Perspektiven

Mobilität nach der Corona-Krise – die Stunde des Individualverkehrs

Die Corona-Krise wird das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung verändern. Der Individualverkehr wird zunehmen, der öffentliche Verkehr sowie Taxi und Fahrdienste haben das Nachsehen. Die Diskussionen um die optimale Raumnutzung und Finanzierung der veränderten Mobilität dürften sich dadurch weiter verschärfen.

Für die meisten Menschen ist Mobilität eine der Grundvoraussetzungen für das berufliche und gesellschaftliche Leben. Um unsere Lebensziele zu erreichen, müssen wir mobil sein. Im Durchschnitt verbringt jeder Schweizer täglich rund 90 Minuten im Verkehr - Tendenz steigend. Etwa die Hälfte davon ist Freizeitverkehr, was bestätigt, dass Mobilität auch Freiheit bedeutet.i Die staatlichen Massnahmen, die getroffen wurden, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, haben die Mobilität in einem Ausmass verändert und eingeschränkt, wie wir es in der Schweiz noch selten erlebt haben. Züge und Busse fahren trotz vermindertem Angebot fast leer, Fussgängerzonen wirken teilweise wie ausgestorben, dafür nehmen die sportlichen Aktivitäten wie Joggen und Radfahren in den Naherholungsgebieten massiv zu.

Sobald die Massnahmen in den nächsten Wochen gelockert werden, wird diese ausserordentliche Erfahrung Auswirkungen auf unser Mobilitätsverhalten haben. Deloitte hat deshalb anhand einer Mitte April durchgeführten und repräsentativen Umfrage unter 1'500 in der Schweiz lebenden Personen im erwerbsfähigen Alter untersucht, welchen Einfluss die Corona-Krise auf das aktuelle und zukünftige Mobilitätsverhalten der Bevölkerung hat.

Abbildung 1: Langfristige Änderungen des persönlichen Mobilitätsverhalten aufgrund der Corona-Krise

Der Individualverkehr wird zunehmen, der öffentliche Verkehr wird abnehmen

Die Abbildung 1 zeigt die geplante langfristige Änderung der persönlichen Mobilität derjenigen, die die entsprechende Fortbewegungsart nutzten. Die angegebenen Veränderungen gehen zwar in beide Richtungen, sind Netto aber recht eindeutig: Der Individualverkehr wird zunehmen, ÖV sowie Taxi und Fahrdienste haben das Nachsehen. Während rund ein Drittel glaubt vermehrt zu Fuss, mit dem E-Scooter oder dem Velo unterwegs zu sein, sind beim ÖV Rückgänge zu erwarten. Rund ein Viertel der Befragten plant weniger häufig in Zügen, Bussen, Trams oder Taxis unterwegs zu sein. Auch der motorisierte Individualverkehr dürfte unter den bestehenden Nutzern leicht zunehmen, insbesondere bei den Jungen. Jeder vierte unter 30-jährige wird angeblich öfter Auto fahren und 29% häufiger das Motorrad benutzen. Die daraus resultierenden Nettoeffekte sind wesentlich höher als bei den älteren Bevölkerungsgruppen.

Die Gründe für diese Änderung können verschiedene Ursachen haben. Einerseits die Angst vor einer Ansteckung, denn in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist man häufig auf relativ kleinem Raum mit mehreren unbekannten Personen. Was bisher höchstens als unangenehm und stressig wahrgenommen wurde, stellt für einige Personengruppen nun auch ein Gesundheitsrisiko dar. Andererseits kann man davon ausgehen, dass der Lockdown dem Home Office einen gewissen Schub verleiht und der Pendel- und Fernverkehr zu Stosszeiten abnehmen wird, was sicherlich zu begrüssen wäre.

Veloboom auf Kosten von Bus und Bahn

Was bedeuten diese Erkenntnisse für den Mobilitätssektor und die Unternehmen? Die Resultate der Umfrage zeigen die Richtung der geplanten Veränderung an, jedoch nicht die genaue Intensität. Es wird also nicht alles auf den Kopf gestellt, die grundsätzlichen Trends wie Sharing Economy, Mobilität als Dienstleistung und die Elektrifizierung werden bestehen bleiben und noch verstärkt. Die Chancen stehen gut, dass der Veloverkehr und besonders die E-Bikes weiterhin zunehmen werden, sicherlich auch auf Kosten von Bus und Bahn, denn mit einem modernen E-Bike können auch relativ grosse Distanzen auf umweltfreundliche und schnelle Art und Weise zurückgelegt werden. Wenn in Zukunft permanent mehr von zu Hause aus gearbeitet wird, hätte dies einen spürbaren Effekt auf das zeitweise sehr stark ausgelastete Netz der SBB: Laut einer Studie von Ecoplan liegt die potenzielle Entlastung der Hauptverkehrszeiten durch flexible Arbeitsformen in der Grössenordnung von -24% am Morgen und bei -10 % am Abendii. Dieses Potential wurde durch die Corona-Krise sicherlich noch verstärkt. Diskussionen über einen weiteren milliardenschweren Ausbau könnten dann sehr schnell obsolet werden, trotzdem müssen die Kosten einer solchen Veränderung in allen Bereichen genau verfolgt und wenn nötig mit Massnahmen gesteuert werden.

Im Nahverkehr wird es eine Entlastung der Strassenbahnen und Bussen geben, da die Bevölkerung wohl kurze Wege öfter zu Fuss, dem E-Bike oder einem Scooter bewältigen wird. Diese Entwicklungen hätten einen Einfluss auf die Verkehrsplanung und eventuell auch auf die Finanzierung der Verkehrsbetriebe. In den letzten Jahren wurde neben einem emissionsarmen Individualverkehr auch stets der Ausbau des öffentlichen Verkehrs gefordert. Diese Diskussionen dürften sich nun zu Gunsten des Ersteren verlagern. Wenn die Anzahl Velofahrer und Fussgänger in den Städten zunimmt, wird dies die Forderungen in Bezug auf den Ausbau von Fuss- und Velowegen und anderen fahrradfreundlichen Investitionen weiter stärken. Attraktivere Bedingungen für Velofahrer bedeuten aber auch geringere Einnahmen für den öffentlichen Verkehr. Wie gross diese allfälligen Einbussen ausfallen könnten, ist aber noch nicht abzusehen.

Zudem ist auch mit einer leichten Verschiebung in Richtung motorisiertem Individualverkehr zu rechnen. Dabei spielen auch Elektroautos eine immer wichtigere Rolle. Absolut gesehen sind sie zwar mit rund 3.6 % vom Neuwagenpark noch immer klar in der Minderheit, das Marktwachstum ist laut dem Verband Swiss eMobility jedoch beachtlichiii. Die Diskussionen um die optimale Anzahl Parkplätze in den Städten sind somit nicht vom Tisch. Im Gegenteil dürften sich die Diskussionen um die optimale Raumnutzung noch verschärfen. Mehr Platz für den Individualverkehr zu schaffen und dabei allen Anspruchsgruppen gerecht zu werden, ist eine Herausforderung. Langfristig sollte der Fokus auf eine Optimierung und Flexibilisierung der Mobilitätsoptionen gesetzt werden.

Flexible Mobilitätskonzepte für Angestellte

Die Corona-Krise hat viele Unternehmen dazu gezwungen flexibler zu werden, unter anderem auch bezüglich der Arbeitszeiten und des Arbeitsortes. Wo möglich sollte dies beigehalten werden, denn das Bedürfnis nach Flexibilität wird weiter zunehmen. Beispielsweise können gewisse interne und externe Meetings auch nach Corona virtuell stattfinden, so dass unnötige Reisezeit und -kosten eingespart werden können. Unternehmen, die diese Flexibilität mit einem geeigneten Mobilitätskonzept ermöglichen, können ihre Attraktivität als Arbeitgeber massiv steigern. 

Die Einführung von Mobilitätsbudgets bietet eine weitere Möglichkeit die Verkehrsflüsse flexibler zu gestalten. Unternehmen können ihren Mitarbeitern statt einem Firmenauto oder einem Halbtax ein Budget zur Verfügung stellen, welches frei in verschiedene Lösungen wie Carsharing, Ridesharing, E-Scooter oder E-Bikes investiert, aber auch gespart werden kann. Dieser Ansatz ist kostenneutral und setzt einen Anreiz, um in alternative Fortbewegungsmittel und Dienstleistungen zu investieren.iv

Es bleibt somit spannend wie sich der Individualverkehr verändern wird. Nicht zu vergessen ist jedoch auch der Güterverkehr, welcher einen Grossteil des täglichen Verkehrs ausmacht. Damit der Einklang mit der Natur sichergestellt werden kann, sollte in beiden Bereichen auch in Zukunft einiges über den Preis gesteuert werden, so dass sich die innovativsten und effizientesten Technologien durchsetzen können.

i BFS (2019) Mobilität und Verkehr Taschenstatistik 2019
ii Ecoplan (2015) Verkehrsinfrastrukturen smarter nutzen dank flexibler Arbeitsformen
iii https://www.srf.ch/news/wirtschaft/elektroautos-in-der-schweiz-der-durchbruch-ist-geschafft
iv https://www2.deloitte.com/be/en/pages/tax/articles/The-Mobility-Budget.html


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