Perspektiven

Bilanzierungsfragen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie nach Swiss GAAP FER

1. Ausgangslage

Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation vor dem Hintergrund der COVID-19 Pandemie und den verordneten Massnahmen, ergeben sich für Unternehmen besondere Fragen der Finanzberichterstattung. Dies betrifft insbesondere diejenigen Unternehmen, welche in den ersten zwei Quartalen des Jahres 2020 einen Halbjahres- oder Jahresabschluss erstellen. Im Folgenden stellen wir die wesentlichen Fragestellungen dar und entwickeln entsprechende Lösungsansätze.

2. Erfassung der staatlichen Hilfsprogramme

Im Rahmen der COVID-19 Pandemie hat der Bundesrat mehrere Hilfsmassnahmen beschlossen, um die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen des staatlich angeordneten lockdowns auf das öffentliche und wirtschaftliche Leben abzumildern. Als Sofortmassnahmen hat der Bundesrat Erleichterungen bei der sogenannten Kurzarbeitsentschädigung beschlossen sowie die Versorgung mit Liquidität von Unternehmen zur Überbrückung von COVID-19 bedingten Liquiditätsengpässen sichergestellt. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Aufstellung des Halbjahresabschlusses zum 30. Juni 2020 bzw. des Jahresabschlusses nach Swiss GAAP FER stellt sich die Frage, wie diese Massnahmen zu bilanzieren sind.

Bei der Kurzarbeitsentschädigung handelt es sich grundsätzlich nicht um eine neue Hilfsmassnahme. Allerdings wurden einige Erleichterungen (wie z.B. Abschaffung der Karenzfrist, Ausweitung der Anspruchsberechtigten sowie Verlängerung der Bezugsdauer auf sechs Monate) beschlossen. Durch das umfassende Herunterfahren des Wirtschaftslebens mit der teilweise kompletten Stilllegung einzelner Wirtschaftszweige ist davon auszugehen, dass diese Massnahme deutlich an Bedeutung gewinnen wird und sich folglich für mehr Unternehmen die Frage der korrekten Verbuchung und eines adäquaten Ausweises stellen wird.

Die Kurzarbeitsentschädigung wird nach Antrag des Arbeitgebers von der Arbeitslosenversicherung («ALV») ausbezahlt und beträgt 80% des ausgefallenen anteiligen Arbeitsentgeltes bis zu einem maximalen Arbeitsentgelt von CHF 12'350 monatlich. Anders als die übrigen Leistungen der ALV (z.B. Arbeitslosengeld) ist der Empfänger nicht der Arbeitnehmer direkt, sondern der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer zunächst den reduzierten Arbeitslohn, das heisst die 80% des ausgefallenen anteiligen Arbeitsentgeltes auszuzahlen. In einem zweiten Schritt kann sich der Arbeitgeber innert drei Monaten von der Arbeitslosenkasse («ALK») die 80% des ausgefallenen anteiligen Arbeitsentgeltes zurückerstatten lassen, auch wenn der Entscheid der kantonalen Amtsstelle noch hängig ist. Der Arbeitgeber hat hierzu monatlich eine Abrechnung über die ausgefallenen Arbeitsstunden und die darauf entfallende Kompensation an die ALK zu übermitteln.

Im Zusammenhang mit der Erfassung im Zwischen- bzw. Jahresabschluss ergeben sich diesbezüglich insbesondere zwei Fragestellungen: (1) Zeitpunkt der Erfassung und (2) Ausweis der Erstattung brutto (als Ertrag) oder netto (mit den Personalkosten saldiert)

Ad (1): Zeitpunkt der Erfassung

Grundsätzlich sind gemäss FER Rahmenkonzept R/23 Erträge dann zu erfassen, wenn die damit verbundenen Änderungen der Aktiven zuverlässig ermittelt werden können. Dies dürfte in der Regel dann der Fall sein, wenn die Voraussetzungen für die Erstattung vorliegen und das Arbeitsentgelt einschliesslich der 80% Kompensation für die Ausfallzeit an den Arbeitnehmer ausgezahlt worden ist, spätestens jedoch mit der Übermittlung der Abrechnung an die ALK.

Ad (2): Brutto oder Netto

Grundsätzlich sind Aufwendungen und Erträge gemäss FER R/14 brutto auszuweisen. Verrechnungen dürfen nur in sachlich begründeten Fällen erfolgen und wenn dadurch keine irreführende Darstellung entsteht.

Allerdings verlangt FER R/10 die wirtschaftliche Betrachtungsweise, d.h. ein Geschäftsvorfall ist nach seinem wirtschaftlichen Gehalt und nicht nach seiner rechtlichen Form zu erfassen. Daher ist zunächst die Frage zu klären, ob aus Sicht des Unternehmens die Kurzarbeitsentschädigung überhaupt einen Ertrag für das Unternehmen darstellt. Prinzipiell sind Leistungen der ALV an die Arbeitnehmer gerichtet. Kurzarbeitsentschädigung soll die wirtschaftlichen Verluste der Arbeitnehmer durch die Reduzierung der Arbeitszeit mildern und allenfalls Kündigungen vermeiden. Insofern wäre der Arbeitgeber lediglich als Zahlstelle (Agent) anzusehen, was keine Erfassung der Entschädigung als Ertrag rechtfertigen und den Nettoausweis erfordern würde.

Allerdings ist im Gesetzeszweck des ALVG und insbesondere in der Notverordnung vom 20. März 2020 klar geregelt, dass der Zweck der Kurzarbeitsentschädigung unter anderem die Vermeidung von Kündigungen infolge kurzfristiger und unvermeidbarer Arbeitsausfälle ist. Damit werden auch erhöhte Fluktuationen für den betroffenen Arbeitgeber (z.B. Kündigung, Verlust von unternehmensspezifischem Wissen sowie Kosten der anschliessenden Suche und Wiedereinstellung) vermieden. Insofern werden mit der Kurzarbeitsentschädigung parallel mehrere Zwecke verfolgt, was folglich die Erfassung als Ertrag rechtfertigen kann (mit gleichem Ergebnis: Expert Suisse, COVID-19: Questions on True and Fair View Accounting, 15 May 2020, «COVID-19 Q&A»).

Aus unserer Sicht stellt der Nettoausweis den wirtschaftlichen Sachverhalt zutreffender dar, da der Arbeitgeber nicht in den Genuss des «Ertrags» aus der vollständigen Arbeitsleistung kommt. Ein ungekürzter Personalaufwand und der Ausweis eines Ertrags im sonstigen betrieblichen Ertrag kann zu wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Verschlechterungen von wichtigen Kennzahlen, wie z.B. der Rohertragsmarge oder der Bruttomarge, führen. Indes ist das Stetigkeitsgebot des FER R/30 zu beachten, insbesondere, wenn bereits in der Vor-COVID-19 Zeit wesentliche Kurzarbeiterentschädigungen dem Unternehmen zugeflossen sind.

Als weitere Hilfsmassnahme hat der Bundesrat in seiner Sitzung vom 20. März 2020 sogenannte COVID-19-Kredite beschlossen, die kleinen und mittleren Unternehmen («KMU») ausreichend Liquidität zur Verfügung stellen sollen, damit diese trotz der COVID-19 bedingten Einnahmeausfälle ihre laufenden Fixkosten decken können.

Die Kredithöhe ist auf 10% des Jahresumsatzes und maximal CHF 20 Mio. beschränkt und wird für Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu CHF 500 Mio. gewährt. Der Kreditbetrag von CHF 500’000 wird vollständig und ein übersteigender Betrag zu 85% vom Bund verbürgt. Die Laufzeit der Kredite, die grundsätzlich von Finanzinstituten zu gewähren und auszuzahlen sind, beträgt drei Jahre und kann in Härtefällen um weitere zwei Jahre verlängert werden.

Der Zinssatz für die ersten CHF 500’000 beträgt gegenwärtig 0%. Der übersteigende, vom Bund verbürgte Teil wird mit 0.5% verzinst. Diese Zinssätze können jährlich anhand der Marktentwicklungen angepasst werden. Die Verzinsung der restlichen 15%, des die zinsfreie Tranche übersteigenden Teils, ist mit dem gewährenden Kreditinstitut zu vereinbaren, dürfte also Marktzinssätze widerspiegeln.

Wirtschaftlich betrachtet stellen die COVID-19-Kredite Zuwendungen des Bundes für zinsgünstige Kredite dar.

In diesem Zusammenhang stellen sich für die Bilanzierung zwei Fragen: (1) Sind die ggf. gesonderten Kredittranchen des COVID-19-Kredits (die zu 100% und zu 85% garantierten sowie die mit der Bank zu vereinbarende Tranche) gesondert zu erfassen oder als einheitliche Verbindlichkeit anzusehen und (2) ist der Kredit gesondert von der Bundeszuwendung zu erfassen und auszuweisen?

Ad (1): Ein oder mehrere Kredite?

Auch wenn es sich möglicherweise um getrennte Verträge handelt, scheint es gerechtfertigt alle Tranchen als einen einheitlichen Kredit zu behandeln, da die Konditionen gemeinsam mit derselben Bank gleichzeitig vereinbart werden und es aus der gesetzlichen Verordnung einen unmittelbaren Zusammenhang gibt. Dies spiegelt unserer Meinung nach den vom FER R/10 geforderten wirtschaftlichen Gehalt am zutreffendsten wider (so auch COVID-19 Q&A).

Ad (2): Bewertung der Verbindlichkeit

Grundsätzlich sind gemäss FER 2/14 Verbindlichkeiten mit dem Nominalbetrag zu erfassen. Bei dieser Vorgehensweise würde jedoch der Teil der Zuwendung des Bundes für die Zinsvergünstigung implizit mit dem Kreditbetrag verrechnet und die tatsächlichen Kosten der Kapitalüberlassung unzutreffend ausgewiesen werden.

Die Gewährung zinsvergünstigter Kredite ist in Swiss GAAP FER nicht explizit geregelt. Nicht explizit von den FER geregelte Bereiche sind mit dem Rahmenkonzept unter Beachtung der True & Fair View zu lösen (FER R/6). Dabei ist der wirtschaftliche Gehalt der Transaktion zu berücksichtigen. Insofern erscheint eine separate Erfassung des Kredits zum Barwert unter Anwendung der Effektivzinsmethode und eine separate Erfassung der Vergünstigungen in den passiven Rechnungsabgrenzungen («deferred income») ebenso zulässig. Der Barwert der Verbindlichkeit ergäbe sich durch Abzinsung des Kreditbetrags mit der Differenz zwischen dem durchschnittlichen gewichteten Zinssatzes der verschiedenen Kredittranchen («Mischzinssatz») und dem Marktzinssatz. Der passive Rechnungsabgrenzungsposten wäre dann gemäss den allgemeinen Grundsätzen der Swiss GAAP FER entweder linear oder vorzugsweise gemäss der Effektivzinsmethode, d.h. in Höhe des abgezinsten Kreditbetrags multipliziert mit der Zinsvergünstigung (Differenz zwischen Markt- und Mischzinssatz), über die Erfolgsrechnung aufzulösen.

Während der Ausweis zum Nominalwert und die Erfassung des Zinsaufwandes durch seine Einfachheit überzeugt, erfasst die zweite Variante, insbesondere bei der effektivzinsgerechten Auflösung des Abgrenzungspostens, unserer Meinung nach am ehesten die wirtschaftliche Realität einer subventionierten Kreditgewährung.

3. Auswirkungen des erzwungenen lockdowns

Durch den lockdown besteht die Möglichkeit, dass das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit vorübergehend einstellen bzw. drastisch reduzieren muss, weil es zu den unmittelbar betroffenen Geschäftszweigen gehört (z.B. Handel, Restauration, Hotels, Reise- und Flugunternehmen) oder weil durch den lockdown und die wirtschaftlichen Konsequenzen erhebliche Nachfragerückgänge erfolgen bzw. erhebliche Störungen in der Lieferkette bestehen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen können gravierend sein. Zudem ist die Ermittlung aufgrund der erheblichen Unsicherheiten sehr schwierig einzuschätzen.

Sofern die Geschäftstätigkeit aufgrund unmittelbarer oder mittelbarer Auswirkungen eingestellt werden muss, stellt sich die Frage, ob für diesen Zeitraum die Abschreibung des Anlagevermögens ausgesetzt werden kann bzw. muss.

Gemäss FER 2/11 sind Sachanlagen zu Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten abzüglich notwendiger bzw. gemäss FER 18/6 und FER 18/8-9 abzüglich planmässiger Abschreibungen anzusetzen. Gemäss FER 2/22 sind die Abschreibungen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln mit dem Ziel, die systematische Verteilung des Abschreibungsvolumens über die geschätzte Nutzungsdauer widerzuspiegeln. Gemäss FER 18/9 hat die planmässige Abschreibung entweder linear, degressiv oder leistungsproportional zu erfolgen. Für Anwender der Kern-FER und der vollen FER können sich daher allenfalls die Abschreibungsmethoden unterscheiden, da Kern-FER Anwender mehr Flexibilität bei der Wahl der Abschreibungsmethoden haben, da sie sich nicht an den FER 18 halten müssen.

Eine kurzzeitige Unterbrechung rechtfertigt keine Aussetzung der Abschreibungen nach der linearen oder degressiven Methode, da die Nutzungsdauer hierdurch nicht grundsätzlich endet. Fraglich ist, ob bei Anwendung der leistungsproportionalen Abschreibungsmethode ein Anhalten der Abschreibungen bei einem erzwungenen lockdown gerechtfertigt wäre. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass als Voraussetzung für die Anwendung der leistungsproportionalen Abschreibung gemäss FER 18/24 die Bestimmung des gesamten Nutzungspotenzials und die Messung des Verbrauchs notwendig ist, wie dies z.B. bei nicht erneuerbaren Ressourcen (Kiesgrube) der Fall ist. Dies dürfte beim übrigen Anlagevermögen (Maschinen, Fahrzeuge, Büro- und Geschäftsausstattung, Gebäude) nur in spezifischen Fällen zutreffen. Im Übrigen ist die Stetigkeit zu beachten, d.h. die Anwendung der bisherigen Abschreibungsmethode ist auch in Zeiten des erzwungenen lockdowns grundsätzlich fortzuführen.

Die Abschreibung ist damit erst einzustellen, wenn die Nutzungsdauer vorzeitig durch Verkauf oder Verschrottung beendet wird. Gegebenenfalls hat aber die Unterbrechung eine Neuschätzung der Nutzungsdauer mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Abschreibungen zur Folge.
 

Die direkten und indirekten Auswirkungen der COVID-19 Pandemie betreffen nahezu alle Branchen und sind ein globales Phänomen. Insofern wird die Pandemie weitreichende wirtschaftliche Folgen (wie z.B. erhebliche Nachfragerückgänge durch Einschränkungen der wirtschaftlichen Aktivitäten und daraus resultierende Einkommensverluste und Zukunftsunsicherheiten, Unterbrechungen der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, steigende Kosten aufgrund des Zusammenbruchs der Lieferketten, erhebliche Kursrückgänge an den Finanzmärkten) haben. Viele Unternehmen werden auch gezwungen sein, ihre Geschäftsmodelle an ein verändertes Nachfrageverhalten ihrer Kunden und ihre Geschäftsprozesse an ein verändertes Arbeitsverhalten nach der Pandemie anzupassen.

Für viele Unternehmen werden diese Ereignisse Anzeichen auf mögliche Wertminderungen gemäss FER 20/22 darstellen mit der Folge eines umfassenden Wertminderungstests für Geschäfts- und Firmenwerte, immaterielle Vermögenswerte und Sachanlagen. Des Weiteren können insbesondere auch Kundenforderungen davon betroffen sein, da anzunehmen ist, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu erheblichen Verzögerungen der Zahlungen führen und die Zahlungsausfälle sich deutlich erhöhen können. Vorräte sind ggf. gemäss FER 17/3, 17/12ff. auf einen niedrigeren Netto-Marktwert abzuschreiben, da sie wegen erzwungener Betriebsstillegungen unverkäuflich geworden sind bzw. wegen der wirtschaftlich negativen Folgewirkungen voraussichtlich nur mit erheblichen Rabatten veräussert werden können.

Unabhängig davon, ob der erzielbare Betrag bei Sachanlagen und immateriellen Vermögenswerten durch die Ermittlung des Netto-Marktwerts oder des Nutzwertes bestimmt wird, wird häufig auf diskontierte projizierte Zahlungsströme zurückgegriffen. Hier besteht momentan die Schwierigkeit der erheblichen Unsicherheiten über die zukünftigen Entwicklungen. In vielen Fällen werden die Budgets und Forecasts neu erstellt werden müssen. Dabei müssen die Unsicherheiten durch verschiedene Szenarien abgebildet werden, die dann gewichtet mit den entsprechenden Eintrittswahrscheinlichkeiten zu einem Erwartungswert zu verdichten sind. Obwohl dieser Ansatz mit erheblichen Schwierigkeiten (wie z.B. Schätzung der Cash-flows und Festlegung der Eintrittswahrscheinlichkeiten) verbunden ist, ist dieser Ansatz gegenüber der einfachen Erhöhung der Risikoprämie vorzuziehen, da er eine transparentere Berichterstattung und Nachvollziehbarkeit bei sich ändernden Rahmenbedingungen erlaubt.

Wir empfehlen nachdrücklich eine höhere Transparenz bezüglich des konkreten Vorgehens bei der Durchführung des Wertminderungstests bei den Angaben im Anhang, um den Adressaten einen tieferen Einblick zu geben, wie das Unternehmen mit den bestehenden Unsicherheiten umgeht. Sensitivitätsanalysen im Hinblick auf wesentliche Annahmen sind dabei sehr hilfreich.

Die Swiss GAAP FER verlangen, anders als z.B. die IFRS, den gesonderten Ausweis eines ordentlichen und ausserordentlichen Ergebnisses (FER 3/7). Als ausserordentlich gelten solche Aufwendungen und Erträge, die im Rahmen der ordentlichen Geschäftstätigkeit äusserst selten anfallen und nicht vorhersehbar waren (FER 3/22). Im Rundschreiben Nr. 2 der SIX Exchange Regulation wird weiterhin ausgeführt, dass sich die Vorhersehbarkeit auf das auslösende Ereignis nicht auf den Zeitpunkt der Berücksichtigung in der Rechnungslegung beziehen muss. Auch ein Ereignis mit einer niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeit ist nicht zwangsläufig als unvorhersehbar einzustufen. Für das Kriterium «äusserst selten» ist der Zeitraum seit dem letzten vergleichbaren Ereignis als Indiz heranzuziehen.

Auch wenn damit erhebliche und schwierige Ermessensentscheidungen verbunden sind, ist aus unserer Sicht klar, dass mit einer Pandemie vergleichbare Ereignisse, wenn überhaupt, sehr weit in der Vergangenheit liegen. Auch bezüglich Vorhersehbarkeit besteht wohl weitgehende Einigkeit darüber, dass selbst mit dem Auftauchen der ersten Berichte und Infektionen ausserhalb Chinas im Februar, kaum jemand das Ausmass der Folgewirkungen vorhersehen konnte.

Gleichwohl kann es zu erheblichen Ermessens- und Auslegungsfragen kommen, da im Rahmen der COVID-19 Pandemie eine Vielzahl von Aufwendungen und unter Umständen auch Erträge entstehen können, die direkt oder indirekt auf die veränderten Verhältnisse und die von den Regierungen in der ganzen Welt beschlossenen Notmassnahmen zurückzuführen sind. Dabei dürften nur solche Aufwendungen und Erträge als ausserordentlich zu qualifizieren sein, die einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem unvorhersehbaren Ereignis haben. Das Kriterium des «äusserst seltenen» Anfalls macht auch deutlich, dass es sich bei den Aufwendungen um einmalige Aufwendungen handeln muss. Daher können sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhangmit den veränderten Rahmenbedingungen infolge der Pandemie und der Anpassungen des Unternehmens an das «new normal» entstehen, nicht gesamthaft als ausserordentlich zu qualifizieren sein. So könnten beispielsweise Zusatzaufwendungen, die aufgrund behördlicher Vorgaben entstanden sind, um die beschlossenen Notmassnahmen umzusetzen (z.B. Umbaumassnahmen oder Errichtung von Schutzvorkehrungen, um das Social Distancing zu gewährleisten sowie Kosten für die Umsetzung verstärkter Hygienemassnahmen) unter der Betrachtung der unternehmungsspezifischen Gegebenheiten als ausserordentlich zu qualifizieren sein. Ebenfalls als ausserordentlich zu qualifizieren könnten diesbezüglich wohl Abschreibungen auf Vorräte, die aufgrund der angeordneten Schliessungen überhaupt nicht oder nur mit erheblichen Preisabschlägen verkauft werden können (z.B. verderbliche Vorräte, Saisonwaren etc.). Aufwendungen und Erträge, die eher im Zusammenhang mit der Anpassung an die Umstände des «new normal» zu sehen sind, da die Folgewirkungen der Pandemie voraussichtlich mehrere Monate bzw. sogar Jahre bestehen können, erfüllen das Kriterium der Seltenheit und Unvorhersehbarkeit nicht, wie z.B. Anpassungen und Investitionen der IT-Infrastruktur zur Ausweitung der Möglichkeiten des remote working und remote conferencing, da ausserdem argumentiert werden könnte, dass diese Investitionen im Sinne eines modernen Arbeitsplatzes über kurz oder lang ohnehin angefallen wären. Aufwendungen im Zusammenhang mit der Schliessung bzw. der Verringerung des Geschäftsumfangs sind nur insoweit als ausserordentlich zu qualifizieren, als sie eindeutig in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zeit des lockdowns und nicht als Folge einer mittel- bis längerfristigen Kapazitätsreduktion aufgrund der wirtschaftlich schlechteren Rahmenbedingungen infolge der Pandemie entstanden sind.

Gleichermassen dürften auch Wertminderungen auf Sachanlagen und immateriellen Vermögenswerten in der Regel nicht als ausserordentlich zu qualifizieren sein, da eine eindeutige Zuordnung der eingetretenen Wertminderungen als direkte Folge der Pandemie oder der sich daraus ergebenden längerfristigen wirtschaftlichen Folgewirkungen nicht möglich sein dürfte.

Die Abgrenzung wird gegenwärtig in der True & Fair View Commission der ExpertSuisse diskutiert. Alles in Allem dürfte eine sehr restriktive Auslegung der Kriterien eher dem Gedanken der Swiss GAAP FER entsprechen.

Fanden Sie diese Seite hilfreich?