Perspektiven

Kundschaft will zurück in die Läden – Verunsicherung bleibt aber bestehen

Der Schweizer Detailhandel und die Coronakrise

Die Menschen in der Schweiz wollen auch künftig im Laden einkaufen. Die Coronakrise sorgt zwar für eine zusätzliche Verlagerung von Umsätzen hin zum Online-Shopping, doch ein breites Ladensterben ist vorerst nicht zu befürchten. Wenn Shopping aber nicht mehr einfach, angenehm und sicher ist, vergeht der Kundschaft bald der Spass. Ein schmerzhafter Umsatzrückgang ist für den Schweizer Detailhandel daher auf jeden Fall unvermeidbar. Händler und Marken müssen also Online- und Offline-Welt weiter zusammenbringen und sich agil aufstellen, um neue Bedürfnisse rasch zu befriedigen.

Der Ausbruch der Coronakrise hat das Einkaufen in der Schweiz und auch in fast allen anderen Ländern weltweit völlig verändert. Abgesehen von Lebensmitteln waren die meisten Produkte wie Möbel, Kleider oder Bücher bis gegen Mitte Mai nur noch online oder gar nicht mehr erhältlich. Deloitte wollte wissen, wie die Kundschaft reagiert und hat Mitte April 2020 insgesamt 1’500 in der Schweiz lebende Personen zu ihrem Einkaufsverhalten vor, während und nach Corona befragt.

Vorweg einige Daten zur Einordnung: Der Onlinehandel von Schweizer Webseiten im Inland wuchs zwar 2019 im Vergleich zum Vorjahr um neun Prozent und das Wachstum hatte sich in den letzten vier Jahren verstärkt. Trotzdem wurden im vergangenen Jahr immer noch nur neun Prozent aller Einkäufe in der Schweiz online getätigt: Bei Non-Food lag der Online-Anteil bei 17 Prozent, bei Lebensmitteln waren es weniger als 3 Prozent. Damit liegt die Schweiz in etwa im internationalen Mittelfeld; in beispielsweise Grossbritannien und Deutschland ist der Online-Anteil fast doppelt so hoch.

Nach der Krise weniger in den Laden

Gemäss der Deloitte-Befragung führte die Coronakrise über alle Produktkategorien hinweg zu einem Rückgang der «klassischen Shopper», die vorwiegend im Laden einkaufen. So gaben beispielsweise 65 Prozent der Befragten an, dass sie vor dem Ausbruch der Pandemie Möbel und Einrichtungsgegenstände vorwiegend im Laden gekauft hätten. Für die Zeit nach der Coronakrise geben aber nur noch 60 Prozent an, dass sie vorwiegend im Möbelhaus einkaufen wollen – ein Rückgang um fünf Prozentpunkte. In der Abbildung 1 sind diese Rückgänge für sieben Produktkategorien angegeben, am wenigsten ausgeprägt ist der Schwund bei Kleidern und Büchern, am stärksten bei Kosmetik und Möbeln.

Diejenigen Menschen in der Abbildung 1, die künftig nicht mehr vorwiegend im Laden einkaufen wollen, wandeln sich nun aber nicht alle in begeisterte Online-Shopper. Die meisten von ihnen wollen künftig entweder gleich viel im Laden kaufen wie über das Internet bestellen oder wissen noch gar nicht, wie sie in Zukunft einkaufen werden. Die Meinung der Kundschaft steht also noch nicht fest und es herrscht noch Unsicherheit darüber, wie Einkaufen in den Monaten nach der Wiedereröffnung der Läden genau aussehen wird – ein Potenzial, das innovative Detailhändler abschöpfen könnten.

Daten aus China lassen vermuten, dass Kundinnen und Kunden keineswegs wieder in Scharen in die Läden strömen. Diejenigen, die es trotzdem tun, scheinen sehr gezielt einzukaufen und sogar höhere Beträge ausgeben als sonst – sie geben ihr Geld vor allem für Dinge aus, die sie zur Krisenbewältigung benötigen. In Grossbritannien haben Branchenverband und Gewerkschaften zudem auch im Rahmen der Massnahmen zur Eindämmung von COVID-19 empfohlen, Umkleidekabinen zu schliessen oder zumindest den Zugang zu reduzieren – dadurch würde für Kunden ein grosser Vorteil des Ladenkaufs gegenüber dem Online-Einkauf wegfallen.

Viele haben Käufe aufgeschoben

Darüber hinaus zeigt die Umfrage, dass die Menschen in der Schweiz seit dem Ausbruch der Coronakrise vor allem Lebensmittel gekauft haben und bei anderen Konsumgütern zurückhaltend waren. Je nach Produktgruppe haben zwischen 16 Prozent (Bücher) und 25 Prozent (Möbel) der Befragten angegeben, dass sie diese Produkte erst kaufen würden, wenn die Geschäfte wieder offen sind (siehe Abbildung 2).

Sportartikelläden, Möbelhäuser und Fashion Stores können also darauf hoffen, dass ein Teil der Kunden wieder in die Geschäfte strömt, die aufgeschobenen Einkäufe nachholt und dieser Neustart die Basis für eine langsame Erholung legt. Consumer Brands und Warenhäuser, die auch während der Krise den Kontakt mit der Kundschaft aufrechterhalten haben, können nun auf deren Loyalität zählen. Auch Sonderangebote werden sicher helfen, Produkte rasch loszuwerden, doch die Frühlingskollektion kommt wohl gar nichtmehr in die Regale der Modehäuser.

Einkauferlebnis versus Coronamassnahmen

Viele Menschen haben die Verkaufsstellen wegen der dort herrschenden Atmosphäre und dem Einkaufserlebnis aufgesucht; sie schlenderten durch die Einkaufsstrassen oder liessen sich im Shoppingcenter von Angeboten und Zerstreuung verführen. Erste Umfragen und Erfahrungen aus China lassen aber wie gesagt darauf schliessen, dass die Kunden nun stattdessen sehr zielstrebig das kaufen, was sie früher schon gekauft haben, aber dafür kräftiger zugreifen.
Wird ihre Shoppingtour zudem durch Schlangestehen, Abstandhalten und Maskentragen gestört und normalisieren sich gleichzeitig die Lieferzeiten der Online-Shops, könnten die «klassischen Shopper» doch noch in Scharen zum Onlinehandel wechseln. Detailhändler haben darum hoffentlich die beinahe zwei Monate Pause genutzt, um nicht nur ihren Laden auf Vordermann zu bringen, sondern auch die neuen Sicherheitsvorkehrungen clever umzusetzen. Ansonsten steht zu befürchten, dass sie das Weihnachtsgeschäft nicht mehr erleben.

Durch das Virus besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen sowie generell ältere Menschen werden die Läden wohl weiterhin eher meiden: Hier entsteht Potenzial für eine neue Zielgruppe im Onlinehandel, die mit neuen Ansätzen angegangen werden kann. Auch sollten während der Coronakrise entstandene innovative Liefermodelle für Risikogruppen, wie etwa die Zusammenarbeit von Coop und dem Schweizerischen Roten Kreuz, in einträgliche Dienstleistungen umgewandelt werden.

Online und Offline verschmelzen

Detailhändler müssen zudem Online- und Offline-Shopping noch stärker vernetzen und zusammenführen, sodass die beiden Welten nahtlos ineinander übergreifen. Bereits vor drei Jahren hat eine Studie von Deloitte ergeben, dass 83 Prozent der Schweizer Konsumenten vor, während oder nach dem Ladenbesuch digitale Geräte nutzen – hier ergeben sich Potentiale, wenn sie dabei möglichst auch auf Apps und Webseiten der Anbieter zugreifen, sei es direkt durch QR-Codes im Laden oder durch Hinweise mittels Geolocation-Technologie.

In Zukunft sollte das selbstverständlich sein: Der modebewusste Kunde bestellt von der gut sitzenden Hose direkt im Laden eine zusätzliche Farbe nach Hause, die technikaffine Alpinistin reserviert sich online den Beratungstermin für den Kauf von Bergschuhen oder die Stammkundin bucht bei ihrer Einrichtungsboutique eine individuelle Onlineberatung. Bereits kurz nach Ausbruch der Krise haben verschiedene Möbelhäuser und Gartencenter entsprechend reagiert und einen Pick-Up-Service auf die Beine gestellt oder ausgebaut, so dass online bestellte Waren direkt mit dem Auto abgeholt werden können.

Verschärfte Entwicklung nicht ausgeschlossen

Alles in allem verleiht COVID-19 dem Detailhandel einen Digitalisierungsschub und einen sprunghaften Anstieg des Onlinehandels, doch das Virus wird kurzfristig kaum zu einem breiten Ladensterben führen. Das liegt nicht zuletzt an der raschen Erreichbarkeit der Läden, ihrer hohen Dichte und dem Einkaufserlebnis in den Innenstädten, und zudem ist die Preissensibilität in der Schweiz nach wie vor kleiner.

Das Blatt könnte sich allerdings rasch wenden: Gemäss unserer Umfrage rechnen 19 Prozent der Menschen in der Schweiz damit, wegen der Coronakrise wahrscheinlich ihre Stelle zu verlieren. Diese Menschen werden wohl eher im Internet nach dem günstigsten Angebot suchen oder – sobald die Grenzen wieder offen sind – zum Grosseinkauf ins Ausland fahren.

Aber auch ohne Radikalkur beschleunigt das Virus den Strukturwandel im Detailhandel stark. Bereits vor der Coronakrise war der Ausblick für den Detailhandel gemäss der Deloitte-Studie Global Powers of Retailing eher unsicher, das Wachstum kam vor allem aus dem Onlinehandel. Im Schweizer Detailhandel hatte sich der Umsatz 2019 nur das erste Mal seit dem kontinuierlichen Rückgang seit 2015 wieder positiv entwickelt.

Starker Umsatzeinbruch unvermeidlich

Für 2020 ist hingegen mit einem aussergewöhnlich starken Umsatzeinbruch zu rechnen: Knapp zwei Monate waren die meisten Läden geschlossen, die hohen Kosten für das Ladenpersonal konnten viele Unternehmen dank Kurzarbeit zu einem grossen Teil umschichten, doch die vor allen in den Innenstädten hohen Mieten müssen früher oder später trotzdem bezahlt werden. Ob es bereits 2021 wieder ein Wachstum geben wird, ist daher noch sehr unsicher.

Das Virus hat verschiedene traditionelle Marken und Händler, wie zum Beispiel den Luxusuhrenhersteller Patek Philippe, dazu gebracht, ihre langjährigen Vorbehalte gegenüber dem Onlinekanal abzulegen. Andere haben ihre Online-Angebote angesichts des höheren Kundenaufkommens technologisch robuster gestaltet sowie gleichzeitig das Angebot ausgebaut und die Bedienerfreundlichkeit erhöht. Und auch lokal verankerte Geschäfte haben angesichts der Ladenschliessungen rasch Online-Shops auf die Beine gestellt. Viele nutzen dabei vorgefertigte E-Commerce-Software etablierter Anbieter. Das kanadische Unternehmen Shopify etwa hat seit der Coronakrise einen entsprechend starken Anstieg von Kunden und Umsätzen verzeichnet.

Wachsende Konkurrenz im Web

Diese neuen Webshops bereichern das Angebot im Onlinegeschäft – viele werden weiterhin bestehen und den Konkurrenzkampf beleben. Lokale Anbieter mit einem sehr spezifischen Angebot müssen sich allerdings gut überlegen, ob sie ihre Produkte online nur über die eigene Website verkaufen wollen oder besser mit einem grossen Anbieter kooperieren. In der Onlinedistribution entsteht so neuer Raum für künftige Konsolidierungen und es entwickeln sich Chancen für nationale oder produktgruppenspezifische Online-Shops – es muss nicht immer Amazon Marketplace sein. Lokale Anbieter haben dabei immerhin den Vorteil, dass sie ihre Lieferketten besser kontrollieren können.

Darüber hinaus ist aber vor allem mit Konzentrationen und Verschiebungen bei Unternehmen, Marken und Immobilien zu rechnen. Finanzkräftige Unternehmen – nicht zuletzt aus dem Ausland – könnten die Krise nutzen und Konkurrenten aufkaufen um sich gute Verkaufsflächen zu sichern oder starke Brands an Land zu ziehen – erst kürzlich gesehen bei der Übernahme von Pfister durch XXXLutz oder dem Verkauf von Globus an ein thailändisch-österreichisches Joint-Venture.

Weiter grosse Veränderungen erwartet

Die Schweiz ist für ausländische Unternehmen angesichts des hohen Preisniveaus nach wie vor sehr attraktiv; der krisenfeste Franken verstärkt dies noch. Allerdings sind in den vergangenen Jahren auch immer wieder grosse internationale Brands gescheitert und haben sich wieder zurückgezogen – man denke nur an die Supermarktkette Carrefour, den Möbelhändler Fly oder in diesem Jahr die Tiefgekühltes spezialisierte Ladenkette Picard.

Wie die Coronakrise das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz langfristig verändert, lässt sich erst erahnen. Die angesichts des Klimawandels zunehmend kritische Haltung gegenüber dem Konsum sowie die starke Fokussierung auf authentische Produkte und Erlebnisse könnten sich noch verstärken. Unternehmen mit einer starken Kultur, einem verständlichen Unternehmenszweck und einer ethischen Grundhaltung haben daher sicher die besseren Voraussetzungen dafür, auch in Zukunft bei der Kundschaft zu punkten.

 

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