Perspektiven
Makroökonomische Politik stösst an ihre Grenzen
Negativzinsen – die neue Normalität?
Die offiziellen Zinssätze in den USA, Japan, Grossbritannien und der Eurozone liegen nahe Null oder sind bereits negativ. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus und wie lange kann das noch so weitergehen?
Die niedrigen Zinssätze entstanden durch die sogenannte "quantitative Lockerung", eine Politik, bei der die Zentralbanken finanzielle Vermögenswerte wie beispielsweise Anleihen für Geld kaufen. Als Folge dieser expansiven Geldpolitik ist in den vergangenen Jahren folgendes zu beobachten gewesen: Die Vermögenspreise steigen und die Renditen sinken tendenziell. Ein sekundärer Effekt der quantitativen Lockerung ist somit die Entstehung von Vermögensblasen, die wiederum die Vermögensverteilung beeinträchtigen.
Negativzinsen werden diese Situation noch weiter verschärfen. Während Anleger sich auf der Suche nach Rendite vermehrt risikoreicheren Anlagen zuwenden, erhöhen negative Zinssätze bei Staatsanleihen auch die Staatsverschuldung. Im Juni dieses Jahres rutschten die Renditen für 30-jährige Schweizer Staatsanleihen in den negativen Bereich ab. Damit wurde ein neuer Rekord markiert, denn dies passierte zum ersten Mal mit einer solch langlaufenden Anleihe. (Abb. 1). Mit solch einer Entwicklung wird Neuland betreten und eine nicht nachhaltige Situation geschaffen.
Um eine Rückkehr zur Normalität zu erreichen (zu Zinssätze in den industrialisierten Ländern die wieder ihren Durchschnittssätzen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechen) wäre eine massive Abwertung von finanziellen Vermögenswerten und Immobilien notwendig. Die Zentralbanken fürchten zu Recht die Auswirkungen, welche die Rückkehr zu solch höheren Zinssätzen haben würden, und schieben Zinserhöhungen so lange wie möglich auf. Doch indem sie die Korrektur hinauszögern, verschlimmern sie die Situation noch.
Der Währungs- und Fiskalpolitik gehen die Optionen aus
Mit den Zinssätzen auf einem historischen Tiefstand und die öffentliche Verschuldung im kritischen Bereich stossen die konventionellen politischen Massnahmen in Form von währungs- und fiskalpolitischen Anreizen an ihre Grenzen. In vielen Ländern wird auch die Privatverschuldung zunehmend untragbar. Zudem stossen Massnahmen zu einer weiteren Förderung des Freihandels auf Hindernisse. Die Brexit-Kampagne in Grossbritannien, der Präsidentschaftswahlkampf in den USA und das politische Meinungsbild in einigen europäischen Ländern sind klare Anzeichen für einen Aufstieg des Populismus.
Darüber hinaus nehmen die internationalen politischen Spannungen zu. Die Beziehung zwischen den westlichen Staaten und Russland haben einen neuen Tiefpunkt erreicht, während China damit beschäftigt ist, sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im währungspolitischen und militärischen Bereich zu behaupten.
Es gibt für Finanzinvestoren keine sicheren Häfen mehr. Die meisten der sogenannten BRICS-Länder, allen voran Brasilien, haben in ihrer Rolle als potenzielle neue Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft enttäuscht. Die Eurozone wird durch die Schwäche ihrer südlichen Mitgliedsstaaten wie u.a. Italien, das zurzeit zudem noch eine Bankenkrise erlebt, gebremst. Es obliegt Deutschland nahezu im Alleingang, die erforderlichen Überschüsse zu erzielen, die notwendig sind, um die Handelsdefizite anderer europäischer Länder auszugleichen.
Ein weiterer Grund zur Besorgnis ist der geplante Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union. In den kommenden Jahren wird voraussichtlich nicht nur in Grossbritannien, sondern in der gesamten Europäischen Union eine substanzielle wirtschaftliche Erholung durch die hohe Unsicherheit erschwert werden.
Eine riesige Menge an internationaler Liquidität, die durch die quantitative Lockerung geschaffen wurde, ist auf der verzweifelten Suche nach Rendite. Grosse Teile dieses Finanzkapitals liegen in Pensionsfonds und bei Lebensversicherern, und ein grosser Teil der Bevölkerung ist von den Renditen dieser Fonds und Versicherungen abhängig, um ihren Ruhestand zu finanzieren. Für Sparer und auf lange Sicht auch für die Steuerzahler stellen niedrige Zinssätze eine grosse Belastung dar, da sie die Finanzierung und Anhäufing von Schulden begünstigen. Der Druck auf die Erträge von Finanzvermögenswerten wird womöglich noch mehr steigen, da der positive Effekt niedriger Zinsen auf die Bewertung von Aktien in Zukunft nachlassen könnte.
Der Währungs- und Fiskalpolitik gehen die Optionen aus. Obwohl es den politischen Entscheidungsträgern nicht gelungen ist, durch ihre bisherigen unkonventionellen geldpolitischen Massnahmen (z.B. quantitative Lockerung) eine solide wirtschaftliche Erholung herbeizuführen, ziehen sie nun noch extremere Massnahmen in Erwägung (z.B. sogenanntes „Helikoptergeld“ oder die Abschaffung von Bargeld). Dies zeugt von einer gewissen Verzweiflung.
Durch weitere Pläne der Zentralbank, ihr Ankaufprogramm über hochwertige Staatsanleihen hinaus auszuweiten, wird das Vertrauen in das aktuelle geldpolitische System weiter geschwächt werden. Es sieht ganz danach aus, dass die niedrigen und negativen Zinssätze noch sehr lange Zeit fortbestehen werden.
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