Covid-19: Gestaltung von künftigen Regulierungen zur Versorgung von medizinischer Notfallausrüstung

Perspektiven

Covid-19: Gestaltung von künftigen Regulierungen zur Versorgung von medizinischer Notfallausrüstung

Die Covid-19-Pandemie hat den Alltag aller Menschen weltweit verändert und alle Branchen in berührt. Zwar gab es bereits vor Covid-19 in vielen Ländern Notpläne für den Fall einer Grippe- oder anderen Pandemie, doch niemand war auf eine derart schnelle und unkontrollierte Ausbreitung der Erkrankung gut vorbereitet. Vielerorts überstieg die Nachfrage nach bestimmten medizinischen Geräten und Ausrüstungen schnell das Angebot; insbesondere bei Beatmungsgeräten und persönlicher Schutzausrüstung kam es zu kritischen Engpässen. Die Hersteller traditioneller und neuartiger medizinischer Geräte haben daraufhin ihre Produktion weitgehend auf die Befriedigung dieser Nachfrage umgestellt. Gleichzeitig mussten die internationalen und nationalen Regulierungsbehörden ihre Vorgehensweise bei der Erteilung von Marktzulassungen anpassen. Diese Änderungen haben Auswirkungen auf die zukünftige Regulierung für medizinische Geräte.

 

Wie haben Regulierungsbehörden und die Industrie reagiert?

Um den Engpässen zu begegnen, haben globale Regulierungsbehörden wie die Weltgesundheitsorganisation und internationale Aufsichtsbehörden wie die amerikanische Food and Drug Administration und die Europäische Kommission Leitlinien für regulatorische Anforderungen bereitgestellt.1,2,3 Zum Beispiel:

  • Die Europäische Kommission veröffentlichte Leitlinien zu Ausnahmeregelungen, die nationale Behörden und Regierungen bei der Zulassung medizinischer Geräte berücksichtigen müssen, während die erforderlichen Konformitätsbewertungen vorgenommen werden.4,5,6 Als Reaktion haben nationale Behörden Befreiungs- und Ausnahmeregelungen eingeführt, damit die Produktion hochgefahren werden konnte und damit medizinische Geräte ohne CE-Kennzeichnung vorübergehend in Verkehr gelangen konnten, währenddessen liefen die erforderlichen Verfahren.7
  • Die amerikanische Arzneimittelbehörde hat auf mehreren Wegen ermöglicht, dass in der Notfallsituation Beatmungsgeräte, persönliche Schutzausrüstungen und Testkits schnell bereitgestellt werden konnten.8 Dazu gehörte die Aufhebung des Zulassungsprozesses 510(k) und der Anforderungen von «Good Manufacturing Practice» sowie von «Establishment Registration» und «Device Listing» für neue Betriebsstätten und Geräte.

Auch wenn die regulatorischen Anforderungen ein wenig gelockert wurden, war der Nachweis über die Einhaltung der Mindestspezifikationen immer noch ein kritischer Bestandteil der regulatorischen Bewertungen.9

Verschiedene Massnahmen zur Ausweitung der medizinischen Versorgung

Unterdessen haben die einzelnen Regierungen in Zusammenarbeit mit den nationalen Regulierungsbehörden ihre eigenen Leitlinien zur Konformität und Überwachung herausgegeben und verschiedene Massnahmen zur Ausweitung der medizinischen Versorgung umgesetzt:

Welche regulatorischen Herausforderungen haben sich ergeben?

Das höhere Produktionsvolumen und die Notwendigkeit, das Inverkehrbringen wichtiger medizinischer Güter zu beschleunigen, sind unweigerlich mit höheren Risiken und Problemen verbunden. Um diese Risiken zu verringern, die Gerätesicherheit und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten und etwaige Rückrufe zu ermöglichen, hat die Europäische Kommission eine Richtlinie erarbeitet, in der Bedingungen aufgeführt sind, unter denen die Staaten medizinische Geräte, die nicht aus der EU stammen, für den Markt zulassen dürfen.23

Einige Personen nutzen die gegenwärtige Situation aus, indem sie gefälschte Produkte auf den Markt bringen.24 In der Schweiz zum Beispiel warnte die Aufsichtsbehörde vor nicht-konformen Gesichtsmasken, die zunehmend auf dem heimischen Markt angeboten werden und der Swissmedic gemeldet werden müssen.25

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, wie Produkte, die von den Standardvorschriften abweichen, nach der Notsituation normgerecht gestaltet oder vom Markt genommen werden können. Die meisten Hersteller und Industrieverbände unternehmen Schritte, um die Rückverfolgbarkeit im Vertrieb sicherzustellen. Beispielsweise hat die australische Regulierungsbehörde Eilverfahren eingerichtet, um den Rückruf defekter oder nicht zugelassener Produkte, die während der Pandemie im Zuge von Ausnahmeregelungen in Umlauf gebracht wurden, zu gewährleisten.26

Wie sollten sich Regulierungsbehörden und die Industrie auf die nächste Covid-19-Welle oder eine neue Pandemie vorbereiten?

Die ausserordentlichen regulatorischen Massnahmen, die die Behörden als Reaktion auf die Pandemie ergriffen haben, sind als vorübergehende Lösung gedacht, um dem Mangel an medizinischer Notfallversorgung entgegenzuwirken. Es sind jedoch nachhaltige Lösungen erforderlich, damit sich die Länder angemessen auf ein Wiederaufflammen der aktuellen Pandemie oder die nächste Pandemie vorbereiten und die öffentliche Sicherheit und Gesundheit schützen können.

Die Regulierungsstellen müssen weiterhin zusammenarbeiten und ihre Kräfte bündeln, um die in den einzelnen Ländern gezogenen Lehren auszuwerten und koordinierte Massnahmen zu entwickeln für den Fall, dass in Zukunft ähnliche Situationen auftreten. Die Behörden setzen bereits die Entscheidungen um, die von der Europäischen Kommission im März 2020 angenommen wurden, um künftig im Falle einer Pandemie die Notfallversorgung mit Gütern sicherzustellen. Dazu gehören beispielsweise die Schaffung von Vorräten an medizinischer Ausrüstung oder die Aufstockung vorhandener Lagerbestände.27 Fristverlängerungen oder weitere Gesetze können erforderlich sein, wenn die Lockdown-Massnahmen zurückgefahren werden und eine weitere Infektionswelle ausbricht.

Fazit

Auch wenn Ausmass und Tempo, mit dem sich Covid-19 ausbreitete, beispiellos sind, sehen sich nun sämtliche Gesundheitsunternehmen gezwungen, ihre Verfahren zur Markteinführung kritischer Produkte neu zu bewerten. Obwohl viele der Massnahmen kurzfristiger Natur sind, sollten die gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden, um ein Regulierungssystem zu schaffen, das es den Ländern ermöglicht, sich auf künftige disruptive Ausbrüche besser vorzubereiten.

Im Jahr 2018 haben wir in einem Artikel Vorhersagen gemacht, wie das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Regulierungsbehörden im Jahr 2025 aussehen könnte.28 Wir konnten zwar schon vorher beobachten, dass sich das regulatorische Umfeld rasch veränderte und grenzüberschreitende Kooperationen zwischen Aufsichtsbehörden immer zahlreicher wurden, haben aber nicht damit gerechnet, wie schnell sich der Wandel als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie vollziehen würde. Darüber hinaus sind einige der Vorhersagen, wie etwa, dass Regulierungsbehörden und Industrie (nicht-traditionelle Unternehmen eingeschlossen) enger zusammenarbeiten und zur Risikoerkennung Echtzeitdaten und fortschrittliche Analysen gemeinsam nutzen würden und dass Technologien der «neuen Generation» schneller angewandt würden, von denen wir erwarteten, dass sie sich in fünf Jahren bewahrheiten würden, innert weniger Wochen eingetroffen oder sind auf dem Weg dorthin. Wir gehen davon aus, dass sich Regulierungsstellen und Unternehmen weiter entwickeln werden. Das, was gut funktioniert hat, werden sie erkennen und übernehmen. Dies wiederum dürfte zu einem kooperativeren, kohärenteren und transparenteren Ansatz bei der Regulierung führen und – was wichtig ist – den Zugang zu medizinischen Produkten verbessern.

Autoren

Eleonora Lena, Senior Consultant Deloitte Schweiz
Paul van Geffen, Senior Manager Deloitte Niederlande

Kontakte

Douglas McKinnell, Partner, Deloitte Schweiz

Doug arbeitet in Basel, wo er das Team für regulatorische Risiken im Bereich Life Sciences von Deloitte in der Schweiz leitet. Mehr als 15 Jahre lang hat Doug umfassende Erfahrungen mit Arzneimittelbehörden in Europa gesammelt. Während dieser Zeit leitete er gross angelegte und komplexe Risikomanagement-Programme für globale Pharmakunden. Dougs Hauptinteresse gilt dem Erarbeiten von Strategien und Geschäftsmodellen, die es Unternehmen ermöglichen, aus regulatorischen Veränderungen Mehrwert zu generieren. Er spezialisiert sich auf die Entwicklung und Leitung von Geschäftstransformationsprogrammen, die sich die regulatorische Agenda zunutze machen, um den Betrieb zu optimieren und die Produktivität zu steigern.

Email

Eleonora Lena, Senior Consultant, Deloitte Schweiz

Eleonora ist Senior Consultant im Bereich Life Sciences Advisory mit Sitz in Basel, Schweiz. Sie verfügt über jahrelange Beratungserfahrung im Bereich der Biowissenschaften und konzentriert sich darauf, Kunden aus den Branchen Medizintechnik und Pharmazie dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von Änderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen auf ihre Geschäftsmodelle zu verstehen und zu steuern. Ihre Spezialgebiete sind regulatorische Intelligenz, regulatorische Analyse und Positionierung bei Entscheidungsträgern.

Email
 

Combating COVID-19 with resilience

1. https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/technical-guidance-publications?healthtopics=b6bd35a3-cf4f-4851-8e80-85cb0068335b&publishingoffices=aeebab07-3d0c-4a24-b6ef-7c11b7139e43&healthtopics-hidden=true&publishingoffices-hidden=true
2. https://www.fda.gov/emergency-preparedness-and-response/counterterrorism-and-emerging-threats/coronavirus-disease-2019-covid-19
3. https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response/public-health_en
4. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32020H0403
5. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020XC0519(01)&from=EN
6. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/883334/Essential_Technical_Specifications__5_.pdf
7. Die Schweiz ist ein Beispiel: https://www.swissmedic.ch/swissmedic/en/home/news/coronavirus-covid-19/br-versorgungsengpaesse.html
8. https://www.fda.gov/medical-devices/emergency-situations-medical-devices/emergency-use-authorizations
9. https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/a247dab0-6794-11ea-b735-01aa75ed71a1/language-en
10. https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/rese_03apr20_e.pdf
11. https://www.wto.org/english/tratop_e/covid19_e/export_prohibitions_report_e.pdf
12. http://www.wcoomd.org/en/topics/facilitation/activities-and-programmes/natural-disaster/list-of-countries-coronavirus.aspx
13. https://www.politico.eu/article/macron-urges-massive-increase-in-local-production-of-medical-equipment/
14. https://unctad.org/en/pages/newsdetails.aspx?OriginalVersionID=2375
15. https://www.theverge.com/2020/4/15/21222219/general-motors-ventec-ventilators-ford-tesla-coronavirus-covid-19
16. https://www.businessinsider.com/luxury-fashion-moguls-donating-to-combat-coronavirus-giorgio-armani-2020-3?r=US&IR=T
17. https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/coronavirus-covid-19-update-fda-continues-facilitate-access-crucial-medical-products-including
18. https://www.fda.gov/media/136437/download
19. https://www.covidlifesavermask.com/
20. https://www.scientificamerican.com/article/snorkeling-mask-apparatus-might-help-covid-19-patients-avoid-intubation/
21. https://www.swissmedic.ch/swissmedic/en/home/news/coronavirus-covid-19/mu500_00_014d_mb.html
22. https://www.ventilatorchallengeuk.com/
23. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020XC0519(01)&from=EN
24. https://www.gov.uk/government/news/uk-medicines-and-medical-devices-regulator-investigating-14-cases-of-fake-or-unlicensed-covid-19-medical-products
25. https://www.swissmedic.ch/swissmedic/en/home/medical-devices/overview-medical-devices/information-on-specific-medical-devices/nicht_konformen_medizinischen_gesichtsmasken.html
26. https://www.tga.gov.au/behind-news/expedited-recall-system-faulty-or-unauthorised-covid-19-devices
27. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020D0414&from=EN
28. https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/uk/Documents/life-sciences-health-care/deloitte-uk-life-sciences-regulation-predictions-2025.pdf

Fanden Sie diese Seite hilfreich?