Perspektiven
Strategische Trends und Implikationen für Bankbetriebsmodelle
Dieser Artikel ist der erste in einer Serie darüber, wie Schweizer Banken ihre Betriebsmodelle in Richtung einer neuen Normalität transformieren können. Das Deloitte Financial Services Transformation Team wird fortlaufend seine Perspektiven zu den wichtigsten Implikationen, internationalen Best Practices und potenziellen Lösungen, die Banken implementieren könnten, veröffentlichen.
Bestehende Lücken in den Betriebsmodellen der Banken aufgedeckt
Die immer noch andauernde globale Pandemie und die damit verbundene Wirtschaftskrise haben auch die Schweizer Banken getroffen. Die direkten finanziellen Auswirkungen werden sich wahrscheinlich in Form von Kreditausfällen manifestieren, wie wir bereits in einem früheren Artikel aufgezeigt haben. Neben diesen kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen hat die aktuelle Krise auch bedeutende Schwächen in den Betriebsmodellen der Banken aufgedeckt, die sich auf Wettbewerbsposition und wichtige Finanz-, Risiko- und Kapitalparameter auswirken, wenn sie nicht rechtzeitig und angemessen adressiert werden. Zu diesen Schwächen gehören unter anderem:
- Niedriger Grad der Prozessautomatisierung und Digitalisierung: Der durch das Notkreditprogramm ausgelöste Anstieg der Kreditanträge hat die Banken überfordert und sie gezwungen, Personal aus anderen Abteilungen für die Bearbeitung von Kreditanträgen bereitzustellen. Ebenfalls wurden Kundenonboardings aufgrund der Beschränkungen von physischen Kontakten deutlich erschwert - laut unserem Wealth Management Onboarding Survey ist die biometrische Identifikation im Finanzdienstleistungsbereich nicht weit verbreitet, nur 20% der Schweizer Banken nutzen die Video-identifikation und die meisten planten vor diesem Jahr nicht einmal sie überhaupt einzuführen. Ebenso nutzen nur 29 % der befragten Banken überhaupt ein digitales Frontend für das Onboarding.
- Ausfallsicherheit der Geschäftsprozesse und Inflexibilität der IT-Infrastruktur: Die Umstellung auf permanente Fernarbeit kam zu einem unpassenden Zeitpunkt, da viele Banken nicht in der Lage waren, ihren Mitarbeitern einen sicheren und schnellen Zugang zu Kernsystemen zu ermöglichen. Dies wirkte sich negativ auf die Belastbarkeit der Geschäftsprozesse aus, da eine Reihe von Dienstleistungen für Kunden nicht mehr erbracht werden konnten. Diese Umstellung setzte die Banken auch einer Vielzahl von Sicherheitsrisiken aus, z.B. wurde es schwieriger, einen sicheren Zugang zu internen Schnittstellen zu gewährleisten, wenn sich die Mitarbeiter von zu Hause aus anmeldeten.
- Fehlende digitale Möglichkeiten zur Kundeninteraktion: Als sich Kunden gezwungen sahen ihre Bankgeschäfte online zu erledigen, erwiesen sich die Applikationen der Banken als nicht benutzerfreundlich genug, was zu überlasteten Callcenters und unzufriedenen Kunden führte. Unsere Digital Banking Maturity-Studie wies 2018 auf diese Mängel im Nutzererlebnis hin und die Ergebnisse waren 2020 ähnlich - die Bewertung des Nutzererlebnisses für Schweizer Banken ist im Durchschnitt 72% niedriger als die ihrer führenden EMEA-Konkurrenten. Neben der Erwartung der Kunden an ein ansprechendes digitales Erlebnis, sowohl auf mobilen als auch auf Online-Banking-Plattformen, ist die Beratung nach wie vor stark gefragt. Dies gilt umso mehr, da eine grösser werdende Anzahl an Finanzprodukten und Dienstleistungen auch für weniger vermögende Segmente verfügbar wird. Heutige Technologien ermöglichen auch auf digitalen Kanälen eine qualitativ hochwertige Beratung zu geringeren Kosten - die meisten Banken haben diese Möglichkeiten allerdings noch nicht genutzt.
Diese Symptome sind nicht charakteristisch für die aktuelle Situation, sondern zeichneten sich bereits währender des letzten Jahrzehnts ab. Die aktuelle Krise hat bestehende Trends einzig verstärkt und die Schwächen in den Betriebsmodellen der Banken deutlich sichtbar gemacht.
Die Wettbewerbslandschaft, in der sich Banken heute befinden, wurde durch verschiedene Markttreiber geprägt (vgl. Abbildung 1), darunter verändertes Kundenverhalten, Veränderungen im Wettbewerb und neue technologische Möglichkeiten. Infolgedessen haben neue und innovative Anbieter mit vereinfachten Produkten und regulatorischen Vorteilen in einigen Bereichen beachtliche Marktanteile gewonnen. Dies auch weil Kunden zunehmend offen sind neuen Angebote zu testen. Damit steigen auch die allgemeinen Erwartungen hinsichtlich des Automatisierungsgrads und der Digitalisierung von Prozessen. Während die meisten neuen Anbieter derzeit in Nischen operieren und spezifische Serviceangebote anbieten (z.B. Kreditplattformen, kostenlose Kreditkarten, Online-Sparkonten, mobile Säule-3a-Lösungen, mobiler Wertschriftenhandel), wird sich dies in naher Zukunft wahrscheinlich ändern. Mit zunehmender Präsenz zielen digitalen Herausforderer darauf ab, die langjährigen Kundenbeziehungen der traditionellen Banken auszuhöhlen.
Die Auswirkungen der neuen Wettbewerbslandschaft auf die Banken beginnen sich bereits in den Finanzkennzahlen niederzuschlagen. Im Hypothekengeschäft, traditionell die Haupteinnahmequelle der Schweizer Retailbanken, sind die Margen nach unseren Schätzungen in den letzten zehn Jahren um rund 30% gesunken, während das Marktvolumen im gleichen Zeitraum um 72% gestiegen ist. Auf der Kostenseite sieht das Bild nicht viel besser aus: Im Vergleich zu den Niveaus vor der Finanzkrise haben die Banken immer noch eine um 35% höhere Cost-Income-Ratio - trotz Bemühungen zur Effizienzsteigerung. Diese «Wachstumsfalle», Druck sowohl auf Einnahme- als auch Kostenseite, hat die Fähigkeit der Banken beeinträchtigt wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen.
Abbildung 1: Übersicht der Markttreiber und Auswirkung auf Banken
Wie unsere Analyse über ein Jahrzehnt zeigt, hat sich die Fähigkeit der Schweizer Banken ihre Eigenkapitalkosten zu decken deutlich verschlechtert (vgl. Abbildung 2). Während der durchschnittliche Equity Spread (d.h. die Differenz zwischen Eigenkapitalrendite und Eigenkapitalkosten) im Jahr 2009 leicht positiv war (0,1 Prozentpunkte), lag er im Jahr 2019 bei rund -2,1 Prozentpunkten. Dies ist besonders auffallend, da sich die Banken im Jahr 2009 noch von der globalen Finanzkrise erholen mussten. Die mangelhafte Fähigkeit einen wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen spiegelt sich auch in den Aktienkursen wider: Die börsennotierten Schweizer Banken stehen heute meist schlechter da als vor 10 Jahren und haben sich ausnahmslos dramatisch schlechter entwickelt als der Gesamtmarkt.
Abbildung 2: Equity Spread und Aktienpreisentwicklung
Betriebsmodelltransformation als strategische Voraussetzung für die Rückkehr zu einer nachhaltigen Wertschöpfung
Wir glauben, dass die aktuellen Markttrends die vorherrschende Konfiguration der Wertschöpfungskette von Banken verändern werden. Im Gegensatz zu anderen Branchen hat das Bankwesen die traditionell integrierte Wertschöpfungskette beibehalten. Sowohl regulatorische als auch technologische Barrieren haben dazu beigetragen diesen Status zu erhalten. Allerdings wird diese Struktur der Wertschöpfungskette für die meisten Banken nicht nachhaltig sein.
Mit dem Aufkommen neuer Technologien und dem zunehmenden Druck auf die Regulierungsbehörden die Eintrittsbarrieren zu senken wird es möglich, die Wertschöpfungskette zu disaggregieren und damit auch das Kundenerlebnis zu verbessern. Sobald diese Disaggregation Realität wird, ist es für Banken sinnvoll, sich auf bestimmte Elemente der Wertschöpfungskette zu konzentrieren - sowohl aus geschäftlicher als auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Wir sehen bereits Beispiele für eine verstärkte Spezialisierung auf bestimmte Wertschöpfungsschritte im Markt, sowohl in der Schweiz als auch im Ausland (vgl. Abbildung 3).
Indem sich Banken spezialisieren und ihre Kernkompetenzen nutzen, können sie sich Wettbewerbsvorteile verschaffen, was den Druck auf Anbieter mit integrierten Wertschöpfungsketten erhöht. Diesen wird es immer schwerer fallen eine wirtschaftliche Rechtfertigung für die integrierte Wertschöpfungskette aufrecht zu erhalten. Nur wenigen Banken mit einer entsprechenden Grösse dürfte es gelingen, eine integrierte Wertschöpfungskette beizubehalten. Dies gilt insbesondere für das Retailbanking, wo die meisten Produkte beinahe komplett austauschbar sind. Daher ist eine Spezialisierung auf ausgewählte, kundennahe Wertschöpfungsstufen oft die angestrebte Lösung. Es sind Initiativen sichtbar, durch die traditionelle Banken versuchen, sich zu diversifizieren und digitale Geschäftsmodelle zu etablieren (z.B. Hypothekarbank Lenzburg mit NEON, BLKB mit einer neuen Schweizer Digitalbank), was ein Zeichen des Wandels sein könnte. Im Moment ist dies jedoch eher eine Erweiterung der bestehenden Dienstleistungen, da es Zeit braucht, bis die traditionellen Vertriebswege reduziert werden können. Während wir glauben, dass es in den nächsten 5 Jahren möglich sein wird sich auf mehrere Stufen der Wertschöpfungskette zu konzentrieren, werden auf lange Sicht nur die «Pure Player» erfolgreich bleiben - weil die Technologie irgendwann eine Spezialisierung ermöglicht und die Aufteilung der Wertschöpfungskette so Realität wird. Dieser Trend war bereits in anderen Branchen mit weniger komplexen Wertschöpfungsketten zu beobachten (z.B. Reisebranche, Automobilhersteller) - jetzt ist die Zeit im Bankwesen reif, da die Digitalisierung in den letzten Jahren Sprünge gemacht hat, die eine Entkopplung und Modularisierung der Wertschöpfungsschritte ermöglichen. Allerdings wird der Markt nicht gross genug sein, dass jeder Player jedes (digitale) Serviceangebot eigenständig etablieren kann. Daher müssen Banken ihre Optionen sorgfältig analysieren und jetzt ihr Zielbetriebsmodell für die Zukunft wählen.
Abbildung 3: Entwicklung des Zielbetriebsmodells
Am Beispiel traditioneller Retail-Banken wie Kantonalbanken zeigt sich, dass die Fähigkeit, eine emotionale Bindung zu ihren Kunden aufzubauen, zunehmend das Hauptunterscheidungsmerkmal in den Augen ihrer Kunden ist. Eine Positionierung Richtung Distribution Excellence und Trusted Advisor, um sich den Platz im Zentrum der Kundenbeziehung zu sichern, ist daher eine attraktive Strategie. Im Gegensatz zu heute geht es nicht mehr darum Produkte zu verkaufen, sondern darum das Vertrauen der Kunden zu gewinnen, um die erste Wahl als Berater bei der Lösung wichtiger Finanzfragen zu sein. Abbildung 4 zeigt Schritte, die eine Retailbank unternehmen muss, um diese Position zu sichern. Während die Beratung im Vordergrund steht, muss sie durch überzeugende digitale und hyper-personalisierte Erlebnisse ergänzt werden.
Es gibt jedoch auch erfolgreiche Beispiele, bei denen sich traditionelle Banken auf weniger kundenorientierte Schritte der Wertschöpfungskette konzentrieren (z. B. GLKB Kreditfabrik). Dies verdeutlicht, dass verschiedene Modelle erfolgreich sein können, wenn die Umsetzung richtig gemacht wird.
Abbildung 4: Drei Entwicklungen, welche das Retailbanking transformieren
Die Zukunft muss jetzt mit einer klar definierten Zielsetzung beginnen
Die Transformation zum gewünschten Zielzustand geschieht nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess, der ein schrittweises Vorgehen und eine sorgfältig abgestimmte Balance zwischen kleinen inkrementellen Veränderungen und grossen radikalen Transformationen benötigt, um nachhaltig zu sein. Unserer Erfahrung nach muss die Transformation auf einer gemeinsamen Vision für die Zukunft aufbauen. Von da an gilt es das aktuelle Geschäft zu optimieren und parallel dazu die Grundlagen für radikalere Veränderungen zu schaffen. Erfolgreich sind diejenigen, die relevante Massnahmen auswählen und sie zum richtigen Zeitpunkt ausführen, z.B. kann ein Schritt hin zu einem beratungsgetriebenen Betriebsmodell sowohl Front- und Sales Enablement als auch Ökosystem- und Plattformentwicklung erfordern. Wir haben eine Auswahl der wichtigsten Massnahmen getroffen, um sich in Richtung der gewählten Vision zu bewegen - geordnet nach Komplexität und Umsetzungszeit (vgl. Abbildung 5). Im Laufe dieser Serie werden wir erfolgreiche Beispiele vorstellen wie diese Massnahmen in der Praxis angewendet werden können, um zu zeigen wie die Anpassung an die neue Normalität erfolgreich abgeschlossen werden kann. Als Ausgangspunkt für dieses Ziel müssen sich die Führungskräfte von Banken sechs elementare Fragen stellen:
- Welchen strategischen Betriebsmodell-Archetypen sollten wir anstreben um in Zukunft zu wachsen und uns wettbewerbsfähig im Markt zu positionieren?
- Was wollen die Kunden dieses Archetyps und wie sollten wir unser Angebot verbessern, um unseren Kundenstamm zu halten und weiter auszubauen?
- Welche Kostenstruktur müssen wir anstreben, um heute und in Zukunft wettbewerbsfähig agieren zu können?
- Welche technologischen Elemente sollte unser Archetyp intern produzieren oder entlang der Wertschöpfungsketten einkaufen?
- An welchen Stellen unserer Wertschöpfungskette und unseres Archetyps sollten wir daher mit Wettbewerbern, FinTechs oder Technologieunternehmen zusammenarbeiten?
- Welche Massnahmen müssen wir einleiten, um das neue Zielbetriebsmodell effektiv und effizient zu erreichen?
Abbildung 5: Massnahmen um strategische Ambitionen zu erreichen