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ESG als Schlüsselfaktor bei M&A-Transaktionen
Nachhaltigkeit (Environment), soziale Verantwortung (Social) und gute Unternehmensführung (Governance) werden zu wichtigen Faktoren in der M&A-Welt. Mehrere Länder haben bereits spezifische Regeln zu Arbeitsbedingungen in Lieferketten und Diversität verabschiedet.
Rechtsanwalt Christofer Mellert, M&A-Experte bei Deloitte, erklärt, welche Neuerungen das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz bringt und welche Auswirkungen ESG-Aspekte auf M&A-Aktivitäten haben. Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA.
Herr Mellert, ESG hört man derzeit vor allem in Bezug auf das geplante Sorgfaltspflichtengesetz. Geben Sie uns bitte einen kurzen Überblick, welchen Zweck das Gesetzesvorhaben hat und wen es betreffen wird.
Der Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes sieht vor, dass Unternehmen in Deutschland ihrer Verantwortung in der Lieferkette im Hinblick auf Menschenrechts- und Umweltstandards nachkommen. Dabei soll sich die Verantwortung auf die gesamte Lieferkette erstrecken, das heißt, sie gilt auch für unmittelbare Zulieferer. Risiken bei mittelbaren Zulieferern sind jedenfalls bei entsprechenden Anhaltspunkten relevant.
Das Gesetz soll noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden, sodass es ab 2023 ernst wird. Dann gilt das Gesetz für deutsche Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern und ab 2024 sogar für alle deutschen Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten – immerhin fast 3000 an der Zahl.
Das bedeutet neben neuen Pflichten für die Unternehmen wahrscheinlich auch drohende Sanktionen bei Verstößen...
Genau. Der aktuelle Regierungsentwurf sieht bei Verstößen Buß- und Zwangsgelder von bis zu zwei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes vor. Das kann schon richtig wehtun. Je nach Art und Schwere des Verstoßes können Unternehmen ab einer Geldbuße von 175.000 Euro zusätzlich sogar von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden.
Sollten sich Unternehmen bereits jetzt auf das Inkrafttreten des Sorgfaltspflichtengesetzes vorbereiten?
Es ist durchaus möglich, dass es bis zum Inkrafttreten noch einige inhaltliche Änderungen geben wird. Allerdings ist die Option, einfach abzuwarten, wie das Gesetz dann final aussehen wird, keine wirklich gute Idee. Unternehmen sollten sich jetzt bereits Gedanken über die Strukturen machen, die man im Hinblick auf Lieferketten aufsetzen muss. Dies gilt übrigens auch für Unternehmen, die wegen Unterschreitens der relevanten Mitarbeiterzahlen zunächst oder dauerhaft nicht unmittelbar betroffen sind, aber in die Lieferkette integriert sind – die Verpflichtungen werden durchgereicht werden.
Zudem erleben wir seit geraumer Zeit schon den allgemeinen Trend hin zu ESG, sodass man sicherlich mit weiteren Pflichten in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte rechnen muss. Es gibt ja auch auf EU-Ebene bereits entsprechende Bestrebungen. Insofern lohnt es sich, schon jetzt Erstgespräche mit Beratern zu führen, um einen besseren Überblick zu bekommen, welche Tools es bereits gibt und wie man die erforderlichen Strukturen dann effizient aufsetzen kann.
Das Thema ESG kann doch trotz aller Pflichten auch eine Chance sein, da Nachhaltigkeit und soziale Standards für Stakeholder und Investoren immer wichtiger werden. Wird ESG also zum Schlüsselfaktor bei M&A-Transaktionen?
ESG ist bei M&A-Transaktionen heute schon deshalb ein Schlüsselfaktor, weil insbesondere Finanzinvestoren kein Target mehr kaufen, ohne sich mit dieser Thematik befasst zu haben. Es gibt spezifische ESG Due Diligence, die mittlerweile von fast jedem Investor standardmäßig durchgeführt wird. Damit wird ESG automatisch zum Werttreiber – wer hier noch nicht gut aufgestellt ist, kauft gerne ein Target mit besseren Nachhaltigkeitsstandards und verbessert dadurch die Bilanz des eigenen Konzerns. Und natürlich sind ESG-Themen stets auch Reputationsthemen, die sich direkt im Image niederschlagen – dem Werttreiber schlechthin.
Wie lassen sich ESG-Werttreiber und ESG-Risiken identifizieren?
Mit einer maßgeschneiderten Due Diligence. Diese gibt es zwar auch als Standardprodukt von der Stange, aber wenn man wirkliche Werttreiber erkennen oder versteckte Risiken aufdecken möchte, muss man viel genauer hinschauen – künftig übrigens noch expliziter auf Lieferketten, sobald das Sorgfaltspflichtengesetz in Kraft getreten ist.
Nehmen wir an, man identifiziert also ESG-Risiken bei einem Target, möchte dieses aber dennoch erwerben. Kann man solche Risiken abdecken?
Zu allererst: Wenn ich ein immanentes Risiko sehe, sollte der erste Gedanke dem Kaufpreisabschlag gelten. Ansonsten gibt es natürlich die Möglichkeit von Garantien oder Freistellungen und on top die Versicherung solcher Garantien durch W&I-Versicherungen. Da diese Versicherungen aber nur eintreten, wenn zuvor eine ausreichend genaue Due Diligence durchgeführt wurde, sollte gerade daran im Vorfeld nicht gespart werden.
Wie kann das Zielunternehmen in die ESG-Compliance-Strukturen des Käufers eingebunden oder andersherum die ESG-Compliance-Strukturen des Zielunternehmen in die Organisation des Käufers integriert werden?
Wichtig ist, die jeweilige Integration schon bei Anbahnung der Transaktion zu planen, damit die Strategie unmittelbar nach dem Closing umgesetzt werden kann. Ob das mit internen Mitteln – je nach Größe der Compliance-Abteilung und weiteren interdisziplinär arbeitenden Mitarbeitern – bewerkstelligt werden kann oder ob man sich hier gleich externer Unterstützung bedient, muss eben auch frühzeitig im Vorfeld abgeklopft werden.
Prominente Investoren wie BlackRock verpflichten sich bereits zu Nachhaltigkeit als Teil ihrer Investitionsentscheidung. Sollten alle Unternehmen diesem Vorbild folgen?
Ganz klar: Ja! Wir sprechen schließlich über einen gesellschaftlichen Trend – man denke an Fridays for Future, Green Energy und den eigenen CO²-Fußabdruck – wenn nicht sogar über gesellschaftlichen Druck. Die Wirtschaft folgt seit jeher den Trends, insofern werden die allermeisten Unternehmen diesem auch jetzt folgen und entsprechende Strukturen etablieren.
Stand: April 2021
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