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Stellungnahme Bundesrat: Produkthaftungsrichtlinienvorschlag

Indikationen des nationalen Gesetzgebers zur Umsetzung

Bereits im vergangenen Jahr hat die EU-Kommission am 28.09.2022 einen Vorschlag für eine neue Produkthaftungsrichtlinie (COM(2022) 495 final) (nachfolgend: „RL-Vorschlag“) eingebracht, welche die aktuelle aus dem Jahr 1985 stammende Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG (nachfolgend: „Produkthaftungs-RL“) ersetzen soll. Nun hat der Bundesrat hierzu eine Stellungnahme beschlossen, welche eine wichtige Indikation zur Position des deutschen Gesetzgebers gegenüber der geplanten Änderung im Rahmen der neuen Produkthaftungsrichtlinie darstellen dürfte. Im Folgenden werden die wesentlichen Regelungen des RL-Vorschlags, zu denen der Bundesrat Stellung bezieht und aus denen sich in Zukunft weitere Risiken für Unternehmen ergeben könnten, knapp dargestellt.

Neuer Produktbegriff und erweiterter Anwendungsbereich

Der Bundesrat begrüßt, dass die Produkthaftungsrichtlinie an aktuelle Anforderungen, insbesondere den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft, angepasst werden soll. Der im Rahmen des RL-Vorschlags erweiterte Produktbegriff umfasst künftig auch solche bewegliche Sachen, die in eine andere bewegliche oder unbewegliche Sache integriert sind, sowie Elektrizität, digitale Bauunterlagen und Software.

 

Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten

Ebenfalls soll der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden, so dass auch folgende Personen Anspruch auf Entschädigung geltend machen können:

(i) Personen, auf die der Anspruch der geschädigten Person aufgrund eines Gesetzes oder eines Vertrags übergegangen ist, oder
(ii) Personen, die im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht im Namen einer oder mehrerer geschädigter Personen handeln.

Der Bundesrat kritisiert, dass die gewählte Formulierung („im Namen einer oder mehrerer geschädigter Personen“) zu einem Widerspruch mit dem deutschen prozessrechtlichen Grundsatz führen kann, wonach ein fremdes Recht bei Vorliegen der Voraussetzungen einer sog. Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend gemacht werden muss. Er bittet die Bundesregierung daher auf eine Formulierung hinzuwirken, die Verbänden die Geltendmachung fremder Rechte auch im eigenen Namen ermöglicht.

 

Erweiterung des Kreises der potenziellen Anspruchsgegner

Auch der Kreis möglicher Anspruchsgegner geht weiter als bisher. So können neben dem Hersteller und Quasihersteller in Zukunft auch der Einführer des fehlerhaften Produkts (nachfolgend: „Einführer“), Bevollmächtigte des Herstellers (nachfolgend: „Bevollmächtigter“) und Fulfillment-Dienstleister genauso wie ein Hersteller für Produktfehler haftbar gemacht werden. Dabei kommt eine Haftung von Einführern und Bevollmächtigten nur in Betracht, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der Union niedergelassen ist. Für Fulfillment-Dienstleister gilt dies nur, wenn neben dem Hersteller sowohl der Einführer als auch der Bevollmächtigte außerhalb der Union niedergelassen sind. Unternehmer, die ein bereits in Verkehr gebrachtes oder in Betrieb genommenes Produkt verändern, werden künftig als Hersteller angesehen, wenn die Änderung des Produkts nach dem Produktsicherheitsrecht „wesentlich“ ist und außerhalb der Kontrolle des ursprünglichen Herstellers erfolgt. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Händler und Anbieter von Online-Plattformen als potenzielle Anspruchsgegner in Betracht kommen. Der Bundesrat begrüßt insgesamt diese Erweiterung der Bandbreite der Wirtschaftsakteure.

 

Haftungsbefreiungen insbesondere für Software-Updates eingeschränkt

Grundsätzlich sind in Art. 10 des RL-Vorschlags Haftungsbefreiungen für Wirtschaftsakteure vorgesehen, die über die des Art. 7 der aktuellen Produkthaftungs-RL teilweise hinausgehen. Relevant ist unter anderem die Regelung nach Art. 10 lit. c. des RL-Vorschlags, wonach ein Wirtschaftsakteur nicht für Schäden haftet, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht wurden, wenn er nachweist, dass die Fehlerhaftigkeit, die den Schaden verursacht hat, zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, der Inbetriebnahme oder – bei einem Händler – der Bereitstellung auf dem Markt, wahrscheinlich noch nicht bestanden hat oder dass die Fehlerhaftigkeit erst nach dem betreffenden Zeitpunkt entstanden ist. Diese Haftungsbefreiung greift nach Art. 10 Abs. 2 des RL-Vorschlags jedoch nicht ein, wenn die Fehlerhaftigkeit des Produkts auf bestimmte, abschließend aufgezählte, Ursachen zurückzuführen ist und diese Ursachen der Kontrolle des Herstellers unterliegen. Zu diesen Ursachen gehören eine verbundene Dienstleistung, Software, einschließlich Software-Updates oder -Upgrades, oder das Fehlen von Software-Updates oder Upgrades, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit erforderlich sind.
Der Bundesrat befürchtet in diesem Zusammenhang, dass der Maßstab für die Haftungsbefreiung des Wirtschaftsakteurs durch die derzeitige Formulierung „wahrscheinlich noch nicht bestanden hat“ in Art. 10 Abs. 1 lit. c des RL-Vorschlags (auf den Art. 10 Abs. 2 des RL-Vorschlags verweist) im Vergleich zur bestehenden Regelung in der Produkthaftungs-RL zulasten des Geschädigten herabgesetzt wird und spricht sich für eine entsprechende Angleichung des Wortlauts aus, ohne einen konkreten Formulierungsvorschlag zu unterbreiten.

 

Beweislasterleichterungen für Geschädigte und Pflicht von Beklagten zur Offenlegung von Beweismitteln

Art. 9 des RL-Vorschlags enthält eine Beweislastumkehr für die Fehlerhaftigkeit des Produkts zugunsten des Geschädigten. Von der Fehlerhaftigkeit des Produkts wird bei Vorliegen bestimmter Bedingungen ausgegangen. Diese Beweislastumkehr ist als widerlegliche Vermutung ausgestaltet. Der Bundesrat kritisiert, dass die Regelung zur Beweislastumkehr in Art. 9 Abs. 4 des RL-Vorschlags einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält („aufgrund der technischen oder wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig ist“) und regt deshalb an, im weiteren Verfahren diesen Rechtsbegriff näher zu präzisieren, um Rechtsunsicherheiten bei der Auslegung zu vermeiden oder statt einer Generalklausel auf produktbezogene Regelungen zurückzugreifen. Mit Art. 8 des RL-Vorschlags ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln durch den Beklagten vorgesehen unter Berücksichtigung der Interessen aller beteiligten Parteien in Bezug auf den Schutz von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen. Der Bundesrat begrüßt generell die Änderung zur Beweislast und die Erleichterung des Zugangs zu Beweismitteln und sieht darin sowie aufgrund der anstehenden Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen) eine Vereinfachung für Geschädigte, ihre Schadensersatzansprüche durchzusetzen.

 

Kein Ausschluss von Ansprüchen aus deliktischer Produzentenhaftung

Zudem weist der Bundesrat darauf hin, dass mit Blick auf das nationale Recht sicherzustellen ist, dass Ansprüche aus der deliktischen Produzentenhaftung auch weiterhin neben den Ansprüchen aus Produkthaftung stehen sollen. Dabei will der Bundesrat verhindern, dass die Produzentenhaftung durch Ansprüche aus der Produkthaftung verdrängt wird und bittet die Bundesregierung auf eine entsprechende Formulierung hinzuwirken.

 

Klare Definitionen zum Sicherheitsniveau von Software und konkrete Regelungen zur freien und quelloffenen Software

Darüber hinaus spricht sich der Bundesrat für eine konkrete Definition zum notwendigen Sicherheitsniveau von Software als Maßstab zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit aus. Ebenso für erforderlich hält der Bundesrat die Ausnahme für freie oder quelloffene Software direkt in der Richtlinie selbst und nicht nur im Erwägungsgrund der Richtlinie (Erwägungsgrund 13) zu definieren. Danach sollen freie und quelloffene Software, die außerhalb einer gewerblichen Tätigkeit entwickelt oder bereitgestellt wird, von der Produkthaftung ausgenommen werden.

 

Parallele Entwicklungen im Bereich Produktsicherheit

Parallel zur Produkthaftung sind mit dem Vorschlag für eine Verordnung über Maschinenprodukte (COM(2021) 202 final) und mit dem Vorschlag für eine Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (COM(2021) 346 final), mit denen die bestehende Maschinenprodukterichtlinie und die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit überarbeitet werden, weitere Änderungen im Bereich der Produktsicherheit geplant.

 

Fazit

Insgesamt spricht sich der Bundesrat für eine weitere – über die bereits anstehenden - Verschärfung des RL-Vorschlags zu Lasten der betroffenen Wirtschaftsakteure sowohl in materiell-rechtlicher (insbesondere: erweiterter Kreis an Anspruchsberechtigten und Anspruchsgegnern) als auch in prozessualer Sicht (insbesondere: Beweislastumkehr, kollektive Rechtschutzmöglichkeiten) aus. Es bleiben die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Jedoch lässt sich bereits jetzt vorhersagen, dass mit den Änderungen aus der neuen Produkthaftungsrichtlinie weitere Risiken für die davon betroffenen Unternehmen hinzukommen werden und die eigenen unternehmensinternen Prozesse mit Blick auf die Produktbeobachtungs- und Dokumentationspflichten sowie bei der Minimierung und erforderlichenfalls Abwehr von Risiken möglicher Produkthaftungsfälle angepasst werden müssen.

 

Stand: Januar 2023

Weiterführende Links:

Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Haftung für fehlerhafte Produkte: Document 52022PC0495

Beschluss des Bundesrats: Drucksache 515/22
(Beschluss)

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