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Voice-Commerce: Interview mit Egbert Wege

Wie Sprachassistenten den Handel verändern – Perspektiven und Handlungsoptionen

Im Experten-Interview blickt Egbert Wege, der als verantwortlicher Partner die Strategieberatung Monitor Deloitte und den Bereich Retail leitet, in die Zukunft des Handels. Wie können sich Händler für Voice-Commerce aufstellen? Und was bedeutet diese Entwicklung für den Kunden?

Viele Menschen kennen Sprachassistenten bereits vom Smartphone. Welchen konkreten Mehrwert bietet Ihrer Meinung nach der Einsatz dieser Technologie im Handel für die Kunden? Und wie verändert sich die Customer Experience durch Voice-Commerce?

Das Smartphone ist fester Bestandteil unseres Alltags – und damit auch die integrierten Sprachassistenten zur Steuerung des Smartphones. Der Mehrwert der Technologie für den Handel entsteht also letztendlich dadurch, dass der Umgang mit Voice-assisted Interfaces bereits zur einer erlernten Verhaltensweise geworden ist, weil die Menschen schon seit zwei, drei Jahren Google Assistant, Siri, Alexa oder andere Tools kennen und nutzen.


Für Voice-Commerce schafft dieses Verhalten die Grundlage: Wenn Konsumenten sich an die Technologie erst einmal gewöhnt haben, ist es nur naheliegend, auch Sprache als einen weiteren Kommunikations- oder Kaufkanal zu nutzen. Was steckt dahinter?

Im Wesentlichen ist es das Thema Sprache als Eingabe- und Ausgabekanal sowie KI in der Mitte. Für die Customer Experience im Handel bedeutet das letztendlich, dass der Kunde eine noch bessere Beratungsleistung erhalten wird. Über den Sprachassistenten ist sogar eine persönliche Ansprache möglich, wie der Kunde das von Loyalitätsprogrammen oder seinem Verkäufer aus dem Laden kennt, was sich heutzutage technisch problemlos umsetzen lässt. Der große Vorteil von Voice-Commerce ist, dass ich stationär wie auch online eine bessere Beratung erhalte, weil meine Fragen sofort beantwortet werden.

Die größte Frustration für Kunden entsteht ja, wenn sie im Laden stehen und irgendwelche Informationen haben wollen – etwa im Möbelhandel, wenn es darum geht, welchen Härtegrad eine Matratze hat – und in dem Moment keiner da ist, der sie berät. Das heißt zusammengefasst: Durch Voice-Commerce wird die Customer Experience aus Kundensicht viel besser, weil ich wirklich jederzeit mit meinem Händler in Kontakt treten kann, mir alle Informationen sofort zur Verfügung stehen, und das Ganze auch noch einen persönlichen Touch hat.


Wenn sich Voice-Commerce auf breiter Front durchsetzt: Welche Auswirkungen hat das für den stationären Handel? Wie kann der darauf reagieren?


Wie ich bereits bei meinem Vortrag auf dem Deutschen Handelskongress 2018 gesagt habe: Es ist eine Chance für den stationären Handel. Warum? Weil ich als Händler dadurch einen Kundenkanal erhalte, der es mir ermöglicht, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr mit dem Konsumenten in Verbindung zu stehen. Er kann – wann immer er möchte – über die Sprachfunktion zu mir Kontakt aufnehmen, auch dann, wenn etwa kein verfügbarer Mitarbeiter im Ladengeschäft bereitsteht. Ich kann ihn zu meinen Produkten, die ich im stationären Bereich anbiete, nicht nur besser beraten, sondern habe jederzeit die Möglichkeit, in eine Interaktion einzutreten, um ein Verkaufsgespräch zu führen oder Upselling und Cross-Selling zu betreiben. Das heißt, wenn jemand nach einem weißen T-Shirt sucht und das dann in meinem Shop gefunden hat, kann ich ihm ohne Probleme über den Sprachassistenten auch noch in der Beratung empfehlen: „Dazu würde eine blaue Hose passen“ und über den Kanal „Bild“ zeige ich ihm eine blaue Hose an – so kann der Kunde im Fashion-Bereich eine Modeberatung bekommen, die über die KI und die Kanäle „Sprache“ und „Bild“ funktioniert.
Eine weitere Chance ist, dass Voice-Commerce eine engere Zusammenarbeit zwischen Händlern und Herstellern ermöglicht. So können Hersteller etwa im Lebensmitteleinzelhandel wichtige Informationen über das Produkt bezüglich der Herkunft, Ökologie oder Nachhaltigkeit viel besser gemeinsam mit dem Händler kommunizieren und den Konsumenten umfassender informieren.


Sehen Sie denn hier neben den positiven Aspekten von Voice-Commerce auch Limitationen oder sogar Risiken?

Es gibt einen Aspekt, wo der Handel aufpassen muss: Für die Hersteller ergibt sich über das Thema Voice-Commerce nämlich die Möglichkeit, direkt mit dem Konsumenten in Verbindung zu treten; das sieht man heute beispielsweise schon in Asien. Das heißt, ein Hersteller, der eine sehr starke Marke hat, kann so – unabhängig davon, welches der in unserer Studie beschriebenen Szenarien künftig eintritt – direkt über den Plattformbetreiber in Kontakt mit dem Kunden treten, und der Handel bleibt außen vor. Das gab es über die heute existierenden Marktplätze noch nicht in diesem Maße, da wird „Voice“ sicherlich noch einiges verändern.

Um noch kurz zu den Limitationen von Voice-Commerce zu kommen: Wie ich vorhin schon gesagt habe, wird die Customer Experience profitieren, aber es wird natürlich so sein, dass ich auch bei diesem Thema kein haptisches Einkaufserlebnis schaffen kann. Der spontane Kaufimpuls „ich sehe etwas und will es haben“ ist über Voice-Commerce nicht so stark ausgeprägt wie beim stationären Einkauf, wo ich die Produkte gleich anfassen und ausprobieren kann.
Eine weitere Einschränkung gilt, wenn ich Produkte anbiete, die sehr beratungsintensiv sind. Diese alleine über die Sprachassistenzfunktion im Voice-Commerce zu verkaufen, wird schwierig, weil auch weitere Kommunikations-Kanäle miteinbezogen werden müssen. Hier wird es so sein, dass auch künftig, in welcher Form auch immer, ein physischer Beratungsprozess folgen muss. Etwa, dass jemand zum Kunden nach Hause kommt und ihn dort berät, oder dass der Kunde beim Händler oder Hersteller Beratung erhält.


Was ist Ihre Empfehlung an Händler und Hersteller, die sich dem Thema Voice-Commerce öffnen wollen – wie sollten sie dabei am besten vorgehen?

Hier gilt das Motto „Trial & Error“ – ich empfehle, das am besten jetzt sofort auszuprobieren und nicht erst zu warten, bis es eine Lösung gibt, die schon sehr weit verbreitet ist. Je nach Größe des Händlers ergeben sich zwei Stoßrichtungen. Die eine ist natürlich, sich heute einer der großen Plattformen anzuschließen, also Apple, Google oder Amazon. Die Gespräche, die wir mit dem Handel führen, zeigen, dass einige es als kritisch ansehen, dass Amazon ein eigener Händler ist, und deshalb die Zusammenarbeit mit Google bevorzugen. Dort erhalten sie dann eine abgekapselte Lösung, bei der sie ihre eigenen Daten innerhalb der Google-Welt haben und damit die Möglichkeit, über den Kooperationspartner ins Thema Voice-Commerce einzusteigen. Ein zweites Modell ist, die Sache selbst in die Hand zu nehmen mit einer Eigenentwicklung, aber dafür muss man schon relativ groß sein. Es wäre in dem Fall ratsam, Koalitionen und Allianzen mit anderen Händlern zu bilden, die nicht in einem direkten Konkurrenzverhältnis stehen. Da gibt es bereits einige Initiativen im Handel, die das aktuell prüfen. Das sind, realistisch gesehen, die beiden Möglichkeiten. Als mittelgroßer oder kleinerer Händler selbst etwas zu entwickeln, ist derzeit nicht ratsam, weil sehr viel Know-how und Ressourcen nötig sind, um diese KI-basierten Sprachassistenz-Systeme zu trainieren.


Welche Kompetenzen müssen Händler und Hersteller entwickeln, um sich in einem zunehmend von Voice Commerce geprägten Markt zu behaupten?

Zuerst einmal sicherlich die technologische Kompetenz, sich müssen sich also mit dem Thema Künstliche Intelligenz und den dazugehörigen Ausgabe- und Eingabeformaten wie Texterkennung und Spracherkennung beschäftigen. Das Zweite betrifft eine Fähigkeit, die am Ende wahrscheinlich sogar noch wichtiger ist, denn die Technik kann man sich notfalls auch einkaufen. Die entscheidende Frage bei Voice-Commerce lautet nämlich: Wie bespiele ich meine eigenen Touchpoints, die ich in der Customer Journey habe? Und da bedarf es einer übergreifenden Steuerung, viel mehr noch als es bereits heute im Handel der Fall ist. Händler und Hersteller müssen lernen, wie sie Werbung oder Beratungsprozesse im Bereich Voice-Commerce platzieren können und wie sie sinnvolle Use-Cases schaffen können, um den maximalen Nutzen aus der Technologie zu ziehen und dabei auch gleich Payment- oder Wartungsprozesse zu integrieren.


Diese Kompetenzen zu entwickeln, ist ja nicht ganz einfach, weil das Thema so neu ist. Kann es da sinnvoll sein, sich Beratung einzuholen?

Ich denke, es ist wichtig, sich klar zu werden, welche Optionen es überhaupt gibt, bevor man sich entscheidet, in Systeme, Ressourcen oder Mitarbeiter für Voice-Commerce zu investieren – da kann eine anfängliche Beratung sicher Klarheit schaffen. Das muss auch kein langlaufendes Projekt sein, denn es lässt sich bereits in kurzer Zeit eine Landkarte der Möglichkeiten aufzeichnen, die man für sein Geschäftsmodell beim Thema Voice-Commerce und sprachliche Assistenzfunktionen hat. Um dann zu entscheiden, was tatsächlich für einen Händler die relevanten und richtigen Lösungsvorschläge sind. Wir von Deloitte haben gemeinsam mit Google und einigen großen Händlern in unserer Studie Beyond Touch: Voice-Commerce 2030 aufgezeigt, welche verschiedenen Zukunftsszenarien plausibel sind und welche Handlungsalternativen sich daraus ergeben. Das ist zur Orientierung ein guter Einstieg ins Thema.


Deutschen Konsumenten sind Datenschutz und Datensicherheit besonders wichtig, auch die regulatorischen Vorgaben sind hierzulande strenger als in USA oder Asien (Stichwort DSGVO). Was bedeutet das für die künftige Entwicklung von Voice Commerce in Deutschland?

Ich sehe das als einen riesigen Vorteil! Und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen haben wir bei diesem Thema einen Kompetenzvorsprung. Weil wir die Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung, die zu diesem Thema sicherlich eine der strengsten der Welt ist, in Deutschland noch konsequenter handhaben als andere europäische Länder. Deshalb berücksichtigen wir bei allen Produkten, die wir entwickelt, den Datenschutz von vornherein in ganz besonderem Maße. Zugleich stellt die DSGVO für Plattformlösung aus Asien, wie etwa Alibaba, eine Eintrittshürde dar: Sie müssen letztendlich diese hohen Datenschutzrichtlinien erfüllen, um in Deutschland auf dem Markt aktiv zu sein. Das kann Raum und Platz lassen für eine deutsche Lösung, wo sich Allianzen bilden, vielleicht auch mit einem der Plattformbetreiber zusammen. Zu guter Letzt hätte eine derartige deutsche Lösung wohl auch noch eine bessere Akzeptanz bei den Konsumenten. Man denke nur an die zahlreichen Daten-Skandale der jüngsten Vergangenheit, die bei vielen deutschen Konsumenten den Eindruck geweckt haben, die großen Internet-Konzerne aus dem Ausland seien intransparente „Datenkraken“. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich glaube, ohne die DSGVO wäre die realistische Chance einer Allianz für Voice Commerce oder sprachbasierte Assistenzfunktionen in Deutschland gering.

Erfahren Sie mehr über die Zukunft digitaler Sprachasistenten und ihr Potenzial in der Studie „Beyond Touch – Voice Commerce 2030“, in der wir die Chancen und Risiken der neuen Technologie für Händler und Hersteller analysieren.

Beyond Touch – Voice Commerce 2030
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