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Finanzbericht­erstattung in Zeiten von COVID-19 

Ausgewählte Themen für kapitalmarktorientierte Unternehmen

Die wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 und die daraus resultierenden Unsicherheiten stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Im Hinblick auf die Finanzberichterstattung – beispielsweise in Form der anstehenden Zwischenberichterstattung – finden Sie hier ausgewählte Themen mit hoher Relevanz in Zeiten von COVID-19.

Die zur Verminderung der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie getroffenen Maßnahmen haben teils weitreichende Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Viele Unternehmen stehen einer großen Unsicherheit hinsichtlich ihrer künftigen Entwicklung gegenüber. Dies stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, diese Situation sachgerecht in ihrer Finanzberichterstattung abzubilden. Nachfolgend haben wir ausgewählte Themen zusammengestellt, die im Rahmen der Pandemie eine hohe Relevanz für die Finanzberichterstattung haben können. Zu den Auswirkungen von COVID-19 auf die Bilanzierung von Finanzinstrumenten verweisen wir auf unsere separate Publikation „Finanzinstrumente und COVID-19“. 

Infoblatt Finanzberichterstattung in der Zeit von COVID-19

1. Wesentliche Annahmen und Schätzungen

Aufgrund der Unsicherheit aus der Pandemie sind Unternehmen gerade in diesen Zeiten mit der großen Herausforderung konfrontiert, angemessene Annahmen zu treffen und verlässliche Schätzungen vorzunehmen. Zahlreiche Bilanzierungssachverhalte – etwa die Ermittlung des erzielbaren Betrags beim Wertminderungstest (IAS 36) und Rückstellungen für Restrukturierungsmaßnahmen oder drohende Verluste – basieren auf Annahmen und Schätzungen, die auf allen verfügbaren Informationen basieren müssen. Der umfassenden Beschaffung und der abgewogenen Auswertung dieser Informationen kommt hierbei eine ganz besondere Bedeutung zu.

Fact Sheet about financial reporting in times of COVID-19

2. Going Concern

In Folge von COVID-19 und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen müssen Unternehmen einschätzen, ob sie in ihrer spezifischen Situation weiterhin die Fähigkeit haben, die Unternehmensfortführung für mindestens zwölf Monate und, sofern entsprechende Informationen vorliegen, darüber hinaus zu gewährleisten. Die Entscheidung, ob Abschlüsse unter der Prämisse der Unternehmensfortführung erstellt werden können, dürfte unter den aktuellen Bedingungen in besonderem Maße eine ermessensbehaftete Einschätzung unter hoher Unsicherheit sein. Unternehmen müssen für die Beurteilung die spezifischen Umstände des Unternehmens und dessen Risiken sorgfältig abwägen. Ist die Fähigkeit zur Unternehmensfortführung nicht gegeben, ist der Abschluss unter dieser Prämisse aufzustellen.

3. Wertminderungen

Unternehmen müssen beurteilen, ob aufgrund der Auswirkungen von COVID-19 eine Wertminderung des Goodwill oder anderer Vermögenswerte erforderlich ist. Ein Wertminderungstest ist gemäß IAS 36 durchzuführen, wenn Hinweise darauf vorliegen, dass ein Vermögenswert zum Berichtszeitpunkt wertgemindert sein könnte (triggering event). Eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Konsequenzen der COVID-19-Pandemie für Unternehmen zur Aufdeckung von triggering events ist erforderlich. Bei der Durchführung des Wertminderungstests stehen Unternehmen vor der Herausforderung, in der derzeitigen Situation verlässliche zukünftige Zahlungsmittelzuflüsse zu schätzen (siehe auch 1.) und angemessene Zinssätze zu identifizieren. 

4. Vorräte

Die COVID-19-Pandemie kann auch die Werthaltigkeit des Vorratsvermögens massiv beeinflussen. Eine Reduktion des erwarteten zukünftigen Nettoveräußerungswerts oder eine Erhöhung der anfallenden Kosten könnten eine Wertminderung des Vorratsvermögens gemäß IAS 2 erfordern. So könnte sich ein Wertminderungsbedarf bspw. daraus ergeben, dass saisonale Produkte oder Produkte mit einer begrenzten Haltbarkeit derzeit nicht veräußert werden können. Aufgrund des derzeitigen unsicheren Marktumfelds dürften Unternehmen bei der Ermittlung des Nettoveräußerungswerts vor komplexen Herausforderungen stehen. Produzierende Unternehmen dürften zudem mit der Frage konfrontiert werden, wie Personal- und Materialknappheit sowie Produktionsausfälle bei der Ermittlung der Herstellungskosten des Vorratsvermögens zu behandeln sind.

5. Rückstellungen für belastende Verträge

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie können zusätzliche Kosten für Unternehmen verursachen, die zur Erfüllung von Verpflichtungen aus zuvor geschlossenen Verträgen erforderlich sind, sodass die unvermeidbaren Kosten den erwarteten Nutzen aus diesen Verträgen übersteigen. Beispielsweise könnte dies im Vorfeld abgeschlossene Beschaffungsverträge betreffen, wenn das Preisniveau des Endprodukts durch die COVID-19-Pandemie unter den Beschaffungspreis gesunken ist oder das Endprodukt gar nicht mehr veräußert werden kann. In solchen Fällen kommt es gemäß IAS 37 zur Bildung einer Rückstellung aus belastenden Verträgen, wobei die Rückstellung in Höhe des für die Vertragserfüllung notwendigen geringstmöglichen Betrags anzusetzen ist. Entsprechend sind die genauen Vertragsbedingungen (u.a. Strafzahlungen bei Nichterfüllung, höhere Gewalt) detailliert zu analysieren und entsprechend zu berücksichtigen. Zu beachten ist hierbei, dass IAS 37 den Ansatz von zukünftigen operativen Verlusten als Rückstellung untersagt.

6. Restrukturierungsrückstellungen

In der durch die COVID-19-Pandemie belasteten wirtschaftlichen Situation dürften einige Unternehmen Restrukturierungspläne erwägen oder implementieren. Beispiele für Restrukturierungsmaßnahmen sind die Reduktion oder Einstellung von Teilen der Geschäftstätigkeit oder ein vorübergehender oder dauerhafter Personalabbau. In diesen Fällen stehen Unternehmen neben den operativen Herausforderungen einer Restrukturierung auch vor der Frage, ob eine Restrukturierungsrückstellung gemäß IAS 37 zu bilden ist. Hierbei dürften die Prüfung der Voraussetzungen (u.a. Vorliegen eines detaillierten Restrukturierungsplans, Hervorrufen einer berechtigten Erwartung, dass die Restrukturierung umgesetzt wird) und die Schätzung einer angemessenen Rückstellungshöhe die betroffenen Unternehmen fordern.

7. Erstattungsansprüche gegenüber Versicherungen

Unternehmen, die Ausfälle oder Verluste aus den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erleiden, dürften unter Umständen Ansprüche auf Versicherungsleistungen haben, sofern die Versicherung auch Pandemien wie COVID-19 abdeckt. Solche Ansprüche dürfen gemäß IAS 37 nur dann bereits als separater Vermögenswert aktiviert werden, wenn der Erhalt der Erstattung von der Versicherung so gut wie sicher (virtually certain) ist. Diese Beurteilung dürfte eine nicht unerhebliche Herausforderung für die Unternehmen darstellen, da die Einschätzung ermessensbehaftet ist und neben den Versicherungsbedingungen alle relevanten Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen sind.

8. Leasingverhältnisse

Aus den Auswirkungen von COVID-19, wie geschlossenen
Geschäften und Restaurants, ergeben sich zahlreiche Implikationen für die
Bilanzierung von Leasingverhältnissen gemäß IFRS 16. So könnte die
Wertminderung von bilanzierten Nutzungsrechten erforderlich werden. Ebenso
dürften Mietzahlungen ausgesetzt oder gestundet werden, entweder, weil dies
bereits vertraglich vorgesehen war (z.B. Klauseln im Falle von höherer Gewalt)
oder weil dies vor dem Hintergrund von COVID-19 nachträglich vereinbart wurde. Letzteres könnte eine Anpassung des Leasingverhältnisses (lease modification) darstellen.

9. Zuwendungen der öffentlichen Hand

Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie wurden in vielen Ländern staatliche Hilfsmaßnahmen für Unternehmen aufgesetzt oder sind in Planung. Hier stellt sich für Bilanzierende jeweils die Frage, ob die Hilfsmaßnahmen in den Anwendungsbereich des IAS 20 fallen oder unter Anwendung eines anderen Standards zu bilanzieren sind. Während bspw. Zuschüsse für Personalaufwendungen oder den Ausbau von Krankenhäusern grundsätzlich gemäß IAS 20 zu bilanzieren sind, fallen ertragsteuerliche Erleichterungen regelmäßig in den Anwendungsbereich von IAS 12. Eine Ausnahme stellen die sog. „investitionsabhängigen Steuergutschriften“ (investment tax credits) dar. Staatliche Darlehen mit einer Option auf einen Schuldenerlass sowie staatliche Darlehen, deren Zinssätze unter dem Marktzins liegen, fallen in den Anwendungsbereich des IAS 20. Beim Kurzarbeitergeld ist dies hingegen nicht der Fall, da es sich hierbei um einen durchlaufenden Posten für das Unternehmen handelt. Ob staatliche Maßnahmen als gemäß IAS 20 zu bilanzierende Unterstützung oder in anderer Weise abgebildet werden müssen, ist somit im Einzelfall genau zu prüfen. 

10. (Latente) Ertragsteuern

Unternehmen müssen sich damit auseinandersetzen, wie sich der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Bilanzierung der Ertragssteuern gemäß IAS 12 auswirkt. Neben einer Vielzahl weiterer Sachverhalte dürfte insbesondere zu beurteilen sein, inwieweit aktive latente Steuern vor dem Hintergrund möglicherweise ausbleibender zukünftiger Gewinne sowie der aktuellen Planungsunsicherheit noch werthaltig und ggf. auszubuchen sind. Darüber hinaus ergibt sich ein weiterer Anpassungsbedarf bei den erfassten latenten Steuern, beispielsweise, wenn Vermögenswerte in Abweichung zur steuerlichen Vorgehensweise wertgemindert oder Rückstellungen für belastende Verträge gebildet werden, da letztere u.a. in Deutschland steuerlich nicht zulässig sind.

11. Zwischenberichterstattung

IAS 34 verpflichtet Unternehmen, in ihrer Zwischenberichterstattung Ereignisse und Transaktionen darzustellen, die für das Verständnis der Veränderungen von Bilanz und Ergebnisrechnung seit dem letzten Geschäftsjahr des Unternehmens wesentlich sind. Da der letzte Konzernabschluss in der Regel nur im Anhang erste Informationen zu COVID-19 (als nicht zu berücksichtigendem Ereignis gemäß IAS 10) beinhaltet haben dürfte, sind insbesondere bei stark betroffenen Unternehmen umfassende Informationen zum Einfluss von COVID-19 in den Quartals- oder Halbjahresbericht aufzunehmen und die bilanziellen Implikationen der Pandemie zu berücksichtigen.

12. Zwischenlageberichterstattung

Neben dem Abschluss hat sich die COVID-19-Pandemie auch in der (Zwischen-)Lageberichterstattung widerzuspiegeln. Der Zwischenlagebericht nach DRS 16 („Halbjahresfinanzbericht“) hat die wichtigsten Ereignisse des Berichtszeitraums für das Unternehmen und ihre Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dazustellen. Liegen bestandsgefährdende Risiken vor, sind diese als solche zu nennen und explizit in den Zwischenlagebericht aufzunehmen. Auch wesentliche Änderungen der Chancen und Risiken gegenüber dem Lagebericht zum letzten Geschäftsjahresende sind anzugeben. Insbesondere ist über wesentliche Veränderungen der Prognosen und sonstiger Aussagen zur voraussichtlichen Entwicklung zu berichten. Hierbei kann sich das Unternehmen auf die aus seiner Sicht wesentlichen Prognosen und sonstigen Aussagen beschränken. Sofern die Prognose angepasst werden müsste, wäre nach DRS 20.133 im Falle einer außergewöhnlich hohen Unsicherheit aufgrund gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, die die Prognosefähigkeit des Unternehmens wesentlich beeinträchtigt, eine rein komparative Prognose oder eine Darstellung verschiedener Zukunftsszenarien unter der Angabe der jeweiligen Annahmen ausreichend.

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