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Autobanken: Treiber des Mobilitätswandels

Über die Entwicklungen der Automotive Captives bis 2030 | Ein Interview mit Sebastian Pfeifle, Global Auto Finance Lead, Deloitte

Die Finanzdienstleister der Automobilhersteller haben sich zu den „Hidden Champions“ der Autobranche entwickelt. Mit ihren Leasing- und Finanzierungsangeboten treiben sie den Absatz der jeweiligen Automarken enorm an. Liegt dort auch ihre Zukunft oder wird sich das Geschäftsmodell der Autobanken ändern müssen? Darüber haben wir mit Sebastian Pfeifle, Global Auto Finance Lead bei Deloitte, gesprochen.

Herr Pfeifle, die Autobanken, auch Captives genannt, stehen im Mittelpunkt des Mobilitätswandels. Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie bis 2030?

Wir werden in den kommenden zehn Jahren mehr Veränderungen in der Auto Finance Industrie erleben als in den letzten 30 Jahren – davon bin ich überzeugt. Kunden verlangen nach flexibleren Nutzungsmodellen, die fortschreitende Vernetzung des Autos mit seiner Umwelt wird neue Services ermöglichen, Vertriebskanäle müssen überdacht werden. Die Hersteller haben erkannt, dass zukünftig mit der Nutzung des Fahrzeugs über den Lebenszyklus mehr zu verdienen ist als mit dem einmaligen Verkauf des Neufahrzeugs. Das zieht auch neue, unabhängige Player an, die den Markt betreten und die etablierten Größen unter Druck setzen werden.

Inwieweit müssen sich in diesem Zuge das Geschäftsmodell und das Angebot der Autobanken flexibilisieren? 

Das heutige Geschäftsmodell der Captives ist relativ stabil, aber die Finanzierungsmodelle sind eher unflexibel. Leasing- und Kreditkunden zahlen über eine Vertragslaufzeit von durchschnittlich drei Jahren eine feste monatliche Rate. Gerade jüngere Generationen fordern aber immer stärker flexiblere, anpassbare Angebote wie z.B. Pay-per-Use-Modelle oder Abo- bzw. On-demand-Services. Wollen Captives künftig wettbewerbsfähig bleiben, müssen sie agiler werden und ihre Produkt- und Serviceportfolios anpassen. Das setzt auch voraus, dass sie ihr Denken und Handeln von der bisher vorherrschenden Produktfokussierung auf eine stärkere Kundenzentrierung umstellen.

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Captives könnten künftig zum Rundumanbieter für Mobilitätskunden werden. Ein Großteil der neuen Mobilitätsmodelle wird auf herstellerübergreifenden Flotten basieren. Hier sehe ich eine große Chance für Captives, diese Flotten zu finanzieren und zu betreiben. Außerdem wird ihr klassisches Geschäftsmodell durch ein servicebasiertes Geschäft ergänzt – das können nutzungsbasierte Versicherungsoptionen, Connected Car Services oder Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing sein. Damit gewinnen Subscription- und nutzungsbasierte Bezahlmodelle immens an Bedeutung. Die festen monatlichen Raten werden durch flexible Raten ersetzt, ergänzende Optionen können nach Bedarf on demand hinzugebucht werden. Dieses servicebasierte Geschäft wird zu ganz neuen Berührungspunkten mit den Kunden führen und auch neue, mobile Payment-Lösungen erfordern.

Damit fallen auch mehr Daten als zuvor an.

Bereits heute ist eine Fülle von Daten vorhanden, auf denen die neuen Services basieren werden. Damit werden aber in der Tat weitere, große Datenmengen über das Fahrzeug, die Mobilitätsmuster und den Kunden allgemein anfallen – das wird in Zukunft einen wichtigen zusätzlichen Einnahmestrom der Autobanken darstellen. Sie müssen einen Weg finden, diese Daten den regulatorischen Anforderungen entsprechend zu nutzen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, um weitere Services anzubieten. Als Beispiele seien hier nutzungsabhängige Finanzprodukte für Privatkunden oder Telematiklösungen zur Kostensenkung für gewerbliche Kunden genannt. Datenschutz und -sicherheit müssen dabei allerdings an oberster Stelle stehen.

Die neuen Angebote werden auch zu einem exponentiellen Anstieg der (Mikro-) Einzelzahlungen führen. Die heutigen IT-Systeme und Verkaufskanäle sind aber noch stark auf feste monatliche Raten zugeschnitten und bisher nicht flexibel genug. Captives werden zusätzliche, direkte Verkaufskanäle etablieren müssen.

Der klassische Vertriebsweg der Captives sind momentan noch die Autohändler. Welche direkten Verkaufskanäle müssten hinzukommen?

Diese traditionell enge Verbindung zum Händlernetzwerk der OEMs müssen die Captives lockern bzw. um direkte Verkaufskanäle ergänzen. Digitale Verkaufskanäle mit direktem Kundenkontakt sind das Zukunftsmodell – gerade für eine jüngere Klientel bzw. für die servicebasierten On-demand-Lösungen. Kundenzentrierte Mobilitätsangebote werden zumindest in urbanen Ballungsräumen erfahrungsgemäß nicht über Autohändler vertrieben, sondern online und direkt. Darauf stellen sich viele Autobanken bereits heute ein. Aber auch der Automobilvertrieb selber geht schrittweise in Richtung Online-Direktvertrieb, wie man im Bereich der Gebrauchtwagen bereits deutlich beobachten kann.

Welche Bedrohung sehen Sie durch neue Marktplayer auf die Autobanken zukommen?

Trotz aller Vorteile haben Captives auch ein paar strukturelle Nachteile, wie die Fokussierung auf die Automarken der jeweiligen Mutter, die angesprochene Bindung an die Händler, die oft geringe Flexibilität und Geschwindigkeit von Großkonzernen und teils auch höhere Refinanzierungskosten. Das machen sich neue Marktteilnehmer zu nutzen. Sie bieten gezielt Produkte und Services an, die den sich ändernden Kundenbedürfnissen gerecht werden. Zum Beispiel sprechen unabhängige Flottenleasinggesellschaften mit ihren Full-Service Angeboten nun gezielt auch Privatkunden an. Unsere Berechnungen kommen zum Ergebnis, dass bis zu 25 Prozent des Captive-Volumens durch solche Angebote im Risiko stehen. Ein weiteres Beispiel sind Start-ups, die mit Multi-Brand Subscription-Modellen ein wachsendes Kundensegment bedienen, dem Flexibilität und Nutzerfreundlichkeit wichtiger sind als die Bindung an bestimmte Marken.

Allerdings bieten die Veränderungen im Markt auch enorme Chancen für Autobanken. Sollten Hersteller tatsächlich einen stärkeren Fokus auf wiederkehrende Erlöse entlang des Lebenszyklus ihrer Fahrzeuge setzen, dann können die Captives mit ihrer ausgeprägten Serviceorientierung, ihrem Asset-Verständnis und ihren bereits etablierten Endkundenkontakten ein maßgeblicher Treiber und Profiteur des Wandels sein.

Sebastian Pfeifle Global Auto Finance Lead Deloitte
Sebastian Pfeifle, Global Auto Finance Lead, Deloitte

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