Perspektiven
Hohes Automatisierungspotenzial in der Schweizer Industrie
Technologische Erneuerungen dürften die Rückverlagerung ausländischer Produktion und die Schaffung neuer Stellen begünstigen
Kaum irgendwo werden die Auswirkungen der Automatisierung deutlicher als im verarbeitenden Gewerbe: Fabriken und Produktionsstätten haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert. Industrieroboter und 3D-Drucker nehmen einen immer wichtigeren Stellenwert ein.
Wie stark die Beschäftigung in den nächsten Jahren davon betroffen sein wird, lässt sich anhand von Automatisierungswahrscheinlichkeiten verdeutlichen, die auf einem Modell der Universität Oxford basieren. Sie geben an, wie gut ein Beruf in naher Zukunft prinzipiell automatisierbar wäre. Gesamthaft weisen 47% aller Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe eine Automatisierungswahrscheinlichkeit von höher als 66% auf (siehe Abbildung 1). Dazu gehören einerseits Berufe in der Produktion von Waren wie z.B. Metallarbeiter und verwandte Berufe oder Hilfsarbeitskräfte und anderseits verschiedene Dienstleistungsberufe wie z.B. allgemeine Bürokräfte oder Verkäufer. Demgegenüber weisen nur 32% der Beschäftigten eine tiefe Automatisierungswahrscheinlichkeit auf, können also kaum automatisiert werden. Dazu gehören Führungskräfte in verschiedenen Bereichen z.B. Vertrieb und Marketing oder Produktionsleiter bei der Herstellung von Waren.
Automatisierungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette
Es erstaunt kaum, dass das Automatisierungspotenzial im verarbeitenden Gewerbe relativ gross ist und sich viele der heutigen Stellen in Zukunft automatisieren liessen. Bereits heute können die einzelnen Schritte der Wertschöpfungskette über weite Teile automatisiert werden. In der Planung lassen sich vorhandene Bestände und Kapazitäten dank automatisiertem Sales- und Operations-Planning effizienter mit der Nachfrage abgleichen, das Beschaffungswesen kann durch vereinheitlichte End-to-End-Lösungen fast vollständig digitalisiert werden, in der Herstellung werden vermehrt 3D-Drucker eingesetzt, für die Auslieferung laufen verschiedene Testversuche mit selbstfahrenden Fahrzeugen und Robotern und bei der Rückgabe kommt Software zum Einsatz, die imstande ist, Produkte frühzeitig zu erkennen und die Ersetzung zu initiieren.
Das bedeutet aber keineswegs, dass alle diese Jobs wegfallen und es zu einem Beschäftigungsrückgang kommt. Die Automatisierungswahrscheinlichkeiten zeigen nämlich nur auf, welche Arbeitsplätze aufgrund ihres Tätigkeitsprofils in Zukunft theoretisch von Maschinen übernommen werden könnten. Ob sich die Gesamtbeschäftigung im verarbeitenden Gewerbe effektiv ändert, hängt erstens von der Bereitschaft der Unternehmen ab, Automatisierungen auch umzusetzen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Kosten und die regulatorischen Rahmenbedingungen. Zweitens können sich aufgrund von Automatisierung die Tätigkeiten der Beschäftigten verändern. Sie verlieren in diesem Fall nicht ihren Job, sondern werden anders oder in Kombination mit den Maschinen eingesetzt. Drittens konzentrieren sich diese Automatisierungswahrscheinlichkeiten nur auf die mögliche Verdrängung von Stellen. Automatisierung kann aber auch neue Arbeitsstellen schaffen, weil sie die Produktivität der Mitarbeiter, die mit Maschinen zusammenarbeiten, steigen und die Preise der Produkte sinken lässt. Beides erhöht die Gesamtnachfrage nach Produkten, wodurch letztlich wieder neue Jobs geschaffen werden. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass diese Effekte bisher stets überwogen haben und die Beschäftigung in der Schweiz seit der Industrialisierung und der ersten grossen Automatisierungswelle deutlich gestiegen ist.
Alternative zur Produktionsverlagerung
Hinzu kommt, dass gerade im verarbeitenden Gewerbe die Automatisierung eine Alternative zur Produktionsverlagerung bietet. Aufgrund der hohen Arbeitskosten in der Schweiz haben viele Unternehmen vorwiegend arbeitsintensive Produktionsprozesse ins Ausland verlagert. Je stärker die Automatisierung voranschreitet und je günstiger der Einsatz von Robotern und Software wird, desto mehr lohnt es sich, diese ausgelagerten Tätigkeiten in die Schweiz zurückzuholen. Dies würde nicht nur die Wertschöpfung und das Steueraufkommen im Inland ausbauen und der drohenden De-Industrialisierung als Folge der starken Aufwertung des Schweizer Frankens entgegenwirken, sondern auch neue Stellen schaffen. Holt ein Unternehmen die Produktion zurück in die Schweiz, weil sich diese grösstenteils automatisieren lässt, braucht es gleichwohl Schnittstellen- und Kontrollfunktionen, die von Menschen übernommen werden. Dadurch wäre eine Rückverlagerung mit neuen Stellen verbunden.
Von diesem Effekt würden letztlich auch die Unternehmen profitieren, nicht nur weil sie dadurch Kosten sparen und die physische Wertschöpfungskette verkürzen könnten, sondern weil sie gleichzeitig von den anderen Vorteilen des Standorts Schweiz profitieren würden wie z.B. dem hohen Ausbildungsniveau der Mitarbeiter oder der hohen rechtsstaatlichen Stabilität. Entscheidend dabei ist, dass ein Unternehmen über eine klare Strategie verfügt, die es erlaubt, automatisierbare Prozesse zu identifizieren und das Potenzial und die Auswirkungen zu eruieren, bevor eine Rückverlagerung eingeleitet wird.
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