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Jenseits der gläsernen Decke: Frauen in Führungsgremien

Globale Deloitte-Studie „Women in the boardroom”

Die Hälfte der Menschheit ist weiblich. Doch in den Boards, Aufsichtsräten und Vorständen der Welt beträgt der Frauenanteil nur ein Fünftel – oder genauer gesagt 19,7 Prozent, wie die globale Deloitte-Studie „Women in the boardroom“ belegt. Ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Missstand, der oft mit dem Bild von der gläsernen Decke umschrieben wurde: Eine auf den ersten Blick unsichtbare, aber wirksame Barriere bremst den gleichberechtigten Aufstieg hochqualifizierter Frauen in die höchsten Führungsebenen.

In den letzten Jahren haben Unternehmen und Regulatoren stetig daran gearbeitet, dass diese Barriere durchlässiger wird. Dennoch vollzieht sich diese Verfahrensweise nach wie vor zu langsam. So würde es bei der aktuellen Zuwachsrate des Frauenanteils bis 2041 dauern, in Aufsichtsräten und Vorständen Parität zwischen Frauen und Männern zu erreichen. Immerhin hat sich diese Zeitspanne gegenüber 2019 deutlich verkürzt. Damals war das projizierte Datum noch 2052.

Willkommen im Boardroom

Wie sieht die Lage in der deutschen Wirtschaft aus? Global betrachtet eigentlich ganz ordentlich. Die Studie „Women in the boardroom“ nennt detaillierte Zahlen für 72 Länder aus allen Weltregionen und erlaubt somit aufschlussreiche Vergleiche. Deutschland liegt mit 28,9 Prozent Frauenanteil in Führungs-gremien international auf Rang 12, deutlich über dem Durchschnitt und z.B. vor den USA (23,9 %). Wobei man anmerken muss, dass in den globalen Schnitt auch Regionen einfließen, wo Frauen aus kulturell-traditionellen Gründen grundsätzlich weniger repräsentiert sind – etwa in Japan (8,2 %) oder in Katar (1,2 %), dem Schlusslicht der Studie.

Daher verspricht der Blick auf ähnliche Nachbarn ein realistischeres Bild, und gegenüber dem EU-Schnitt von 30,7 Prozent sind Deutschlands 28,9 Prozent allenfalls Mittelmaß. Umso mehr im Vergleich mit dem weltweiten Spitzenreiter Frankreich (43,2 %). Und es gibt einen weiteren Wermutstropfen: Bei den CEOs hinkt Deutschland mit 3,8 Prozent Frauenanteil klar hinterher – sowohl gegenüber der EU (6,7 %) als auch gegenüber dem globalen Schnitt (5,0 %). Insgesamt steigt der Frauenanteil aber auch in Deutschland kontinuierlich an. Unter CFOs war zuletzt ein besonders erfreulicher Zuwachs zu verzeichnen: Der Anteil verdoppelte sich seit dem letzten Report von 6 auf 12,3 Prozent.

Quoten sind gut, aber sie sind nicht alles

Einen wesentlichen Beitrag zum Fortschritt in Deutschland brachte die Gesetzgebung von 2015 mit einer Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte großer Unternehmen. 2021 wurde nachgelegt: Das "Zweite Führungspositionengesetz" bringt u. a. ein Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände. Dazu kommen weitere Faktoren wie der 2019 novellierte Deutsche Corporate Governance Kodex mit seinen „comply or explain“-Vorgaben. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass sich die Situation hierzulande in Zukunft weiter verbessern wird. Dass Quoten für Führungsgremien grundsätzlich effektiv sind, daran besteht kein Zweifel. Das zeigt wiederum Frankreich, wo seit 2017 eine gesetzliche Quote von 40 Prozent greift (ab einer bestimmten Unternehmensgröße), die ganz klar Wirkung zeigt.

Andererseits müssen Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils auch zum landesspezifischen Kontext passen. Irene Dorner, u.a. Board Chair beim britischen Hausbauer Taylor Wimpey plc, erklärt in einem Interview der Studie: „Im Vereinigten Königreich gibt es seit Jahren einen kulturellen Widerstand gegen Quoten.“ Was dort aber funktioniere, sei „naming and shaming“, also letztlich die Herstellung von Transparenz etwa durch Reporting. Immerhin erreicht das Vereinigte Königreich mit 30,1 Prozent einen besseren Wert als Deutschland und kommt weltweit auf Platz 9. Dorner verweist auf einen weiteren Erfolgsfaktor, ohne den Quoten allein wenig nützen: Auch auf tieferen Ebenen des Managements muss der Frauenanteil erhöht werden. Sonst fehlt der nötige Pool zur Rekrutierung des weiblichen Spitzenpersonals.

Zusätzlich muss beachtet werden, dass Quoten in Unternehmen unterhalb der Mindestgröße nichts bewirken. Hier kommt es stattdessen auf einen umfassenden Kulturwandel an, wie die Expertin Laura Whitcombe im Deloitte-Report im Hinblick auf Deutschland anmerkt. Sie arbeitet als Global Campaign Coordinator für die Organisation „30% Club“, einem Verband für die Erhöhung der Frauenquote, der an der neuen Deloitte-Studie beteiligt ist. Gerade für den deutschen Mittelstand sind solche Initiativen und regulatorischer Vorgaben wichtig. Allerdings bleiben Quoten nach wie vor ein wertvoller Baustein für die Erhöhung des Frauenanteils in Führungsgremien.

Die Studie kann eine häufig erwähnte Kritik, dass Quoten nämlich zu einer Zunahme von Mehrfachmandaten führen, entkräftigen. Einige Länder, in denen schon länger eine Quote existiert, weisen einen vergleichsweise niedrigen „stretch factor“-Wert bei weiblichen Board-Mitgliedern auf, also bei jener Metrik, mit der die Studienautoren Mehrfachmandate beziffern. Dazu gehören etwa Frankreich und Norwegen.

Diversität zahlt sich aus

Wie sollte es dementsprechend weitergehen? Letztlich kommt es darauf an, sich zu vergegenwärtigen, dass die Erhöhung des Frauenanteils insbesondere auch den Unternehmen selbst nützt. Für Stakeholder wie etwa Investoren stellt das Thema im Rahmen von „Diversity, Equity, and Inclusion“ (DE&I) und der ESG-Ziele heute ein wichtiges Kriterium dar. Vor allem aber ist längst bewiesen, dass ein hoher Frauenanteil in Führungsgremien mit einer signifikant besseren finanziellen Performance korreliert. Weitere Anstrengungen sind also alles andere als eine moralische Pflichtübung, sondern allein schon ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Ob per Quote oder anders: Es gibt viele Wege, die zum Ziel führen. Die Hauptsache ist, dass die Reise jetzt entschlossen fortgesetzt wird.


Weitere Ergebnisse und Erkenntnisse der globalen Deloitte-Studie „Women in the boardroom“ erfahren Sie hier.