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Sechs Erfolgsfaktoren für die Standortverlagerung in Krisensituationen

Was sind die Bedingungen und Anforderungen für eine erfolgreiche Standortverlagerung? Deloitte hat diese im Rahmen von Interviews mit Führungskräften aus der deutschen Automobilindustrie und Restrukturierungspraxis untersucht.

In Krisensituationen ist es von elementarer Bedeutung zu
wissen, auf welche Dinge man den Fokus legen muss. Da es keinen Puffer für Experimente gibt, muss alles sitzen – ansonsten hat man ein Riesenproblem.

                Claudio Mager, Director, Deloitte Restructuring Services

Krisensituationen, bei denen Absätze unerwartet und massiv einbrechen, verlangen meist nach drastischen Maßnahmen. Die aktuelle Krise, ausgelöst durch weltweite Handelskonflikte und die COVID-19 Pandemie, betrifft fast alle Branchen und stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, Kostenstrukturen zu überprüfen und anzupassen. Auch Standortverlagerungen und -schließungen gehören zum Maßnahmenkanon. Gerade, wenn eine Branche unter Nachfrageverschiebungen und -rückgang leidet muss rational gehandelt werden. Erfahren Sie hier, was die Erfolgsfaktoren für die Standortverlagerung sind.

Die Bedingungen und Anforderungen für eine schnelle, aber dennoch sorgfältige Entscheidungsfindung für eine Standortverlagerung hat Deloitte Restructuring Services im Rahmen von Leitfadeninterviews mit Führungskräften aus der deutschen Automobilindustrie und Restrukturierungspraxis ermittelt. Die Befragungen fanden im Zeitraum April bis Oktober 2019 statt und können in der aktuellen Situation wertvolle Hinweise für die erfolgreiche Planung und Durchführung von Standortverlagerungen liefern.

Im Ergebnis zeigt sich, dass Standortverlagerungen in den meisten Krisensituationen einen ganz wesentlichen Beitrag zur Neuausrichtung des Unternehmens leisten - es kommt jedoch auf die enge Verzahnung der finanziellen Möglichkeiten und Notwendigkeiten mit den operativen Umsetzungsmöglichkeiten an, um die in dieser Situation bestehenden Risiken zu beherrschen.

Sechs Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Standortverlagerung

(1)  Analysieren Sie die Ursachen der Krise, um Probleme und Risiken nicht mit zu verlagern

Häufig wird eine Standortverlagerung ins Auge gefasst, bevor die eigentlichen Krisenursachen vollständig verstanden wurden. Hier ist Vorsicht geboten, denn Sie müssen sicher sein, dass der Standort selbst oder dessen Bedingungen das Kernproblem darstellen. Lohnkosten, manchmal auch Zuliefer- und Energiekosten, können am neuen Standort natürlich einen großen Kostenvorteil generieren. Wenn jedoch das Produktportfolio nur noch auf geringe und zeitlich begrenzte Nachfrage trifft oder falsche Preisfestsetzung und schlechte Qualität das Problem sind, dann wird eine Standortverlagerung diese Themen nicht lösen – ganz im Gegenteil, durch die Maßnahme wird das Wertschöpfungssystem zusätzlich destabilisiert.

Eine der häufigsten und oft nicht sofort erkannten Krisenursachen ist mangelnde Hygiene im Produktportfolio. Dies spiegelt sich meistens in einer hohen Variantenvielfalt, vielen Produkten oder Produktgruppen mit negativem Deckungsbeitrag oder einer unausgewogenen Reife des Produktportfolios wider.

Um diese problematischen Produkte nicht mit zu verlagern und die Investitionskosten gering zu halten, sollten Sie alle Produkte im Hinblick auf Absatzmenge, Profitabilität, Technologie und Lebenszyklus untersuchen. Hinterfragen Sie die im Lebenszyklus fortgeschrittenen Artikel kritisch und mit aller Konsequenz. Das gilt insbesondere für Produkte der Automobilbranche, in der kostspielige Zertifikate und Freigaben nötig sind, um überhaupt produzieren zu können. Entsprechend sollten neue Produkte erst am zukünftigen Standort anlaufen und Produkte mit einer kurzen Restlebensdauer im alten Werk verbleiben. Eine Verlagerung wäre in diesen Fällen wegen der hohen Anlaufkosten nicht sinnvoll.

(2)  Binden Sie alle Stakeholder rechtzeitig ein, um zeitliche Risiken zu minimieren

Binden Sie die Vielzahl Ihrer Stakeholder frühzeitig und proaktiv ein und finden Sie partnerschaftliche Lösungen, um eine Standortverlagerung kurzfristig umzusetzen. In Krisensituationen kommt es häufig zu Konflikten und Spannungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Zwei der wichtigsten sind Kunden und Behörden, denn Zertifizierungen und Freigaben spielen bei der Umsetzbarkeit und dem Timing einer Verlagerung eine zentrale Rolle. Insbesondere in Branchen wie der Automobilindustrie (IATF), der Luftfahrt- oder der Gesundheitsbranche (FDA) können kostenintensive Anpassungen und unerwartete zeitliche Verzögerungen die Folge sein, wenn die Beteiligten nicht oder erst zu spät eingebunden werden. Im Extremfall stimmen Kunden einer Verlagerung gar nicht oder nur unter der Voraussetzung von erheblichen weiterführenden Zertifizierungen und der Weitergabe großer Anteile der Einsparungen zu.

Auch sollten Sie Arbeitnehmervertreter und Personalabteilung frühzeitig in das Vorhaben einbinden, damit arbeitsrechtliche Fallstricke berücksichtigt werden können. Die Bereitschaft der Eigentümer, weiter im Risiko zu stehen, Kapital zu geben und eben nicht zu veräußern, sollte ebenso frühzeitig und regelmäßig überprüft werden.

(3)  Bestimmen Sie den Startzeitpunkt für die Standortverlagerung mit den optimalen Rahmenbedingungen, um Handlungsspielräume zu erhalten

Nahezu identisch haben alle Befragten die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt mit „je früher desto besser“ beantwortet. Ein frühes Krisenstadium ist meist geprägt von geringerem Zeitdruck und umfassenderen finanziellen Mitteln. Ist die Erfolgs- oder sogar Liquiditätskrise bereits eingetreten, wird die Umsetzung erheblich eingeschränkt und in jedem Fall riskanter. Überprüfen Sie daher die finanzielle Lage und den daraus resultierenden Handlungsspielraum. Ebenfalls sollten Sie prüfen, ob durch einen möglichen Eigentümerwechsel ein späterer Zeitpunkt günstiger für eine Umsetzung ist. Richten Sie in jedem Fall das Projekt „Cash-optimal“ aus. Hier unterschieden sich tatsächlich viele Konzepte von der Realität. Zum Beispiel ist eine Parallelproduktion während der Standortverlagerung im Vergleich zu einer Vorlaufproduktion zwar kostenintensiver, dennoch aber deutlich risikoärmer in Bezug auf einen potentiellen Lieferausfall.

 

(4)  Priorisieren Sie Geschwindigkeit vor Perfektion, um die Zielerreichung zu garantieren

Bei der Entscheidungsfindung für eine Standortverlagerung muss ein klarer Fokus auf die wesentlichen Analyseschwerpunkte gelegt werden, um schnell in die Umsetzung gehen zu können. Es zählen in vielen Fällen nicht die letzten Details einer Analyse - kleinere Unschärfen sollten vielmehr zugunsten von Zeit- und damit Kostenersparnissen in der Umsetzung bewusst in Kauf genommen. Es muss nicht immer ein komplexes Modell sein, um rationale und tragfähige Entscheidungen treffen zu können. Relevante Beispiele hierfür sind die vorgenannte Analyse zur Bereinigung des Produktportfolios oder operative Themen wie Zertifizierungen, Behördengenehmigungen oder Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften, denen in der späteren Implementierung besondere Bedeutung zukommt.

Weiterhin ist es sinnvoll, jene Themen, die von vornherein als Konsens gelten, nicht tiefergehendzu analysieren, sondern als gegeben vorauszusetzen. Auch das spart kostbare Zeit. Beispielsweise scheiden so jene Standorte aus, die keine Zugriffsmöglichkeiten auf benötigte Ressourcen bieten oder in denen judikative und legislative “böse Überraschungen“ durch lokale Politik oder Behörden lauern. In unserer Studie raten die befragten Experten dazu, von Beginn an das nahe europäische Ausland ins Auge zu fassen, um einen nicht unwesentlichen Lohnkostenvorteil bei gleichzeitig überschaubaren Risiken realisieren zu können.

Neben den klassischen Fragestellungen, wie Verkehrsanbindung und Rohstoff- bzw. Materialbeschaffungsmöglichkeiten, gewinnt der Zugang zu qualifiziertem Personal vermehrt an Bedeutung. Größere Werke von anderen Herstellern oder Zulieferern in der Nähe können, obwohl attraktiv in Bezug auf Kundennähe, den Effekt der Lohnkostenarbitrage erheblich verringern und das Risiko einer Mitarbeiterabwanderung in sich bergen.

 

(5)  Nutzen Sie bestehende Infrastrukturen, um Kosten zu sparen

Je nach Unternehmenssituation und Cash-Ausstattung kommen unterschiedliche Ansätze im Hinblick auf die Art der Investition in Frage. Ist die Krise bereits weiter fortgeschritten, sollten Sie eher zu einem „Brownfield“-Ansatz tendieren, also den Erwerb oder die Anmietung einer existierenden Fertigungsstätte. Diese ist meist günstiger, eine Besichtigung ist möglich und die kosten- und zeitaufwendige Erschließung eines Grundstückes inklusive Neubau entfallen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass der „Brownfield“-Ansatz dazu verleitet, nur das Notwendigste zu planen und nicht den sprichwörtlichen „Palast“. Dies reduziert die Anzahl der relevanten Standortalternativen erheblich. Zu einem früheren Zeitpunkt bzw. mit ausreichender Liquiditätsausstattung kann jedoch auch ein „Greenfield“-Ansatz, das heißt der vollumfängliche Neuaufbau einer Produktionseinheit, in Erwägung gezogen werden. 

 

(6)  Setzen Sie auf einen erfahrenen Partner mit einem robusten Vorgehen, um Fehler zu vermeiden

Während gesunde Unternehmen oftmals auf mittel- bis langfristige Optimierungsmaßnahmen mit einem meist erheblichen Investitionsbedarf abzielen, ist in der Restrukturierung das Gegenteil der Fall. Eine schnelle und entschlossene Umsetzung mit gleichzeitiger Beherrschung der Risiken ist der Schlüssel zum Erfolg. Es gilt, vom Projektstart an eine klare Fokussierung auf Verbesserungsmaßnahmen mit dem Ziel der Kostensenkung zu legen und Cash-optimal umzusetzen. Dabei müssen Sie die wichtigsten Themen fokussieren und konsequent abarbeiten. Gleichzeitig muss die Erledigung optionaler Anforderungen, die Berücksichtigung interner Unternehmenspolitik und der Fokus auf nachrangige Probleme verhindert werden. Ein externer Partner ist dabei sehr hilfreich.

Standortverlagerung mit Deloitte

Deloitte verfügt über umfassende Projekterfahrung bei der Standortverlagerung in Restrukturierungsfällen und verbindet konsequent die finanziellen Gegebenheiten mit der operativen Umsetzbarkeit. Darüber hinaus verfügen wir über verlässliche digitale Tools und die notwendige Branchenexpertise, um Ihr Unternehmen bei einem solchen Vorhaben sicher ans Ziel zu lotsen.

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