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Gesellschaftliche Verantwortung: Schweizer Unternehmen mangelt es noch an systematischer Zielsetzung

Zürich/Genf/Luzern 02. März 2020

Nehmen die Unternehmen in der Schweiz ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr? Bei vier von fünf Verwaltungsräten ist das Thema zumindest in der Unternehmensstrategie verankert. Aber zwei von fünf scheinen nicht über genügend Ressourcen und Fachwissen zu verfügen, um das Thema erfolgreich umzusetzen. Der aktuelle swissVR Monitor mit Antworten von 429 Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräten zeigt, dass nur gut die Hälfte der Unternehmen die für sie bedeutenden Themenfelder abgesteckt hat. Mitarbeitende sind bei der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung klar im Fokus, gefolgt von den Kunden und mit einigem Abstand von Natur und Umwelt. Es gibt zum Thema durchaus auch skeptische Stimmen: Ein Viertel der Befragten findet, Gewinnerzielung und Steigerung des Unternehmenswerts seien ihre einzige wirkliche Verantwortung.

Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen oder Corporate Social Responsibility (CSR) ist in aller Munde: unzählige Initiativen wurden lanciert, reihenweise Absichtserklärungen unterzeichnet und eine Vielzahl Berichte veröffentlicht. Am Weltwirtschaftsforum in Davos waren Unternehmensverantwortung und Klimawandel die alles dominierenden Themen. Gemäss dem von der Vereinigung swissVR zusammen mit dem Beratungsunternehmen Deloitte und der Hochschule Luzern herausgegebenen swissVR Monitor spiegelt sich diese öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema auch in den Verwaltungsräten der Schweizer Unternehmen: 36 Prozent haben gesellschaftliche Unternehmensverantwortung vollständig in die Unternehmensstrategie integriert, 45 Prozent zumindest teilweise.

Oft fehlen klare Ziele

Bei der Umsetzung ist allerdings noch Handlungsbedarf auszumachen: Nur drei Fünftel (61%) der Befragten sind der Meinung, ihr Verwaltungsrat verfüge über genügend Ressourcen und Fachwissen, um das Thema erfolgreich umzusetzen. In dieses Bild passt, dass bei knapp der Hälfte (46%) der Befragten die für das Unternehmen wichtigen Themen des gesellschaftlichen Engagements eher nicht (36%) oder gar nicht (10%) definiert sind. Und nur bei einem Zehntel (9%) hat der Verwaltungsrat klare und zeitlich abgestimmte Zielsetzungen für das gesellschaftliche Engagement festgelegt, wobei dieser Aussage immerhin weitere 27 Prozent eher zustimmen. Und nur gut die Hälfte (54%) der Befragten sind der Meinung, sie würden sich im Verwaltungsrat genug Zeit nehmen, um sich mit dem Thema gesellschaftliche Verantwortung auseinanderzusetzen.

«Immer mehr Schweizer Unternehmen realisieren, dass die Menschen mehr von ihnen erwarten, als Gewinne zu erzielen und Arbeitsplätze zu schaffen. Gleichzeitig nimmt das öffentliche Misstrauen gegenüber der Wirtschaft zu – das zeigt sich zurzeit ganz konkret in der breiten Sympathie für die Konzernverantwortungsinitiative. Eine stärkere Regulierung scheint kaum mehr zu verhindern zu sein», erläutert Reto Savoia, CEO von Deloitte Schweiz.

Savoia sieht aber auch grosse unternehmerische Chancen: «Unternehmen müssen ihre spezifische Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft überzeugend strategisch verankern und die für sie wesentlichen materiellen Themen systematisch herausarbeiten. Um sich echte Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, reicht das alleine aber nicht. Es braucht klare Ziele, eine Wirkungsmessung sowie eine transparente Kommunikation. Letztlich geht es um einen Kulturwandel und die unternehmensweite Verankerung einer integrierten Denkweise.»

Mitarbeitende wichtiger als Umwelt

Für Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte stehen die Mitarbeitenden als Zielgruppe ganz zuoberst, wenn es um gesellschaftliche Unternehmensverantwortung geht: Für 89 Prozent sind faire Löhne und Arbeitsbedingungen oder der Gesundheitsschutz wichtig. Fast ebenso hohe Priorität wird allgemein dem ethischen Wirtschaften beigemessen – es geht dabei um die korrekte Einhaltung von Gesetzen, fairen Wettbewerb und ethisch vertretbare Geschäftspraktiken. Knapp zwei Drittel der Befragten (64%) bezeichnen zudem die Kundschaft als wichtig und denken dabei an transparente Informationen zu Herstellung, zur Lieferkette oder an den Konsumentenschutz. Natur und Umwelt bezeichnen noch knapp die Hälfte (47%) der befragten Führungskräfte als wichtigen Aspekt der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung. Ähnlich wichtig wie Umweltverträglichkeit, Klimaschutz, Energieeffizienz oder Ressourcenschonung sind für die Schweizer Unternehmen die Verantwortung für die Auswirkungen der Digitalisierung: Gut die Hälfte (51%) der Befragten bezeichnen Datenschutz, Informationssicherheit oder soziale Auswirkungen digitaler Technologien als wichtigen Aspekt ihrer gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung.
 

«Der zentrale Stellenwert der Mitarbeitenden ist gerechtfertigt, sie sind das wichtigste Gut der Unternehmen und beeinflussen wesentlich dessen Erfolg. Immer mehr Unternehmen nehmen die Verantwortung für die Entwicklung ihrer Mitarbeiten¬den selbst in die Hand und bereiten diese auf neue Herausforderungen wie die digitale Transformation vor. Schweizer Unternehmen tun gut daran, eine Kultur des lebenslangen Lernens in ihren Organisationen zu verankern. Viele müssen sich aber noch mehr darum kümmern, welche Fähigkeiten ihre Mitarbeitenden benötigen, um ihr Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Weiter ist es ein gutes Zeichen, dass die Unternehmen digitale Technologien nicht nur als Gewinntreiber sehen und zur Effizienzsteigerung einsetzen wollen, sondern sich auch ihrer Verantwortung für mögliche negative Auswirkungen bewusstwerden», sagt Cornelia Ritz Bossicard, Präsidentin swissVR.

Viele KMU noch skeptisch

Die grosse Mehrheit der Befragten findet, dass die Wahrnehmung gesellschaftlicher Unternehmensv-erantwortung die Mitarbeiterbindung fördert, die Attraktivität als Arbeitgeber erhöht, die Kundengewinnung erleichtert sowie die Wettbewerbsfähigkeit und Reputation stärkt. Es gibt aber auch skeptische Stimmen: Für gut ein Drittel (36%) der Befragten ist die Fokussierung der Unternehmen auf ihre wirtschaftlichen Aufgaben vorrangig. Unternehmensverantwortung verursache Kosten, schmälere den Gewinn und verteuere die Produkte, heisst es bei 32% der Befragten. Ein Viertel (25%) der befragten Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte unterstützen die Aussage, Gewinnerzielung und Steigerung des Unternehmenswerts seien ihre einzige wirkliche Verantwortung. Weitere zwei Fünftel (40%) meinen, ihr Unternehmen nehme schon genug gesellschaftliche Verantwortung wahr, indem es Arbeitsplätze schaffe und Steuern zahle.

Die Befragung zeigt somit auch einen Zielkonflikt zwischen Kosten und Nutzen von Massnahmen zur Wahrnehmung von gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung auf. Dieser ist bei den KMU klarer ausgeprägt als bei Grossunternehmen: 40 Prozent der Befragten von kleinen und 30 Prozent von mittelgrossen Unternehmen finden, dass gesellschaftliches Engagement vor allem Kosten verursacht. Bei Grossunternehmen sind nur 26 Prozent dieser Meinung.

Prof. Dr. Christoph Lengwiler, Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern und Vizepräsident von swissVR erläutert: «In den Verwaltungsräten von KMUs herrscht offenbar noch eine gewisse Skepsis gegenüber dem effektiven Nutzen von gezieltem gesellschaftlichem Engagement. Das kann nebst den knappen Ressourcen auch daran liegen, dass viele eigentümergeführte Unternehmen und insbesondere Familienunternehmen schon eine lange Tradition von unternehmensverantwortlichem Handeln haben. Sie sind in ihrem gesellschaftlichen Umfeld verankert und nehmen entsprechende Verantwortung wahr, ohne dies in schriftlich formulierten Zielen und CSR-Programmen zu verankern. Hier kann es sich durchaus lohnen, das als selbstverständlich erachtete gesellschaftliche Engagement den Anspruchsgruppen aktiver zu kommunizieren.»

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