swissVR Monitor: Welche Kriterien sind aus Ihrer Sicht bei der Vergütung die wichtigsten (z. B. Zeitaufwand, Verantwortung, Risiko)?
Manuel Leuthold: Das wichtigste Element bei der Ausarbeitung der Vergütung des VR ist die mit der Funktion verbundene Verantwortung. Diese Verantwortung hängt in erster Linie von den Risiken ab, die die Mitglieder des VR eingehen müssen. Wie hoch dieses Risiko ist, variiert stark nach verschiedenen Kriterien: Grösse des Unternehmens (Umsatz und Bilanz), Verschuldungsgrad, Art der ausgeübten Tätigkeiten, Anzahl der Beschäftigten, in welchem Land das Unternehmen tätig ist, dem gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Rahmen und je nachdem, ob das Unternehmen unabhängig oder Teil einer Unternehmensgruppe ist, die Unterstützung und Beratung bietet. Sind Unternehmen börsennotiert, erhöht auch dies das Risiko und die Zwänge für die Mitglieder des VR.
Der Zeitaufwand und der Umfang der Tätigkeit im VR (Mitgliedschaft in Ausschüssen, zusätzliche Funktionen wie Sekretär des Verwaltungsrats, Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender) sollten ebenfalls berücksichtigt werde Schliesslich verhindert die Mitgliedschaft in einem VR, dass der- oder diejenige in anderen VR derselben Branche sitzt, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Dies sollte ebenfalls berücksichtigt werden, vor allem bei kleineren Verwaltungsratsmandaten.
swissVR Monitor: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach langfristige Ziele wie zum Beispiel im Bereich Nachhaltigkeit/ESG, wenn es um die erfolgsabhängige VR-Vergütung geht?
Manuel Leuthold: Meines Erachtens besteht das langfristige Ziel des VR darin, Werte für die Aktionäre zu schaffen. Wenn dieses Ziel der Wertschöpfung richtig verstanden wird, sollte es alle Stakeholder und alle anderen wichtigen langfristigen Dimensionen einschliessen: die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften, Umweltfragen, die Motivation der Mitarbeiter, die Rekrutierung von Talenten, die Ausrichtung der Tätigkeit auf die Kunden und ihre Bedürfnisse, die aktive Beteiligung an den Gemeinschaften und die Schaffung einer positiven und soliden Kultur, die auf Werten beruht, um nur einige zu nennen. Die Aufteilung des erwirtschafteten Gewinns zwischen Aktionären, Mitarbeitenden, Staat (Steuern), Kunden und dem Gemeinwesen ist eine der wichtigsten und anspruchsvollsten Aufgaben des Verwaltungsrats.
Eine gute und solide Möglichkeit, eine variable Dimension in die VR-Vergütung einzubeziehen, die auf einer nachhaltigen und langfristigen Perspektive beruht, ist es, den Mitgliedern die Möglichkeit zu bieten, jedes Jahr eine feste Anzahl von Aktien des Unternehmens zu einem vergünstigten Preis zu kaufen. Diejenigen, die nicht an die Zukunft des Unternehmens glauben, werden sich nicht beteiligen und wahrscheinlich früher oder später ausscheiden. Die anderen müssen ihr eigenes Geld einsetzen, ihr Engagement zeigen und hart arbeiten, damit das Unternehmen wächst.
swissVR Monitor: Wer sollte im Unternehmen für die Ausarbeitung der Höhe der VR-Vergütung zuständig sein?
Manuel Leuthold: Der VR selbst sollte sich ein Verständnis über seine Verantwortlichkeiten, sein Fachwissen und seine Arbeitsbelastung verschaffen und eine Marktforschung durchführen, um seine Vergütung an jener vergleichbarer Wettbewerber auszurichten. Ein (möglichst einfaches) Modell, das die langfristigen Interessen der Verwaltungsratsmitglieder und des Unternehmens in Einklang bringt, sollte definiert und der Generalversammlung bzw. den Aktionären vorgelegt werden.
swissVR Monitor: Bei wem im Unternehmen sehen Sie (am ehesten) die finale Entscheidung über die Höhe der VR-Vergütung?
Manuel Leuthold: Die Regulierung verlangt zunehmend, dass das Vergütungsmodell sowie die Vergütungspakete für den VR und die Geschäftsleitung jährlich von der Generalversammlung der Aktionäre validiert werden. In der Schweiz enthält das revidierte Obligationenrecht diese Elemente seit dem 1. Januar 2023.
swissVR Monitor: Ein Blick in die Zukunft: Wie werden sich die Vergütungssysteme von Verwaltungsräten in Zukunft verändern?
Manuel Leuthold: Ich glaube nicht, dass sich die Vergütungsmodelle und die Höhe der Vergütungen global gesehen stark verändern werden. Aber der Markt ist in Bewegung. Gegenwärtig wird bei der Rekrutierung von Verwaltungsratsmitgliedern eher auf Vielfalt geachtet. Meiner Ansicht nach wird in Zukunft wieder mehr Wert auf Professionalität gelegt werden, um die zunehmende Komplexität besser zu bewältigen und die Geschäftsmodelle der Unternehmen, die Branchen, in denen sie tätig sind, die rechtlichen und regulatorischen Zwänge (einschliesslich der grenzüberschreitenden Dimension), die finanziellen Komponenten und die Risiken besser zu verstehen. Ich erwarte auch mehr Anerkennung für das Profil des «professionellen Mitglieds des Verwaltungsrats» im Vergleich zu einer zusätzlichen Teilzeittätigkeit. Und schliesslich wird der Mangel an erfahrenen Verwaltungsratsmitgliedern, solange der Arbeitsmarkt angespannt ist, wahrscheinlich zu einem Anstieg der Vergütungen führen.
Manuel Leuthold
Präsident des Verwaltungsrats von Banque Cantonale de Genève, Ausgleichsfonds AHV/IV/EO – compenswiss, Varia US Properties, Enki Capital, NID und Patrimonium Asset Management
Manuel Leuthold hat an der Universität Genf Jura und Ökonomie studiert und jeweils mit einem Master abgeschlossen. Nach seinem Studium war er 27 Jahre lang bei der UBS tätig und hatte dort verschiedene Positionen inne. Unter anderem leitete er als Mitglied der Konzernleitung von UBS Switzerland die Geschäftseinheit Corporate and Institutional Clients in der Schweiz. Anschliessend war er während rund 4 Jahren Group Chief Administrative Officer der Edmond de Rothschild Gruppe. Seit 2016 ist Manuel Leuthold unabhängiges Mitglied verschiedener Verwaltungsräte. Er ist unter anderem Präsident des Verwaltungsrats des compenswiss-Ausgleichsfonds (Eidgenössische Sozialversicherungen) und des Verwaltungsrats der Banque Cantonale de Genève. Ausserdem hat er weitere Verwaltungsratsmandate in verschiedenen Unternehmen und Institutionen inne.