Perspektiven
Wegen Corona: Bargeldzahlungen in Schweizer Supermärkten eingebrochen
«Nur Bares ist Wahres» gilt nicht mehr
COVID-19 hat unser Verhalten innerhalb weniger Wochen grundlegend verändert. Viele arbeiten jetzt aus der Ferne, kaufen online ein und halten wir Abstand. Unnötige Kontakte und Berührungen schränken wir ein, auch an der Kasse im Supermarkt. Unsere Befragung hat zwar gezeigt, dass rund ein Drittel der Menschen in der Schweiz wegen Corona lieber mit Karte oder Mobiltelefon zahlen: Trotzdem braucht doch mehr als eine Pandemie bis zur bargeldlosen Gesellschaft.
Mitten im Lockdown hatten wir 1'500 in der Schweiz lebende Personen befragt, welche Zahlungsmethoden sie angesichts von COVID-19 bevorzugen. Zu dieser Zeit erhöhten Zahlungsdienstleister wie Mastercard, Visa, Postfinance und American Express die Limite für kontaktlose Kartenzahlungen ohne PIN-Eingabe vorübergehend auf 80 Schweizer Franken. Während die Geschäfte in der Schweiz zwar weiter Bargeld akzeptierten, rief der Detailhandelsverband allerdings zum Bezahlen mit digitalen oder kontaktlosen Alternativen auf.
Es ist nicht das erste Mal, dass Deloitte das Zahlungsverhalten in der Schweiz untersucht. Im Jahr 2017 fragte Deloitte, ob die Zeit gekommen sei, sich vom Portemonnaie zu verabschieden. Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass mobile Zahlungen das Bargeld zwar nicht vollkommen ersetzen würden, die Umstellung allerdings deutlich an Fahrt gewinnen würde. Ein Sprung in das Jahr 2020, in die Zeit von COVID-19, und wir können feststellen, dass viel mehr Menschen digitale und kontaktlose Zahlungsmittel nutzen.
Rückgang bei Bargeld über 50%
Mehr als ein Drittel der Befragten bezahlt nun öfter im Supermarkt digital oder kontaktlos mit Karte als vor Corona. Über die Hälfte haben entweder die Zahlungen mit Bargeld reduziert oder verzichten ganz darauf. Lediglich 41 Prozent der Befragten haben noch nie mit dem Smartphone bezahlt. Das sind nur noch halb so viele wie 2017, als noch 83 Prozent angaben, noch nie per Smartphone bezahlt zu haben. Kein Wunder: Das Bezahlen per Karte und vor allem kontaktlos mit dem Smartphone ist aus hygienischer Sicht viel sicherer.
Grafik 1: Hat sich durch das Coronavirus etwas daran geändert, wie Sie im Supermarkt bezahlen?
Wie man erwarten durfte, bestehen zwischen den Generationen einige Unterschiede. Die über 50-Jährigen zahlen am seltensten kontaktlos mit dem Smartphone (z.B. Twint, Apple Pay, Samsung Pay, PayPal App) oder gehen an die Self-Checkout-Kasse im Supermarkt: 56 bzw. 44 Prozent nutzen diese Möglichkeit nie. Die unter 30-Jährigen zahlen vermehrt mit kontaktloser Debitkarte (38%), Debitkarte (33%), Kreditkarte (31%) oder kontaktlos per Smartphone (27%).
Die älteren Generationen scheinen in der Krise nichts Neues ausprobieren zu wollen. Nur ein einziges Prozent von ihnen gab an, während Corona zum ersten Mal mit dem Smartphone bezahlt zu haben. Von der jüngsten Gruppe der Befragten haben immerhin sieben Prozent erstmals mit dem Mobiltelefon bezahlt. Es braucht also mehr als nur hygienische Gründe, um ältere Menschen dazu zu bewegen, Einkäufe mit Ihrer E-Wallet-Anwendung zu bezahlen. Deshalb sollten Detailhändler verschiedene, sowohl traditionelle als auch innovative Zahlungsmethoden anbieten, um den generationsbedingten Zahlungspräferenzen gerecht zu werden.
Not macht erfinderisch
Zwar hat die COVID-19-Lage noch kein neues Zahlungsmittel hervorgebracht, die Verbraucher haben jedoch in der Pandemie weitgehend auf Barzahlungen verzichtet und stattdessen kontaktlos und digital bezahlt. Eine ähnliche Entwicklung konnte schon einmal beobachtet werden: Als 2003 die SARS-Epidemie ausbrach, führte laut dem Weltwirtschaftsforum WEF China digitale Zahlungen und den elektronischen Handel ein, um zwischenmenschliche Kontakte zu vermeiden. Die Nutzung nahm zwar nur langsam zu, die Auswirkungen waren aber nachhaltig.
Da über das Coronavirus noch immer vieles unklar ist – etwa seine Überlebensfähigkeit auf verschiedenen Oberflächen – haben mehrere Zentralbanken, darunter in China, den USA und Südkorea, Banknoten mit ultraviolettem Licht oder durch hohe Temperaturen desinfiziert oder gar zwei Wochen lang «unter Quarantäne gestellt», bevor sie wieder in Umlauf gebracht wurden.
Bargeld könnte aber auch ohne Coronavirus langsam seine Herrschaft auf der weltweiten Bühne verlieren. Wie das Wirtschaftsmagazin Forbes berichtet, arbeiten sowohl die chinesischen als auch die französischen Währungshüter an einem digitalen Yuan beziehungsweise digitalen Euro. In den USA wird schon seit geraumer Zeit über einen digitalen Dollar diskutiert. Und in Schweden läuft bis Ende 2020 ein Pilotprojekt zur Erprobung der E-Krone. Die Zeit scheint gekommen: Zahlungen werden immer stärker digitalisiert, nicht nur auf der Mikro-, sondern auch auf der Makroebene.
Fest steht, dass die Vorteile digitaler und mobiler Zahlungen die Krise überdauern und die Nutzerzahlen sicher steigen werden. Angesichts der Herausforderungen, denen sich die Einzelhändler gegenübersehen, ist es auch in ihrem Interesse, den Kunden mehr Optionen für den Kaufabschluss anzubieten.
Stellen Sie sich für den E-Commerce auf
Die Kunden erwarten zunehmend ein nahtloses Einkaufserlebnis, insbesondere im Detailhandel. COVID-19 hat eine Reihe von traditionellen Marken und Anbietern bewogen, ihre Angebote im E-Commerce auszubauen, die Benutzerfreundlichkeit ihrer Websites zu verbessern. Den Kunden das Leben zu erleichtern beschränkt sich nicht nur auf den virtuellen Warenkorb. Händler und Geschäfte werden ihren Umsatz eher steigern, wenn sie den Kunden eine breite Auswahl an Zahlungsmethoden, automatisch ausgefüllte Bestellformulare sowie die Möglichkeit bieten, einfach per Fingerabdruck oder Gesichtserkennung zu bezahlen. Die Investitionen für ein schnelles und nahtloses Einkaufserlebnis im Laden als auch online werden sich am Ende in Form von treuen Kunden auszahlen.
Bis zu einer völlig bargeldlosen Gesellschaft ist es aber noch ein weiter Weg. Um sagen zu können, ob der Trend, per Kreditkarte oder elektronischem Wallet zu zahlen, einen grundlegenden Wandel darstellt oder eher aus der Not geboren wurde, um den Kontakt mit anderen Menschen und potenziell infektiösen Geldscheinen vorübergehend einzuschränken, ist es noch zu früh. Wenn aber sogar unsere bargeldliebenden deutschen Nachbarn ihr Verhalten ändern und digital oder kontaktlos bezahlen, ist alles möglich, wie auch die britische BBC in einem Beitrag schloss.
Passen Sie auf Ihre Karte auf
Wegen COVID-19 sahen sich die Menschen geradezu gezwungen, mit Karte zu zahlen. Es zeigte sich aber auch, dass wir doch sehr an Bargeld gewöhnt sind und in nächster Zeit wahrscheinlich nicht auf Banknoten verzichten werden. Nicht jeder und jede fühlt sich wohl mit der Vorstellung, dass Bargeld aus unserer Gesellschaft verschwindet, schon gar nicht die in Geldfragen oft noch konservativen Schweizerinnen und Schweizer.
Bargeld ist verlässlich und – sofern es nicht gefälscht ist –kann nicht gehackt werden. Bargeld unter der Matratze aufzubewahren, um sich vor finanziellen Verlusten zu schützen, ist angesichts der Krise und wirtschaftlichen Unsicherheiten nicht mehr so abwegig. Zentralbanken und Regierungen, aber auch Kriminelle können sich viel leichter Zugang zu digitalen Vermögenswerten verschaffen als zu physischen. In einem finanziell stabilen Land wie der Schweiz sind eine staatliche Enteignung oder eine überzogene Besteuerung zwar unwahrscheinlich. Autoritäre Regimes, die dringend auf finanzielle Mittel angewiesen oder bei internationalen Kreditgebern hoch verschuldet sind, könnten dies jedoch in Betracht ziehen.
Die Sorge um Betrugs- und Missbrauchsgefahren bei elektronischen Zahlungsmitteln, insbesondere bei Payment-Apps, ist durchaus berechtigt. Telefone können gehackt werden. Apps sind nicht immer 100 Prozent sicher. Verbrechergruppen nutzten die COVID-19-Krise, um verstärkt Cyberangriffe zu verüben. Schliesslich arbeiten immer mehr Menschen von zu Hause aus und kaufen dazwischen rasch Waren von unbekannten Websites. Nach Angaben des Nationalen Zentrums für Cybersicherheit der Schweiz lag die Zahl der Cyberangriffe mit Methoden wie Phishing, betrügerischen Websites oder direkten Attacken im April 2020 dreimal so hoch wie normal.
Bezüglich Sicherheit können digitale Portemonnaies punkten: Ist für den Kauf eine biometrische Authentifizierung erforderlich, entweder per Fingerabdruck oder Gesichtsscan, lässt sich ein Betrug nur sehr viel schwieriger begehen.
Die Mischung macht’s
Auch wenn kontaktlose Zahlungskarten und elektronische Geldbörsen immer häufiger genutzt werden, wird es auch in Zukunft einen Mix von Zahlungsoptionen geben müssen. Viele Menschen in der Schweiz holen bei kleineren Einkäufen immer noch Franken und Rappen aus dem Münzfach und mehr als die Hälfte verlangt noch eine Rechnung. Es ist zurzeit noch eher unwahrscheinlich, dass Schweizerinnen und Schweizer den rund 4'000 Schwedinnen und Schweden folgen werden, die sich einen Mikrochip in den Arm implantiert haben, um ihre Einkäufe in Science-Fiction-Manier zu bezahlen.
Dennoch sollten Banken und Zahlungsdienstleister ihre Initiativen zur digitalen Innovation zügig vorantreiben und ihre Analyse- und Datenmanagement-Tools weiterentwickeln. Da immer mehr Kunden auf digitale und mobile Zahlungen umstellen, werden die Anforderungen an Sicherheit, Datenschutz und Kontrolle über die eigenen Daten steigen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, denn die neuen Zahlungsmittel sind auf dem Weg, die lange Herrschaft des Bargelds zu beenden.
Autorin
Kristi Egerth - Manager, Client & Industries
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