Perspektiven

Graben zu den Britischen Inseln

Festland schätzt Brexit als unwichtig ein – Lehren für die Schweiz

Der Austritt aus der Europäischen Union ist nach wie vor das grosse Thema in den britischen Medien. Die Briten denken immer noch, dass der Brexit auch für das restliche Europa das wichtigste Thema sei. Dem ist aber nicht so. Zumindest aus Wirtschaftssicht ist der Brexit für die Länder auf dem europäischen Festland im Moment nur ein untergeordnetes Risiko, wie Ergebnisse der europäischen Deloitte CFO-Umfrage mit 1'652 Teilnehmern zeigen.

Die Zeit läuft ab und Grossbritannien wird – falls nicht eine radikale politische Kehrtwende geschieht – in weniger als einem Jahr automatisch die EU verlassen. Und doch ist im Moment noch völlig unklar, wie der Brexit aussehen und wann er de facto vollzogen werden wird, bzw. wie und wie lange eine Übergangsphase ausfallen wird. Die Brexit-Diskussion ist in Grossbritannien aber weiterhin in vollem Gange. Immer mehr technische Details zu den möglichen Auswirkungen werden in der Öffentlichkeit diskutiert: Wäre das Norwegen-Modell für Grossbritannien eine Möglichkeit und wie könnte dies aussehen? Oder sollte nicht die Schweiz als Vorbild dienen? Braucht es weiter eine Zollunion mit der EU und könnte eine solche überhaupt umgesetzt werden? Hätte es am wichtigsten britischen Fährhafen in Dover genügend Platz für die Zollabfertigung?

Angesichts dieser Debatten ist nicht verwunderlich, dass britische CFOs in den möglichen Folgen des Brexit das zweitgrösste Risiko für das eigene Unternehmen sehen. Ihr grösstes Risiko – schwaches Wirtschaftswachstum in Grossbritannien – hängt ebenfalls direkt mit den möglichen Folgen des chaotischen Brexit-Prozesses zusammen.

Die Wahrnehmung von CFOs vom europäischen Festland ist eine andere. Von 12 Risiken ordnen sie einem harten Brexit die zweitniedrigsten möglichen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen zu. Ausserhalb Grossbritanniens widerspricht nur Irland. Aus Sicht der irischen CFOs ist der Brexit das mit Abstand grösste Risiko innerhalb der nächsten zwei Jahre. Mehr als doppelt so viele irische CFOs sehen hohe Auswirkungen auf das eigene Unternehmen als der europäische Durchschnitt. Niedrige Auswirkungen sehen in Irland nur wenige. Das grösste Risiko aus Sicht europäischer CFOs ist eine erneute Krise in der Eurozone. Die neue populistische Regierung in Italien trägt aktuell auch nicht zu einer Beruhigung bei: eine neue wirtschaftliche oder politische Krise in der Eurozone ist daher wahrscheinlicher geworden und hätte erhebliche Auswirkungen, auch über die Eurozone hinaus.

Abbildung: Einschätzung der Auswirkungen eines harten Brexit auf das eigene Unternehmen

Im Moment zumindest wird der Brexit im Wesentlichen als ein britisches und irisches Problem gesehen. Er wäre aber nicht das einzige vorwiegend nationale Problem, das plötzlich ganz Europa erfasst – man denke an die Schuldenkrise Griechenlands oder die unsichere politische Situation in Italien. Genau hier liegt eine mögliche Erklärung für die relativ niedrige europäische Brexit-Angst: Andere interne Herausforderungen in der EU haben im Moment Priorität. Zudem gelang es Brüssel bisher sehr gut, Nachahmer abzuschrecken und damit einen Flächenbrand zu verhindern. Da bleibt weniger Aufmerksamkeit, sich mit der gleichen Gründlichkeit jeder nationalen Wunschliste zu widmen, zumal nicht, wenn diese so verwirrt und unvollständig ist wie die britische. Auch dann nicht, wenn sich das scheinbar vorwiegend nationale Problem am Ende doch als Problem für ganz Europa erweisen sollte.

Grossbritannien ist natürlich nicht das einzige Land, dessen Verhältnis zur EU neu definiert werden muss. Für die Schweiz gilt dies auch. Und die Schweiz kann sich noch viel weniger sicher sein, dass aus Schweizer Sicht entscheidende Details in der breiteren europäischen Öffentlichkeit ebenfalls als bedeutend wahrgenommen werden: Ist ein Rahmenabkommen sinnvoll? Welche Bilateralen Abkommen wären darin enthalten und welche nicht?

In der Schweiz sind diese Fragen Teil der öffentlichen Debatte, in Europa reden nur eine Handvoll Experten mit. Wenn es eine Lehre für die Schweiz aus dem bisherigen Brexit-Prozess gibt, dann vielleicht diese: Keep it simple. Im Moment besteht auf Schweizer Seite noch einiger Klärungsbedarf. Selbstbestimmungsinitiative, Begrenzungsinitiative, Referendum gegen Übernahme der EU-Waffenrichtlinie, staatliche Beihilfen, flankierende Massnahmen: Wie sieht die Schweizer Position hier jeweils aus? Statt britischem Wankelmut sollte die Schweiz Klarheit demonstrieren. Erst intern die eigenen Positionen klären, dann diese mit der EU hart und auf Augenhöhe verhandeln.

Unabhängig von der politischen Grosswetterlage müssen die Unternehmen sich aber spezifisch mit den Risiken einzelner Länder auseinandersetzen, Szenarien aufstellen und geeignete Absicherungen machen – und flexibel bleiben.

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