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Der Weg zu Swiss GAAP FER – Eine strategische Frage
Viele Unternehmungen in der Schweiz überlegen sich, ihren Rechnungslegungsstandard von IFRS auf Swiss GAAP FER umzustellen. Die Auswirkungen dieses Entscheids können vielfältig sein und sind mit Unsicherheiten verbunden. Einige Entscheidungsträger fragen sich zum Beispiel, wie die Umstellung von den Investoren aufgenommen werden und ob sich die in Aussicht gestellten Vereinfachungen effektiv in der Praxis lohnen.
Um über einen solchen Umstellungsprozess aus der Sicht eines börsenkotierten Konzerns zu berichten, konnten wir ein Gespräch mit dem CFO der Von Roll Gruppe führen. Lesen sie in unserem Artikel über die Beweggründe und Erfahrungen der Von Roll im Zusammenhang mit diesem spannenden Prozess.
Herr Lust, was waren die Gründe für die strategische Entscheidung, von IFRS auf Swiss GAAP FER umzustellen?
Die Von Roll verfügt als mittelständische Gesellschaft im produzierenden Gewerbe grundsätzlich über ein einfaches Geschäftsmodell. Ferner befinden sich die Vermögenswerte ganz überwiegend im Eigentum der Gesellschaft. Das bedeutete, dass die Anwendung vieler IFRS-Regelungen zwar zu einem hohen Aufwand für die interne Organisation führte, schlussendlich den Bilanzlesern jedoch keinen echten Mehrwert vermittelte. Beispiele dafür sind der per 1. Januar 2019 eingeführte Leasingstandard IFRS 16 und die Erfassung von Pensionsüberschüssen und -verbindlichkeiten unter IAS 19.
Für uns ist klar: die Wahl des Rechnungslegungsstandards muss zum Geschäftsmodell und der strategischen Ausrichtung der Unternehmung passen. Deshalb haben wir uns für Swiss GAAP FER entschieden. Wir verfügen heute über sehr gut ausgebildete Mitarbeiter, die sowohl IFRS als auch Swiss GAAP FER exzellent beherrschen. Aber die Komplexitätsreduktion, die mit der Umstellung auf Swiss GAAP FER einherging, erlaubt es uns heute, die verfügbaren Ressourcen auf die wirklich geschäftsrelevanten Themengebiete zu konzentrieren.
Oft ist zu lesen, die Nachteile von IFRS seien die Vorteile von Swiss GAAP FER. Sehen Sie ausser der angesprochenen tieferen Komplexität weitere konkrete Vorteile von Swiss GAAP FER?
Zum einen ist da die Nutzung der unter Swiss GAAP FER bestehenden Wahlmöglichkeiten zur eingeschränkten Segmentberichterstattung. Dies ermöglicht es der Von Roll als einzige kotierte Gesellschaft der Branche, sich gegenüber Wettbewerbern nicht transparenter als nötig zu präsentieren.
Des Weiteren sind wir der Meinung, zukünftiges anorganisches Wachstum durch die Beteiligung an Gemeinschaftsunternehmen dank der unter Swiss GAAP FER gestatten Quotenkonsolidierung für den Bilanzleser transparenter abbilden zu können, als das mittels der Equity-Methode von IFRS 11 der Fall wäre.
Auch die Möglichkeit, im Rahmen der Umstellung die kumulierten Kursdifferenzen aus der Umrechnung von Fremdwährungsabschlüssen von Tochtergesellschaften mit den Gewinnrücklagen verrechnen zu können, erachte ich aufgrund des über die letzten Jahre immer stärker gewordenen Frankens als Vorteil.
Haben Sie von weiteren Vereinfachungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht?Wurde der Anhang wesentlich gekürzt oder wurden die bisher im IFRS-Anhang gemachten Angaben im Wesentlichen beibehalten?
Neben den eben angesprochenen Vorteilen, die wir auch so umgesetzt haben, gibt es weitere Bereiche, in den wir dank Swiss GAAP FER Vereinfachungen realisieren konnten. Dazu zähle ich insbesondere die Verrechnung des Goodwills mit dem Eigenkapital, statt diesen unbefristet aktiviert zu lassen und mit jährlichen Impairment-Tests dessen Werthaltigkeit bestätigen zu müssen. Ausserdem nutzen wir unter Swiss GAAP FER die Möglichkeit, auf eine Aktivierung der latenten Steuern aus Verlustvorträgen zu verzichten. Durch die deutlich geringeren Offenlegungsvorschriften, insbesondere in den Bereichen Steuern und Pensionsrückstellungen, konnten wir unseren Geschäftsbericht um ca. 15 Seiten kürzen.
Und wie hat sich die Umstellung auf Erfolgsrechnung und Bilanz ausgewirkt? Resultierten wesentliche Unterschiede in für die Von Roll wichtigen Kennzahlen?
Aus Goodwillverrechnung mit dem Eigenkapital, der Ausbuchung aktivierter Pensionsüberschüsse und des Verzichts auf einen Ansatz latenter Steuern aus Verlustvorträgen resultierte per 31. Dezember 2018 eine Reduktion des Eigenkapitals von CHF 233 Millionen gemäss IFRS auf CHF 199 Millionen gemäss Swiss GAAP FER. Die Eigenkapitalquote änderte sich dabei nur unwesentlich um etwa 3%-Punkte auf rund 64%. Die Auswirkungen auf das Gruppenergebnis lagen bei einem positiven Effekt von rund CHF 4 Millionen.
Was erachteten Sie allenfalls als Nachteile des Wechsels? Z.B. die fehlende internationale Vergleichbarkeit?
Ein wesentlicher Nachteil sind die im Vergleich zu IFRS grossen Regelungslücken in Swiss GAAP FER. Während unter IFRS eine fast lückenlose Regelung der Verbuchung aller Geschäftsvorfälle sichergestellt ist, benötigt man bei der Anwendung von Swiss GAAP FER ein gutes Accounting-Handbuch, insbesondere auch als Orientierungshilfe für die ausländischen Tochtergesellschaften.
Allerdings: für unser heutiges Geschäftsmodell ergaben sich kaum wesentliche Änderungen aus der Umstellung, wie man anhand des Abschlusses 2019 erkennen kann. Dadurch bleibt auch die internationale Vergleichbarkeit nach Umstellung weiterhin gewahrt.
Wie gehen Sie mit den vielfältigen Regelungslücken um?
In erster Linie decken wir diese durch interne Accounting Policies ab. In Spezialfällen greifen wir auf die Regelungen im IFRS zurück oder suchen nach Swiss GAAP FER Praxisregelungen, in Absprache mit der Revisionsstelle.
Welche Reaktionen gab es von Seiten der Bilanzleser auf die Umstellung? Ich denke da insbesondere an (ausländische) Aktionäre und Analysten.
Der Wechsel wurde ohne jegliche Kommentierung seitens all unserer Stakeholder, inklusive des Aktionariats, akzeptiert. Auch hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass ausländische Investoren mit Swiss GAAP FER grössere Mühe bekunden würden. Das Zahlenwerk wurde bislang ohne Schwierigkeiten von unseren internationalen Stake- und Shareholdern verstanden und akzeptiert.
Wie haben die eigenen Mitarbeiter den Wechsel aufgenommen?
Insgesamt neutral bis positiv, da sich für den überwiegenden Teil unserer Tochtergesellschaften im Tagesgeschäft nichts geändert hat und es für die Finanzabteilungen der tatsächlich betroffenen Tochtergesellschaften eher zu einer Entlastung gekommen ist.
Wie sind Sie das Umstellungsprojekt angegangen? Was waren die grössten Herausforderungen?
Zunächst haben wir eine Vorvalidierung der Umstellungseffekte auf Gruppenstufe vorgenommen und eine ausführliche Entscheidungsgrundlage für den Verwaltungsrat erstellt. Diese beinhaltete eine neutrale Gegenüberstellung aller Vor- und Nachteile der Umstellung. Anschliessend wurde ein detaillierter Projektplan erarbeitet mit Fokus auf die kritischen Punkte. Dazu gehörten insbesondere die Umsetzung der notwendigen Anpassungen in den Bereichen Pensionsrückstellungen, Leasing und Goodwill. Dabei ging es einerseits natürlich um die Rechnungslegung, andererseits aber auch um die notwendigen Anpassungen der IT-Systeme.
Die Projektkoordination erfolgte dabei durch das Corporate Finance. Wir haben uns bei der Umsetzung für eine retroaktive Umsetzung entscheiden: Die notwendigen Anpassungen haben wir zunächst in einer «Dummy Gesellschaft» auf Gruppenebene vorgenommen und diese in einem nächsten Schritt als «push-down» Buchungen auf Ebene der Einzelgesellschaften verbucht.
Wie viel Zeit und Mitarbeiter nahm das Projekt in Anspruch?
An dem Projekt hat das Corporate Finance Team federführend gearbeitet, mit 3 Mitarbeitern. Darüber hinaus haben wir die IT aufgrund unserer sehr stark verzahnten SAP- und HFM-Umgebung mit eingebunden. Begleitet wurden wir bei diesem Projekt durch einen externen Berater, der ein ehemaliger Deloitte-Partner war. Insgesamt sind so rund 2'500 bis 3’000 Mannstunden vom Start im Sommer 2019 bis zur kompletten systemischen Umsetzung des Projektes per Ende 2019 angefallen.
Und wie steht es mit den Kosten für das Projekt? Erzielen Sie dank des Wechsels Kosteneinsparungen?
Die gesamte Umstellung hat ca. CHF 180'000 interne und externe Kosten verursacht. Dank reduziertem Umfang der Berichterstattung und tieferer Komplexität erwarten wir jährlich rund CHF 40'000 an externen Kosten einsparen zu können. Dazu gehören z.B. tiefere Beratungskosten oder Einsparungen für nicht mehr benötigte aktuarische Gutachten. Viel wichtiger jedoch sind die intern freiwerdenden Kapazitäten, die wir nun für weitere Optimierungsprojekte wie die Zentralisierung unseres IKS-Systems und anderes einsetzen können.
Gibt es Key-Learnings aus der Umstellung? Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Es war ein insgesamt rundum gelungenes Projekt, auch wenn wir den Zeitaufwand für die systemseitigen Anpassungen zu Beginn etwas unterschätzt hatten. Aufgrund der angesprochenen starken Verzahnung unseres ERP-Systems (SAP) mit der Konsolidierungssoftware (HFM) waren tiefere Eingriffe in die Konsolidierungslogiken notwendig als wir dies zu Beginn antizipiert hatten. Diesbezüglich waren sicherlich etwas zu optimistisch, konnten die notwendigen Änderungen jedoch aufgrund eines sehr kompetenten IT-Teams mit einer leichten Zeitverzögerung umsetzen.
Wie beurteilen Sie die Verfügbarkeit von genügend qualifizierten Fachkräften? (Recruiting und Entwicklung im Unternehmen?)
Das Thema Swiss GAPP FER findet in der Schweiz eine weiterhin zunehmende Verbreitung im KMU-Bereich. Dadurch erhöht sich auch das am Markt verfügbare Know-How. Ferner ist es für jemanden, der IFRS und die lokalen Rechnungslegungen im deutschsprachigen Raum beherrscht, kein Problem sich in relativ kurzer Zeit auf Swiss GAAP FER einzustellen. Vor diesem Hintergrund haben wir dieselben Voraussetzung beim Recruiting wie vor der Umstellung.
Werfen wir abschliessend einen Blick zurück. Wurden Ihre Erwartungen an die Umstellung auf Swiss GAAP FER rückblickend vollumfänglich erfüllt?
Ja! Ich bin mit der Umstellung sehr zufrieden. Alle unsere vorher angestellten Überlegungen sind voll aufgegangen und es gab keinerlei negative Reaktionen vom Markt. Ich bin stolz auf mein Team, und darauf, dass wir ein solches Projekt in einer so kurzen Zeit erfolgreich umsetzten konnten.
Dieses Interview wurde von Chris Krämer, Deloitte Audit & Assurance Partner, geführt.