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Höheres Rentenalter in der Schweiz? Zwei von fünf 50plus-Arbeitskräften möchten über das Pensionsalter hinaus arbeiten

Zürich/Genf, 14. November 2019

Die Schweiz altert. Bis 2030 fehlen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt voraussichtlich fast eine halbe Million Arbeitskräfte. Daher sollte das Potential der Altersgruppe 50plus besser genutzt werden. Laut einer neuen Studie von Deloitte würden 40% aller Erwerbspersonen zwischen 50 und 64 Jahren gerne über das Pensionsalter hinaus weiterarbeiten. Allerdings rechnen nur sehr wenige damit, dies auch tatsächlich zu tun. Sowohl Schweizer Unternehmen als auch die Politik und die Erwerbstätigen selbst müssen handeln, um diese Lücke zu schliessen.

Das wachsende demografische Ungleichgewicht setzt nicht nur das Schweizer Sozialversicherungssystem unter Druck, sondern verringert auch die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte. Nach Berechnungen der Grossbank UBS werden auf dem Schweizer Arbeitsmarkt bis 2030 etwa 230'000 bis 500'000 Arbeitskräfte fehlen. Unternehmen müssen deshalb das vorhandene Potential besser mobilisieren, damit sie in Zukunft weiterhin wettbewerbsfähig bleiben und Fachwissen in der Belegschaft halten können.

Auch wenn die Lage der 50plus-Erwerbstätigen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt grundsätzlich gut ist, schlummert in dieser Altersgruppe noch viel ungenutztes Arbeitskräftepotential. Die Arbeitsmarktpartizipation sinkt ab dem Alter von 60 Jahren deutlich ab. Viele ältere Erwerbstätige ziehen sich bereits vor dem Erreichen des ordentlichen Rentenalters vom Arbeitsmarkt zurück; die Mehrheit tut dies freiwillig. Die Altersgruppe 65 bis 69 verzeichnet eine relativ geringe Arbeitsmarktpartizipation (23%) verglichen mit dem OECD-Durchschnitt (27%). Hauptgrund dafür ist das fixe Rentenalter in der Schweiz, das im OECD-Vergleich niedrig ist. Gelänge es, diese Personen länger im Erwerbsleben zu halten, würde dies die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt erheblich abfedern.

Zwei von fünf Erwerbspersonen möchten über das Pensionsalter hinaus arbeiten

Personen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind und nach dem Erreichen des Rentenalters noch weiterarbeiten möchten, stellen ein beträchtliches Arbeitskräftepotenzial dar – und dieses liesse sich einfach mobilisieren. Um die Höhe dieses Potenzials zu beziffern, hat Deloitte Schweiz eine repräsentative Onlinebefragung unter 1'000 in der Schweiz wohnhaften Personen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren durchgeführt. Die Ergebnisse sind bemerkenswert: 40% der befragten Erwerbspersonen zwischen 50 und 64 Jahren möchten über das ordentliche Pensionsalter hinaus weiterarbeiten: 35% würden gerne in Teilzeit weiterarbeiten, und 5% in Vollzeit. Hochgerechnet auf die Gesamtbeschäftigung wären dies 578'000 Arbeitskräfte.

«Unsere Studie zeigt, dass ein guter Teil der über 50-Jährigen definitiv bereit ist, über das ordentliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Das sind gute Nachrichten für die Schweizer Wirtschaft. Würde dieses Potenzial vollständig ausgeschöpft, liesse sich das zukünftige Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt zwischen Aus- und Eintritten deutlich lindern. Das würde auch die Sozialversicherungen entlasten. Die Mobilisierung dieser Altersgruppe könnte einen erheblichen Teil der von UBS bis zum Jahr 2030 prognostizierten Lücke schliessen», so Michael Grampp, Chefökonom bei Deloitte Schweiz und Mitautor der Studie.

Ältere Arbeitnehmer möchten länger arbeiten – aber werden und können sie das auch?

Vergleicht man die Bereitschaft der 50- bis 64-Jährigen, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten, mit der effektiven Arbeitsmarktpartizipation der Pensionierten, ergibt sich allerdings ein beträchtlicher Unterschied: 2018 waren lediglich 23% der 65- bis 69-Jährigen noch in einem Beschäftigungsverhältnis – deutlich weniger als die obengenannten potenziellen 40%. Und obwohl 40% der 50- bis 64-Jährigen angeben, dass sie gerne über das offizielle Pensionsalter hinaus arbeiten möchten, rechnen nur 30% dieser Personen damit, dies tatsächlich auch zu tun (siehe Diagramm).

Auf den ersten Blick scheint diese ausgeprägte Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität sehr verwunderlich. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass sich dies unter anderem auf den Automatismus zurückführen lässt, den Mitarbeitende im Kopf haben: Durch das gesetzlich verankerte fixe Rentenalter ist für viele klar, dass sie automatisch mit 64 beziehungsweise 65 aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden werden. 

Fehlende Möglichkeiten sind ein weiterer Grund für die Diskrepanz: Laut der Deloitte-Studie bestand für 66% der bereits pensionierten Befragten gar keine Möglichkeit zum Weiterarbeiten. 46% in dieser Gruppe hätten gerne weitergearbeitet – dies entspricht knapp einem Drittel (30%) aller bereits Pensionierten. Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, warum Unternehmen Mitarbeitende nicht über das ordentliche Rentenalter hinaus beschäftigen; unter anderem die damit verbundenen Kosten, fehlendes Fachwissen oder Vorurteile. Manchen Unternehmen ist jedoch das Arbeitskräftepotenzial älterer Arbeitnehmer wohl schlicht nicht bewusst. 

Zudem lässt sich die Diskrepanz zwischen der Bereitschaft zum Weiterarbeiten und der Wirklichkeit auch dadurch erklären, dass entsprechende Anreize fehlen. So lange es sich finanziell nicht lohnt, werden viele Erwerbstätige nicht über das Rentenalter hinaus arbeiten. 

Unternehmen sind gefordert…

«Damit ältere Personen besser in den Arbeitsmarkt eingebunden werden können, ist entscheidend, dass auch Arbeitgeber ihre Einstellung gegenüber älteren Angestellten ändern. Unternehmen müssen Möglichkeiten schaffen, um Mitarbeitende von der Frühpensionierung abzuhalten oder über die Pensionierung hinweg im Arbeitsleben zu halten. Viele Arbeitnehmer würden dies tatsächlich gerne tun, wie unsere Studie zeigt», sagt Adam Stanford, Managing Partner Consulting bei Deloitte Schweiz.

Er erläutert weiter: «Für einen grundlegenden Wandel der Unternehmenskultur ist es unbedingt notwendig, Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern zu überwinden. Unternehmen müssen auch einen Dialog mit den älteren Mitarbeitenden führen: Fast die Hälfte der bereits pensionierten Personen wäre bereit gewesen, länger zu arbeiten, wenn ihr Arbeitgeber ihnen vor ihrer Pensionierung konkrete Möglichkeiten dazu aufgezeigt hätte. Das ist eine verpasste Chance für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugleich.» 

Mögliche Massnahmen sind die Förderung von Teilzeitarbeit und die Einführung flexibler Arbeitsmodelle. 40% der bereits pensionierten Personen geben an, dass sie weitergearbeitet hätten, wenn sie ihr Arbeitspensum hätten anpassen können. Freelance-Modelle oder eine Neuausrichtung hin zu Fachexperten oder Beratern sind weitere Möglichkeiten.

Unternehmen können das Potenzial älterer Arbeitnehmer auch besser ausschöpfen, wenn sie ihre Belegschaft regelmässig schulen und berufliche Fähigkeiten an die zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes angleichen. Selbstverständlich bedingt der Erhalt der Arbeitsmarkfähigkeit auch Anstrengungen seitens der  Mitarbeitenden – das Konzept des lebenslangen Lernens muss von beiden Seiten aktiv umgesetzt werden.

… und ebenso die Politik

Nicht nur Unternehmen müssen handeln, auch die Politik ist gefragt. Die derzeitigen Rahmenbedingungen sind wenig hilfreich bei der Mobilisierung des älteren Arbeitskräftepotenzials. Es braucht Anpassungen beim Rentenalter und Verbesserungen bei den finanziellen Anreizen.

«Wie in einem kürzlich veröffentlichten OECD-Bericht dargelegt sind eine Modernisierung des Rentensystems und eine Verlängerung des Arbeitslebens von zentraler Bedeutung, um zu vermeiden, dass die alternde Bevölkerung zur Belastung für Unternehmen und Arbeitstätige wird. Soviel ist sicher: Wenn ältere Arbeitnehmer länger arbeiten sollen, dann muss das Rentenalter flexibler werden. Die Altersvorsorge muss an die durchschnittliche Lebenserwartung oder die Länge des Arbeitslebens einer Person angepasst sein, damit das System finanziell tragbar bleibt. Es braucht auch effektive Anreize: Wer länger arbeitet, muss auch mehr ausbezahlt bekommen», so Michael Grampp.

Gleichzeitig mit der Erhöhung des Rentenalters sollte der Renteneintritt flexibler gestaltet werden. Hierbei könnte sich die Schweiz Länder wie Schweden und Kanada zum Vorbild nehmen. Dort wurde die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters direkt verknüpft mit Massnahmen, die den Renteneintritt flexibler machen. In keinem der beiden Länder besteht eine Erwartung an Arbeitnehmer, bei Erreichen eines festgelegten Alters in Rente zu gehen.

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