Interview mit Thomas Steiner

Verwaltungsratsmitglied der Emch+Berger AG Bern und Vorstand von Schweiz Tourismus

Die Rolle des Verwaltungsrats beim Thema generative KI

swissVR Monitor: Sie haben als ausgewiesener KI-Experte Mandate in Verwaltungsräten verschiedener Branchen. Welche Rolle und Aufgaben hat der Verwaltungsrat im Allgemeinen beim Thema generative KI?

Thomas Steiner: Die Rolle des VR ist vielschichtig. Da die KI alle Berufe und Branchen transformiert, muss der VR eine klare Strategie festlegen, um sie auf allen Ebenen des Unternehmens zu integrieren. Er muss die Möglichkeiten der KI identifizieren, die mit den Unternehmenszielen im Einklang stehen. Und da es sich um einen echten «Game Changer» handelt, muss der VR die Strategie des Unternehmens an die neue Realität anpassen. Darüber hinaus werfen die ethischen und sicherheitstechnischen Aspekte der von KI getriebenen Transformation, die bereits Teil der Rolle der Governance waren, eine Vielzahl neuer Herausforderungen und Aufgaben auf, deren effektive Bewältigung von entscheidender Bedeutung ist.

swissVR Monitor: Braucht es aus Ihrer Sicht für das Thema (generative) KI einen separaten Ausschuss oder sehen Sie es eher als Unterthema in einem bestehenden Ausschuss – zum Beispiel im Innovations- oder Digitalisierungsausschuss?

Thomas Steiner: Beides! Wenn es um die Integration von KI in den Geschäftsbetrieb geht, können Innovations- oder Digitalisierungsausschüsse der treibende Motor des Wandels sein. Nun bietet die KI aber auch das Potenzial, die Governance selbst strategisch zu transformieren. Ich sehe voraus, dass die VRs sehr schnell Mitglieder ernennen oder einstellen werden, die sich mit KI auskennen – im Englischen nenne ich das «Board Bot Masters». Diese Personen wissen, wie sie die KI in die Entscheidungsfindung des VR einbeziehen können. Und sie stellen die Verbindung her für die strategischen Herausforderungen Aufsicht, Risikomanagement, Transparenz, Kommunikation und Schulung.

swissVR Monitor: Laut unserer Befragung ist die Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder der Meinung, ihr VR-Gremium nehme sich nicht genügend Zeit, um sich mit generativer KI auseinanderzusetzen. Wie kommt es Ihrer Meinung nach zu dieser Diskrepanz zwischen der Relevanz des Themas und der aufgewendeten Zeit im Verwaltungsrat? Und wie lässt sie sich beheben?

Thomas Steiner: Zunächst einmal hat die KI einen Umbruch bei den Instrumenten zum Technologie-Scouting bewirkt. Niemand sah die Welle kommen. Die globale Einführung von ChatGPT im November 2022 wurde direkt von den operativen Ebenen übernommen, ohne dass die Governance sein transformatives Potenzial erkennen oder gar antizipieren konnte.

Das ist die Eigenart seltener Paradigmenwechsel. Die Berufssparten machen sie sich sofort zu eigen. Ich sehe nur ein Mittel: Jedes Mitglied eines VR muss unbedingt selbst Zeit investieren, um mit KI zu arbeiten. Diese in das Lernen und die Aneignung von KI investierte Zeit zahlt sich dann in Form von Effizienzsteigerungen und Prozessoptimierungen wieder aus. Das führt nicht nur zu einem besseren Verständnis der Herausforderungen, sondern auch zu einer besseren strategischen Entscheidungsfindung durch eine bessere Beherrschung dieser leistungsstarken Tools.

swissVR : Die überwiegende Mehrheit der Befragten gibt an, dass ihr Verwaltungsrat kein regelmässiges Reporting über den Einsatz generativer KI im Unternehmen erhält. Wie sollte aus Ihrer Sicht eine adäquate Berichterstattung der Geschäftsleitung bei diesem Thema aussehen?

Thomas Steiner: Die besten Rapports sind dokumentierte konkrete Anwendungsbeispiele, die sogenannten «Best Practices». Angesichts der bevorstehenden Transformation und der Geschwindigkeit, mit der sich generative KIs heute entwickeln, ist es sinnlos, zusammenfassende Rapports zu erstellen. Sie werden schon veraltet sein, bevor sie auf den Schreibtisch des VR gelangen. Abgesehen davon darf der Verwaltungsrat nicht passiv bleiben. Auch er muss sich die Tools aktiv aneignen, um die Auswirkungen und Möglichkeiten zu verstehen, die sie bieten. Im Alltag muss das Management auf transformative Zeichen achten und dem VR über tatsächliche Veränderungen berichten. Zukunftsgerichtete Technologieberichte, die sich auf bestimmte Tools oder Funktionen konzentrieren, sind meiner Meinung nach nicht sehr hilfreich.

swissVR Monitor: Was erwarten Sie in Zukunft: Wie werden neue Versionen von generativen KI-Tools wie ChatGPT die Arbeit von Verwaltungsräten in den nächsten Jahren verändern respektive erleichtern?

Thomas Steiner: Diese Tools haben bereits begonnen, das Tätigkeitsfeld des Verwaltungsrats und der Verwaltungsrätin zu verändern. Sie sind zum Beispiel im Begriff, mit der Bürosoftware zu «verschmelzen», und erleichtern administrative und sich wiederholende Aufgaben. Aber die Transformation wird nicht hier enden: Ich kenne Institutionen, die bereits KI nutzen, um ihre Geschäftsmodelle zu analysieren, zu entwerfen und zu testen. VRs, die KI-Dienste in Anspruch nehmen, unterscheiden sich in der Breite und Tiefe ihrer Entscheidungsfindung. KI kann zusätzliche Einblicke und tiefgreifendere Analysen für die Unternehmensführung bieten und so die Beschlussfassung und die eingeführten Strategien bereichern.

swissVR Monitor: Wie können Verwaltungsräte sicherstellen, dass ihre strategischen Pläne regelmässig an die neuesten Entwicklungen in der generativen KI angepasst werden?

Thomas Steiner: Durch die Ernennung eines «Board Bot Masters» innerhalb des VR, die Schulung aller bis hinunter zur Basis in der Nutzung der Tools und die Sicherstellung, dass Best Practices direkt wieder in die Governance einfliessen. In der heutigen schnelllebigen Welt scheint es mir entscheidend, mit lateralen Strategien zu arbeiten. Die wirksame Übernahme von KI kann nicht mit einer einfachen inkrementellen Anpassung der bestehenden Strukturen erreicht werden. Es handelt sich dabei tatsächlich um ein paralleles und komplementäres Ökosystem. Die Zeit wird zeigen, ob es bestehende Strukturen und Berufe ersetzen wird. Im Moment ist das nicht die Frage. Wir müssen festlegen, wie sie schnell transformiert werden können. Mir scheint, dass dieses potente Mittel seinen Platz in jeder seriösen Unternehmensstrategie zu Recht verdient.

Thomas Steiner

Member of the Board of Directors of Emch+Berger AG Bern and member of the Board of Directors of Switzerland Tourism

Thomas Steiner is Professor at the University of Applied Sciences and Arts of Western Switzerland (HES-SO), Head of HESSO’s e-learning centre Cyberlearn, and a member of its AI Steering Committee. He is currently President of Vercorin Tourisme SA, a member of the Board of Directors of Emch+Berger AG Bern, and member of the Board of Switzerland Tourism. As CEO of Immotour GmbH, he supports companies’ strategic and digital implementation processes. Thomas Steiner has a PhD from Lausanne University’s Faculty of Business and Economics and 25 years’ experience of using artificial intelligence.