Perspektiven

«Die Pandemie war ein perfekter Test für agile Unternehmensführung»

Publiziert am 17 Juni 2024

Ist eine erfolgreiche Firma auch zwangsläufig hervorragend geführt? Nein, meint Andreas Bodenmann – aber hervorragend geführte Firmen haben in der Regel länger Erfolg. Was zeichnet solche «Best Managed Companies» aus?

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Was machen hervorragend geführte Unternehmen besser als andere Firmen?

Andreas Bodenmann: Unterer anderem zeichnen sie sich durch eine sogenannte agile Führung aus. Sie haben sich intern so organisiert, dass sie Signale für sich anbahnende Veränderungen frühzeitig erkennen und im Bedarfsfall schnell darauf reagieren können.

 

Viele Veränderungen hat die Pandemie mit sich gebracht – war sie demnach ein interessanter Prüfstein?

Tatsächlich. Wie sagt man so schön? Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. Fast jedes Unternehmen war gezwungen, auf die Pandemie-Restriktionen zu reagieren. Ein perfekter Test für agile Unternehmensführung.

Können Sie ein Beispiel für «agile Unternehmensführung» nennen?
Wir verzichten bewusst auf die Hervorhebung einzelner Aspekte, die ein Unternehmen auszeichnen, denn je nachdem wie eine Firma aufgestellt ist, kann das gleiche Beispiel Ausdruck einer starken oder einer sich widersprechenden Unternehmensführung sein. Ein Beispiel, das mich jedoch sehr beeindruckt hat, betrifft ein Nahrungsmittelunternehmen, das zu Beginn der Pandemie innert Tagen vom stationären Verkauf in den eigenen Ladengeschäften auf den Onlinehandel umgestellt hat.

 

Wie hat die Führung auf diese Notwendigkeit reagiert?

Erstaunlich: Sofort hat sie Mitarbeitende einer Lagerhalle zugewiesen. Dort haben diese in Windeseile Gestelle montiert und Verpackungsstrassen eingerichtet. Innert weniger Tage haben sie damit die logistischen Grundlagen für einen Onlineshop geschaffen. Parallel dazu hat das Unternehmen den eigenen Webshop professionalisiert. Dank dieser rasch ergriffenen Massnahmen hat die Firma überlebt und die Pandemiezeit ohne grosse Entlassungswellen überstanden.

 

Sie verantworten in der Schweiz das Programm «Best Managed Companies» (BMC), in dessen Rahmen eine unabhängige Jury die herausragendsten Unternehmen in Privatbesitz auszeichnet. Was bedeutet diese Auszeichnung?

Es ist ein Gütesiegel für eine hervorragende Unternehmensführung, die auf nachhaltiges Unternehmenswachstum ausgerichtet ist. Das Programm wurde ursprünglich vor 30 Jahren in Kanada ins Leben gerufen – heute werden Unternehmen in nahezu 50 Ländern mit dem Titel «Best Managed Company» ausgezeichnet. Die Auszeichnung verleiht den betreffenden Unternehmen auch einen Schub in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist nicht nur aus kommunikativer und marketingtechnischer Sicht sehr wertvoll: Vielen Unternehmen in Privatbesitz fehlt immer noch eine «Aussenperspektive». Durch die detaillierte Beurteilung während des BMC-Programms wird den betreffenden Unternehmen ein Spiegel vorgehalten. So können sie ihre internen Prozesse und Geschäftspraktiken aus einer externen Perspektive reflektieren.

 

Warum ist dieses externe Korrektiv wichtig?

Hervorragend geführte Unternehmen suchen und berücksichtigen bewusst unterschiedliche Meinungen und Perspektiven. Für Firmen in Privatbesitz kann das bedeuten, dass im Verwaltungsrat oder in der Geschäftsleitung nicht nur Familienmitglieder sitzen, sondern auch Externe. Etwa eine Person, die in einer ähnlichen Branche oder einer viel kleineren oder grösseren Firma tätig ist. Oder eine Person mit Kompetenzen, die der Firma fehlen.

Viele Studien zeigen, dass Frauen in der Tendenz unabhängiger denken, dass ihnen Nachhaltigkeit und Inklusion wichtig sind, dass sie sich weniger blenden lassen und oft auch einen anderen Umgang mit Risiken.

Andreas Bodenmann ist Partner bei Deloitte und leitet das «Best Managed Companies»-Programm. 

«Eine Person» – ich nehme an, Sie haben sehr bewusst weder die männliche noch die weibliche Form verwendet.

Ja. Mein langjähriger Eindruck und auch viele Studien zeigen, dass Frauen in der Tendenz unabhängiger denken, dass ihnen Nachhaltigkeit und Inklusion wichtig sind, dass sie sich weniger blenden lassen und oft auch einen anderen Umgang mit Risiken haben als ihre männlichen Kollegen. Alles gute Gründe, Frauen in Entscheidungsgremien zu integrieren.

 

Welche Stärken zeichnen «Best Managed Companies» sonst noch aus?

Sie binden Mitarbeitende aus verschiedenen Führungsstufen in die Unternehmensführung ein und übertragen ihnen Verantwortung. Diese Mitarbeitenden sind erstens tendenziell näher bei den Kundinnen und Kunden und erfassen deren Bedürfnisse unmittelbarer. Dieses Wissen ist äusserst wertvoll. Zweitens sind diese Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Botschafterinnen und Botschafter des Unternehmens. Wenn sie die Strategie aktiv mitentwickeln, tragen sie das Ergebnis entsprechend motiviert weiter.

 

Steht der Anspruch, agil zu sein, nicht im Widerspruch dazu, dass ein Unternehmen eine langfristige Strategie anstrebt? Wie bringt ein gut geführtes Unternehmen Beides unter einen Hut?

Hervorragend geführte Unternehmen müssen sich so organisieren, dass sie sich schnell an ein mutierendes Umfeld anpassen können. Das ist entscheidend. Die Strategie ist der erste von vier zentralen Pfeilern. Der zweite Pfeiler besteht aus den unternehmensspezifischen Innovationen und Fähigkeiten; der dritte Pfeiler betrifft die Firmenkultur und die emotionale Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen.

 

Und der vierte Pfeiler?

Er beinhaltet einerseits die Strukturen, Richtlinien und Prozesse, durch die ein Unternehmen geführt und kontrolliert wird, andererseits seine finanzielle Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Um langfristig Erfolg zu haben, muss ein Unternehmen diese vier Pfeiler aufeinander abstimmen – sich gleichzeitig aber so organisieren, dass es Impulse aus allen Pfeilern aufnehmen kann, um agil zu handeln. Das ist kein Widerspruch.

 

Wie behalten agil geführte Firmen ihren unternehmerischen Fokus?

Tatsächlich sind «Best Managed Companies» in der Regel auch «Best Focused Companies», denn sie haben eine klare Ausrichtung. Ein weiteres Beispiel (ohne Namen zu nennen): Ein Unternehmen, das als «Best Managed Company» ausgezeichnet wurde, stellt Produkte mit starkem Wiedererkennungswert her – dank markengetriebener Verpackung. Allerdings sah die Firma einen grossen Verbesserungsbedarf in Bezug auf die Materialien, die für diese Verpackung zum Einsatz kommen. Neuerdings werden nun einfach wiederverwertbare Rohstoffe dafür eingesetzt – ein grosser Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Für das Management stellte sich ferner die Frage, ob das Unternehmen nicht diversifizieren und zum Beispiel das eigene Know-how im Verpackungsbereich anderen Firmen zur Verfügung stellen solle. Doch die Unternehmensführung entschied sich aufgrund der begrenzten Ressourcen bewusst dagegen.

 

Welche Rolle spielt das Glück im Unternehmerleben?

Im Leben von Unternehmen spielt Glück eine durchaus relevante Rolle, doch es kommt wesentlich darauf an, wie aktiv man es «sucht». Unternehmerische Führungskräfte, die offen sind für Neues, können Chancen besser wahrnehmen. Agil geführte Firmen sind besonders gut darauf vorbereitet, solche Gelegenheiten schnell zu erkennen und zu nutzen. Agilität in der Unternehmensführung bedeutet, dass man schnell auf Veränderungen reagieren und Entscheidungen effizient umsetzen kann. Glück kann also als Katalysator für den Erfolg dienen, wenn es durch kluge Unternehmensführung ergänzt wird.

Jede Firma sollte sich darüber im Klaren sein, wo ihre grössten Risiken liegen. Um diese Risiken zu minimieren, muss sie Instrumente zur Risikoüberwachung einbauen.

Andreas Bodenmann

Wie muss ich als CEO bzw. Inhaberin oder Inhaber die potenziellen Risiken meines Unternehmens handhaben?

Jede Firma sollte sich darüber im Klaren sein, wo ihre grössten Risiken liegen. Um diese Risiken zu minimieren, muss sie Instrumente zur Risikoüberwachung einbauen. Nehmen wir zum Beispiel ein Unternehmen, das Hightech-Produkte für die Luftfahrt entwickelt. Es ist gut beraten, erstens Szenarien mit Eintrittswahrscheinlichkeiten für bestimmte Risiken zu definieren und zweitens zu klären, was zu tun ist, wenn tatsächlich Probleme auftauchen. Es ist üblich, dem Verwaltungsrat vierteljährlich aufzuzeigen, wo das Projektportfolio des Unternehmens steht und wie sich die einzelnen Risiken entwickeln. Natürlich braucht nicht jede Firma ein gleichermassen ausdifferenziertes Risikomanagement.

 

Ich würde unser Gespräch gerne mit drei Zitaten von herausragenden Unternehmern beenden. Darf ich Sie bitten, diese kurz zu kommentieren? Steve Jobs hat einmal gesagt: «Innovation unterscheidet den Anführer vom Verfolger.» Wie stehen Sie dazu?

Es muss überhaupt nicht sein, dass der Anführer innovativer ist als der Verfolger. Zudem ist nicht garantiert, dass ein Anführer sich automatisch höhere Wachstumschancen und eine höhere Profitabilität sichern kann als ein Verfolger. Wichtig ist, dass man seine Position bewusst wählt und konsequent in der Unternehmensführung umsetzt.

 

Der Unternehmer Richard Branson sagte einmal: «Der Geschäftserfolg hängt davon ab, die Mitarbeitenden zu motivieren. Nichts anderes ist wichtiger.» Hat er recht aus Ihrer Sicht?

Die Mitarbeitenden richtig zu führen ist zentral. Aber Strukturen sind ebenso wichtig. Ohne Strukturen besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitenden nicht fokussiert eingesetzt werden – und dann vergeht die Motivation schnell.

 

Jack Welch war in den 1980er- und 1990er-Jahren Geschäftsführer von General Electric. Er sagte einmal: «Bevor du ein Anführer wirst, geht es ums Wachsen. Und wenn du ein Anführer geworden bist, geht es ums Wachsenlassen der anderen.» Was denken Sie über diese Aussage?

Ich glaube, dass «Wachsenlassen» für jede Managementstufe gilt – und hoffentlich nicht beim CEO aufhört.

 

Zur Person: Andreas Bodenmann ist Partner bei Deloitte und leitet das «Best Managed Companies»-Programm von Deloitte, das private Unternehmen mit herausragender Führungspraxis auszeichnet.

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