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Supply Chain Pulse Check Frühjahr 2023
Neue Risiken für die Lieferkette und den Standort Deutschland
Nachdem die Corona-Pandemie für massive Engpässe in den weltweiten Lieferketten gesorgt hatte, schien sich die Situation Ende 2022 wieder etwas zu entspannen. Allerdings setzen nun neue Herausforderungen das Supply Chain Management in deutschen Unternehmen unter Druck. Welche Auswirkungen haben die Energie- und Rohstoffpreise? Wie lassen sich die aktuellen und künftigen Lieferketten-Herausforderungen in den Griff kriegen? Was bedeutet dies für den Standort Deutschland? Diesen und weiteren Fragen geht der neue Supply Chain Pulse Check auf den Grund, den Deloitte in Zusammenarbeit mit dem BDI (Bundeverband der Deutschen Industrie e.V.) und ISLA (International Service Logistics Association e.V.) durchgeführt hat.
Für die erste Ausgabe des Supply Chain Pulse Check wurden im Januar und Februar 2023 Lieferketten-Verantwortliche aus deutschen Unternehmen befragt. Ziel der Studie ist es, aktuelle Supply-Chain-Trends systematisch zu erfassen, Ursachen für bestehende Herausforderungen zu identifizieren und die langfristige Entwicklung der globalen Lieferketten im technologischen und geopolitischen Wandel besser zu verstehen. Zudem werden aus den Studienergebnissen hilfreiche Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Lieferketten abgeleitet.
Zentrale Ergebnisse
- Weiterhin starke Beeinträchtigung der Lieferketten
Der Supply Chain Pulse Check Frühjahr 2023 zeigt: Die Unternehmen in Deutschland stehen trotz einer allmählichen Entspannung der globalen Lieferketten im Vergleich zu den letzten Jahren (u.a. in der Corona-Pandemie) auch im Frühjahr 2023 weiterhin unter Druck. Konkret stellt derzeit mehr als die Hälfte (53%) der Befragten eine Beeinträchtigung ihrer Lieferketten fest und fast jeder Zweite (46%) befürchtet sogar ein steigendes Risiko ausfallender Lieferketten.
- Spürbar hohe Kostenauswirkungen
Der größte Sorgenfaktor für die Branche ist aktuell der zunehmende Kostendruck. So gibt die große Mehrheit der Befragten (77%) an, dass das Niveau der Einkaufspreise gestiegen ist. Bei mehr als einem Viertel der befragten Unternehmen (27%) ist aufgrund der aktuellen Lieferkettenprobleme der Umsatz gesunken und die Hälfte (52%) verzeichnet einen Rückgang beim Gewinn. Zudem werden Umsatzverluste nicht mehr nur auf der Produktseite erwartet, sondern von jedem zweiten Studienteilnehmer auch im Servicebereich.
Florian Ploner, Partner, Lead Industrial Products & Construction:
Die Sorge um resiliente Lieferketten und der Druck auf die Profitabilität sind gekommen, um zu bleiben. Ein Wegducken oder der Rückzug auf kurzfristige Maßnahmen wird sich spätestens bei der nächsten Krise bitter rächen.
- Verschärfung des Problems durch hohe Inflation, Rohstoffpreise und Energiekosten
Über drei Viertel der befragten Industrieunternehmen sehen ihr Supply Chain Management jeweils stark von der Energiepolitik oder durch anhaltend hohe Inflation und Rohstoffpreise beeinträchtigt. Weitere drei Fünftel spüren den Fachkräftemangel in ihren Lieferketten. Zudem haben der Krieg in der Ukraine und gestiegene regulatorische Anforderungen für etwas mehr als die Hälfte der befragten Manager negative Auswirkungen auf die Lieferketten.
- Schwindende Standortattraktivität Deutschlands
Nicht zuletzt aufgrund dieser Probleme sieht mehr als jeder zweite Befragte (52%) die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort zurückgehen. Zudem schätzt fast die Hälfte (45%) die Gefahr als hoch ein, dass sich Deutschland deindustrialisieren könnte. Als wichtigste Maßnahmen zur Erhöhung der Standortattraktivität nennen die Studienteilnehmer eine wirtschaftsfreundlichere Energie- und Steuerpolitik, Zugang zu qualifizierten Fachkräften, Förderung von Schlüsseltechnologien, Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung sowie weniger Bürokratie, Vorschriften und Regulierung.
- Bleibende Unsicherheit erfordert umfassendes Umdenken
Dieser vielfältige Mix aus Herausforderungen dürfte auch zukünftig bestehen bleiben. Mittel- und langfristig befürchtet mehr als ein Fünftel (22%) der Befragten eine Verschlechterung der Probleme in den Lieferketten. Angesichts dieser erhöhten Unsicherheit sind neue Maßnahmen und Strategien erforderlich.
Dr. Jürgen Sandau, Partner, Supply Chain & Network Operations:
Viele Unternehmen sehen zwar den Bedarf für strukturelle Veränderungen und den Einsatz neuer Technologien in ihrer Lieferkette, scheuen sich aber in einer von zahlreichen Unsicherheiten geprägten Zeit, langfristige und wirkungsvolle Maßnahmen wie einen digitalen Supply Chain Control Tower anzugehen.
Zusammenfassung Umfrageergebnisse
Zentrale Handlungsempfehlungen
Um die Resilienz und künftige Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Industrieunternehmen zu stärken, gibt der Supply Chain Pulse Check Frühjahr 2023 drei zentrale Handlungsempfehlungen:
- Kostenmanagement stärken
Zur Verbesserung ihres Effizienz- und Kostenmanagements in der Lieferkette sollten Unternehmen vor allem ein ganzheitliches Lieferantenmanagement einführen und stärker mit Lieferanten und Partnern kooperieren. Neue Technologien wie Big Data und Analytics sowie Künstliche Intelligenz und Digital Twins können dabei helfen, Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken.
- Digitalisierung vorantreiben
Zudem sind die Unternehmen gefordert, ihre Digitalisierung weiter voranzutreiben und vor allem die digitale Vernetzung, Datenanalyse und Remote-Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Lieferanten bis zum Kunden weiter auszubauen. Dabei können neben den bereits genannten Technologien auch weitere wie IoT, Cloud Computing und Automatisierung mittels Sensorik und Robotertechnik hilfreich sein.
- Nearshoring/Friendshoring prüfen
Um Abhängigkeiten in ihren Lieferketten zu reduzieren und Risiken zu diversifizieren, sollten Unternehmen auch das Thema Verlagerung (Nearshoring und Friendshoring) in Betracht ziehen. Aufgrund geo- und handelspolitischer Spannungen, insbesondere zwischen China und den USA, gilt es vor allem, die Asienstrategie zu überdenken. Darüber hinaus gelten Nordamerika, Osteuropa und Südostasien vielfach als attraktivere Investitionsstandorte als Deutschland.
Laden Sie hier den kompletten Supply Chain Pulse Check Frühjahr 2023 in deutscher oder englischer Sprache herunter und lesen Sie alle Ergebnisse der Studie im Detail.
Über die Studie: Supply Chain Pulse Check
Die Befragung für den Supply Chain Pulse Check Frühjahr 2023 wurde vom 17. Januar bis 6. Februar 2023 durchgeführt. Teilgenommen haben insgesamt 121 Lieferketten-Verantwortliche in Deutschland, vorwiegend aus den Branchen Maschinenbau/Industriegüter, Automobil und Chemie. 79 Prozent der Befragten arbeiten in Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden, 21 Prozent in kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) mit bis zu 249 Angestellten. Bei vier Fünfteln der Befragten handelt es sich um Unternehmen, die Services/Aftersales mit Kundendienst und Ersatzteilversorgung als Teil ihres Geschäftes aufweisen.