jedoch kontinuierlich. Der Anteil der älteren Erwerbstätigen steigt (bis 2028 auf 32.5% der Erwerbsbevölkerung; WIFO, 2019), während der Anteil der jungen Erwerbstätigen im Verhältnis abnimmt. In den letzten Jahren und verstärkt in den nun kommenden, wird die Generation der Baby Boomer die Erwerbstätigkeit in Richtung Pension verlassen und große Lücken in die Belegschaften reißen. Mittelfristig wird die Situation für Arbeitgeber:innen angespannt bleiben, mit teilweise großen Unterschieden in Bezug auf die Qualifikationsniveaus und Ausbildungsrichtungen.
Von Arbeitgeber:innen werden wir in der Beratung im Bereich Human Capital daher in letzter Zeit massiv mit der Frage konfrontiert, welche Maßnahmen ergriffen werden können.
Darauf sind wenig „schnelle“ Lösungen möglich. Im Wesentlichen sehen wir, aus Sicht des Personalmanagements, jedoch drei Arten von Handlungsmöglichkeiten:
- Unternehmen können einerseits interne Potentiale besser ausschöpfen,
- andererseits externe Potentiale gezielter ansprechen.
- Eine weitere Möglichkeit ist die Überarbeitung der Geschäftsfelder, um weniger personalintensive Felder zu Gunsten personalintensiver aufzuwerten. Innovative Lösungen sind ebenso im Bereich der Strukturen und Prozesse gefragt. Auf dieser Basis sind auch Make-or-Buy Entscheidungen neu zu bewerten.
Im Rahmen dieses Artikels wollen wir uns vor allem den Möglichkeiten im Bereich des Personalmanagements widmen.
Nutzung interner Personalressourcen
Ist es für das Unternehmen schwierig, gutes Personal über den Markt zu generieren, sollte der Fokus zunächst nach innen gehen und die Frage gestellt werden, wie gut es dem Unternehmen gelingt, Mitarbeiter:innen langfristig im Unternehmen zu halten.
Personalcontrolling-Fluktuationsdaten
Ein erster Schritt dies zu überprüfen, ist die Analyse der Fluktuationsdaten. Die Fragen, die hier gestellt werden sollten, gehen über die Quantität der jährlichen Fluktuation hinaus. Vielmehr sollte herausgefunden werden, welche Mitarbeiter:innen-Gruppen das Unternehmen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verlassen und nach welchem Zeitraum Mitarbeiter: innen gehen. Über die Frühfluktuation wird sichtbar, wie gut der Einstieg in das Unternehmen gelingt und wie effektiv Personalentwicklungsmaßnahmen bereits frühzeitig wirken.
Austrittsmanagement
Um mehr über die individuellen Gründe des Ausstiegs zu erfahren, verschafft die Einführung von strukturierten Austrittsgesprächen Klarheit: Diese Gespräche holen von gerade ausgetretenen Mitarbeiter:innen ab, warum sie das Unternehmen verlassen und welche Maßnahmen gesetzt hätten werden müssen, um sie zum Bleiben zu bewegen. Zusätzlich kann das Arbeitsverhältnis „sauber“ abgeschlossen werden, entsprechend dem Grundsatz, dass jede scheidende Mitarbeiterin und jeder scheidende Mitarbeiter, Botschafter:innen des Unternehmens sind. Verlief der Ausstieg wertschätzend, wird zukünftig wohl eher ein positives Bild über das Unternehmen in die Welt getragen werden. Zudem kann vereinbart werden in gegenseitigem Kontakt zu bleiben, um eine mögliche spätere Rückkehr nicht auszuschließen.
Retention Management-Bindungsmanagement
Warum Mitarbeiter: innen eine stabile Bindung zu einem Unternehmen bilden, kann nach dem Commitment-Konzept in 3 Gruppen eingeteilt werden:
- Kalkulatorisches Commitment versteht die Arbeitsbeziehung als Geben und Nehmen. Stimmt der Saldo bleibt man dem Unternehmen treu.
- Normatives Commitment fasst Bindungsgründe zusammen, die auf ein Verpflichtungsgefühl beruhen. Weil das Unternehmen immer beispielsweise loyal und korrekt war, möchte man das wiedergeben.
- Affektives Commitment beschreibt all jene Bindungsgründe, die aus einer positiven, emotionalen Arbeitserfahrung resultieren. Hierbei ist das Betriebsklima ebenso relevant, wie auch die Zusammenarbeit mit der Führungskraft.
Diese Commitmentfaktoren erzeugen eine unterschiedlich starke Bindungswirkung und haben unterschiedlich starken Einfluss auf die Arbeitsleistung. So wird dem kalkulatorischem Commitment die geringste Bindungswirkung zugesprochen, denn würde ein besserer Gegenwert für die Arbeit in einem anderen Unternehmen angeboten, würde der:die Arbeitnehmer:in einen Wechsel in Betracht ziehen.
Bessere Ansatzpunkte stellen hier das affektive und das normative Commitment dar.
Bindungsfaktoren und deren Bewertung aus Sicht der Mitarbeiter:innen können am besten über Mitarbeiter:innen-Befragungen erhoben werden. Günstigstenfalls wurden auch gleich Ideen und Ansätze aus Sicht der Mitarbeiter:innen erhoben.
Maßnahmen zu Stärkung der Mitarbeiter:innenbindung: Führung und Sinn
Den größten Hebel für die Mitarbeiter:innenbindung stellt die Führungsarbeit in einem Unternehmen dar. Dabei ist jedoch nicht nur die Einzelleistung einer Führungskraft gemeint, sondern die Werthaltung, Kontinuität und Glaubwürdigkeit der Führungsarbeit im Kontext der Gesamtorganisation. Eine klare und transparente Werthaltung in Richtung der Unternehmensumwelten und der Mitarbeiter:innen ist hier eine unabdingbare Voraussetzung. Darauf aufbauend, sollten Führungskräfte ein wertschätzendes und reflektiertes Kommunikationsverhalten zeigen, die Rahmenbedingungen der Arbeit sichern und für die Zusammenarbeit in ihrem Team Verantwortung übernehmen.
Vor allem die jüngsten Generationen (sogenannte Generationen Z und Alpha) suchen immer stärker nach Beschäftigung in Unternehmen, die einen wertvollen Beitrag für Gemeinschaft und Umwelt leisten und in denen sie sinnstiftende Arbeit verrichten können. (Deloitte Millenial Survey 2021).
Arbeitsgestaltung und Entwicklung
Weitere Hebel bestehen in der altersgerechten Gestaltung der Arbeit, um ältere Mitarbeiter:innen bis zum tatsächlichen Pensionsantrittsalter im Unternehmen halten zu können und Jungen ausreichende Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Balance zwischen Privatleben und Arbeit, die für Mitarbeiter:innen in Abstufungen in jeder Altersgruppe an Bedeutung gewinnt, erfordert zudem eine höhere Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Arbeitsorte.
Um Kontinuität in der Arbeitsbelastung zu unterstützen und überlastungsbedingte Austritte zu vermeiden, kommt einer umsichtigen und kontinuierlichen Nachfolgeplanung Bedeutung zu. Das Wort „Skill Gap“ geistert bereits seit einiger Zeit durch die Presse und beschreibt eine Situation, die einen Verlust von Wissen bei gleichzeitiger unzureichender Vorbereitung der Nachfolge meint.
Das sind nur einige wenige Ansatzpunkte für ein wirkungsvolles Bindungsmanagement. Welche spezifischen Ansatzpunkte in Ihrem Unternehmen vorhanden sind, finden Sie in Mitarbeiter:innen-Befragungen und in strukturierten Mitarbeiter:innen-Gesprächen heraus.
Ansprechen externer Potentiale: Employer Branding
Haben Sie die spezifischen Bindungsfaktoren in Ihrem Unternehmen erkannt, können Sie Ihre Arbeitgeber:innenmarke darauf aufbauen und Arbeitgeber:innenbotschaften formulieren. Wichtig ist jedoch sich zunächst die Frage zu stellen, welche Arbeitnehmer:innen Sie ansprechen müssen, um zukünftige Herausforderungen meistern zu können. Daraus sollten Sie ein möglichst genaues Bild Ihrer unterschiedlichen Zielgruppen am Arbeitsmarkt entwickeln und ein grundsätzliches Verständnis für diese Gruppen besitzen. Möglicherweise haben Sie im Unternehmen Mitarbeiter:innen, die dieser Gruppe entsprechen und Sie dabei unterstützen.
Zudem ist zu überlegen, mittels welcher Kanäle und welcher Sprache Sie diese Gruppen erreichen können: Wollen Sie beispielsweise eine bestimmte Zielgruppe für die Lehre begeistern, werden Sie überlegen müssen in welcher Sprache Sie Ihre Botschaften über beispielsweise Social Media Kanäle transportieren (dazu auch: Deloitte Youth Pulse Check)
Der demografische Wandel ist „gekommen, um zu bleiben“, daher ist es sinnvoll, sowohl auf operativer als auch auf strategischer Ebene rasch zu agieren, um Folgewirkungen vom Unternehmen abzuwenden.