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Die Krise als Chance für Paid Content: Experten- Interview

Deloitte hat im Rahmen des Media Consumer Survey die Nutzung von Inhalte- und Informationsangeboten vor und nach dem Lockdown untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Während andere Branchen leiden, profitiert die Medienindustrie kurzfristig von einer enorm gestiegenen Nachfrage nach Information und Unterhaltung. Klaus Böhm, Leiter Media & Entertainment bei Deloitte und TMT-Chefanalyst Ralf Esser im Gespräch über Mediennutzung in besonderen Zeiten und die langfristigen Konsequenzen für Medienunternehmen.

Für die Studie wurden 2.000 Konsumenten zu ihrem Medienkonsum in Zeiten von COVID-19 befragt. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse?

Klaus Böhm: In der Krise steigt der Medienkonsum - zum Teil sogar deutlich, aber längst nicht in allen Mediengattungen. Besonders profitieren starke Medienmarken, denen man zutraut, das aktuelle Geschehen kompetent einzuordnen. Das ist nicht zuletzt das lineare Fernsehen und das sind Verlage. Die Ergebnisse zeigen einen insgesamt ausgeprägten Wunsch nach glaubwürdiger Berichterstattung.

 

Wie wurden die Ergebnisse der Studie erhoben?

Ralf Esser: Wir untersuchen die Nutzung von Medienangeboten regelmäßig und hatten im Februar bereits die Daten für den diesjährigen Media Consumer Survey erhoben. Dann hat COVID-19 praktisch alles auf den Kopf gestellt. In der zweiten Woche des Lockdown haben wir daher die exakt gleiche Befragung noch einmal durchgeführt – mit zum Teil verblüffenden Ergebnissen.

 

Ist das lineare Fernsehen der große Gewinner in der Krise?

Klaus Böhm: Das lineare Free-TV erfährt ohne Frage deutlichen Zulauf. Die Reichweitenverluste der Vergangenheit konnten mehr als kompensiert werden. 44 Prozent der Befragten sehen in der aktuellen Situation mehr fern. Aber auch Video-Abrufinhalte profitieren. Mittlerweile nutzen rund zwei Drittel der Deutschen Video-on-Demand, die Hälfte davon konsumieren während des Lockdown häufiger Amazon Prime Video, Netflix & Co. als vorher. Der größte Gewinner sind aber die Mediatheken. Deren tägliche Nutzerbasis ist um 55 Prozent gewachsen. Das ist schon bemerkenswert.

 

Schauen auch jüngere Mediennutzer wieder häufiger linear?  

Ralf Esser: Das tun sie, die jungen Zuschauer entdecken das lineare TV gerade wieder für sich zurück. In den letzten Jahren hatte der Konsum des klassischen Fernsehens in dieser Nutzergruppe deutlich abgenommen, nun schauen 38 Prozent der 14- bis 18-Jährigen wieder linear. Vor COVID-19 lag der Anteil bei gerade einmal 23 Prozent.

 

Wie stellt sich die aktuelle Situation für Verlage dar? 

Klaus Böhm: Auch geschriebene News boomen. Der Anstieg der Abozahlen bei digitalen Bezahlangeboten ist fast schon spektakulär. So ist die Nutzerbasis digitaler Zeitschriften um 67 Prozent gewachsen. Und die Bereitschaft, hinter einer Bezahlschranke weiterzulesen, hat um 25 Prozent zugenommen. Verlage können sich also über steigende Paid-Content-Erlöse freuen. Außerdem besteht die berechtigte Hoffnung, dass die neuen Nutzer überzeugenden und glaubwürdigen Medienangeboten auch nach der Krise die Treue halten.

 

Es hört sich fast so an, also ob der Medienkonsum in Zeiten von COVID-19 auf breiter Front steigt?

Ralf Esser: In der Tat profitieren praktisch alle Medienangebote, allerdings längst nicht in gleichem Ausmaß. Zum Beispiel wächst die Audio-Nutzerbasis kaum nennenswert. Radiogeräte sind länger eingeschaltet, neue Hörer können aber kaum gewonnen werden. Auch Musik-Streaming wächst unterdurchschnittlich. Was mich persönlich besonders überrascht hat: Die zusätzliche Zeit während des Lockdown wird selten für das Lesen von Büchern verwendet.

 

Nicht alle Medienangebote profitieren in gleichem Ausmaß.

Ralf Esser, Senior Manager, Leiter TMT Insights

 

Wird stattdessen in der aktuellen Situation mehr gespielt?  

Klaus Böhm: Ja, Games sind scheinbar eine willkommene Ablenkung, und zwar in allen Spielarten. Bei Mobile Games ist der Anteil der täglichen Nutzer um 39 Prozent gestiegen. Stationäre Konsolen verzeichnen ein fast identisches Wachstum. Das sind schon enorme Zahlen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass besonders viele sonst berufstätige Gamer zwischen 25 und 45 Jahren die zusätzlich vorhandene Zeit mit der Spielkonsole verbringen. 

 

Wie sind die weiteren Aussichten für die Medienindustrie zu bewerten, auch und gerade vor dem Hintergrund der intensiven Nutzung während des Lockdowns?

Klaus Böhm: COVID-19 hat ohne Frage auch negative Konsequenzen für Medienhäuser. Die zu erwartende Rezession mit starken Einbrüchen der Werbeerlöse wird die Anbieterseite auf nicht absehbare Zeit belasten. Daher werden weitere Effizienzsteigerungen unumgänglich. Auch müssen die Unternehmen ihre Strategien den neuen Gegebenheiten anpassen, denn der Erlössplit wird sich stärker in Richtung Paid Content verschieben. Bezahlinhalte werden absehbar weniger unter der konjunkturellen Eintrübung leiden als Werbung. Unsere Studienergebnisse zeigen aber auch, dass der Fokus auf Qualität essenziell ist und bleibt. Starke Marken, Qualitätsinhalte sowie eine glaubwürdige Berichterstattung und gute Unterhaltungsangebote sind die Lebensversicherung für Medienunternehmen.

 

Der Erlössplit wird sich stärker in Richtung Paid Content verschieben.

Klaus Böhm, Director, Head of Media & Entertainment

Klaus Böhm, Director, Head of Media & Entertainment
Ralf Esser, Senior Manager, Leiter TMT Insights

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