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Wie Robotik die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz vorantreiben kann
Die Automatisierungsbereitschaft und Roboterdichte der Schweiz sind der Schlüssel zur Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Robotik
Marina Bill, Leiterin von Marketing und Sales bei ABB Robotics and Discrete Automation, und Harald Lumetzberger, Business Division Manager bei ABB Schweiz, sprechen über Industrierobotik und den Robotikstandort Schweiz.
Dieses Video ist Teil unserer aktuellen Interviewserie über Zukunftstechnologien. Entdecken Sie die anderen Innovationstrends, die die Zukunft der Schweiz prägen werden.
Marina, ABB ist einer der weltweit führenden Hersteller von Industrierobotern. Was macht ABB Robotics genau?
Marina Bill: Wir sind führend in der Industrierobotik – vom einzelnen Roboter bis hin zu kompletten Systemen – und wir haben seit 1974 über eine halbe Million Roboter ausgeliefert. Wir beliefern viele verschiedene Industrien: den Automobilbereich, Elektronik, Lebensmittel und Getränke, Logistik, Gesundheitswesen. Und wir sind ein «One-Stop-Shop». Das bedeutet, dass Sie die Roboter, die Applikationen, die Applikationszellen, also ein komplettes System, bei uns kaufen können und darüber hinaus noch die digitalen Tools, die das System unterstützen. Dazu kommt noch unser Wissen. Wir sind in allen Industrien, für die wir arbeiten, sehr aktiv. Daher haben wir ein umfangreiches Wissen über die Anwendungen und die Industrien angesammelt, von dem auch unsere Kunden profitieren. Der letzte Neuzugang in unserem Portfolio sind kollaborative Roboter. Wir bieten heute die breiteste Palette überhaupt an kollaborativen Robotern, das heisst Robotern, die Seite an Seite mit Menschen arbeiten.
Wie kann ABB Robotics Unternehmen helfen, effizienter und nachhaltiger zu werden?
Marina Bill: Nachhaltigkeit bedeutet auch Optimierung und verbesserte Produktivität. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Autos werden von Robotern lackiert. Mit unserer Lösung namens «Pixel Paint» kommt man mit 30 Prozent weniger Farbe aus und die Sicherheit der Menschen, die in der Nähe arbeiten, erhöht sich erheblich. Wir beobachten, dass die Industrie 4.0 mehr Flexibilität erfordert; man muss viel agiler in der Produktion werden. Durch die Digitalisierung erhalten Sie eine Übersicht über Ihren gesamten Produktionsprozess und können daraus Schlüsse ziehen.
Ein weiteres Beispiel wäre ein Unternehmen hier in der Schweiz namens Preci-Dip. Das Unternehmen stellt sehr hochwertige Kontaktbuchsen und -stifte her und hatte seine Belegschaft innerhalb von drei Jahren um über 40 Prozent erhöht. Doch dann kam ein aussergewöhnlich grosser Auftrag herein. Um diesen ausführen zu können, kaufte sich das Unternehmen unsere kollaborativen Robotern, die YuMis. So konnte man diesen Grossauftrag abwickeln und die Produktion hier in der Schweiz behalten.
Harald, ABB Robotics hat namhafte Kunden und arbeitet mit Unternehmen auf der ganzen Welt zusammen. Können Sie einige Beispiele für aktuelle Projekte nennen?
Harald Lumetzberger: In der Schweiz haben wir Projekte, die zeigen, dass wir lokalen Kunden helfen, auf dem internationalen Markt erfolgreich zu sein. Schindler, einer der weltweit führenden Anbieter von Aufzügen und Rolltreppen, hat ein automatisiertes, selbstständig arbeitendes Roboter-Installationssystem für Aufzüge eingeführt. Das Unternehmen wählte für diese Weltneuheit einen Industrieroboter von ABB und unser Schweizer Ingenieurteam unterstützte Schindler während der Projektphase mit Robotikwissen. Wir unterstützen auch die WILCO AG, einen wichtigen Schweizer Anbieter von Inspektionssystemen, der weltweit bekannte Marken in der Pharma-, Biotech-, Diagnostik-, Medizinprodukte- und Verpackungsindustrie beliefert. Ein weiteres grossartiges Beispiel ist Andritz Soutec, der Marktführer im Bereich hochwertiger Laserschweissanlagen für Flach- und Rundteile. Unsere Roboter sind dort Teil der Anlagen zur Herstellung von Tailored Blanks, Rohrplatinen, Stahlkraftstofftanks und Abgasanlagen für die Automobilindustrie auf der ganzen Welt.
Marina Bill: Taking a global view, a Nestlé factory in Brazil needed a compact robotic cell that would accurately load products, reducing the need for reworking while also allowing staff to work safely around the robot. For Nestlé it was very important to work with another global company because they maintain production sites around the world and want service and support around the world.Marina Bill: Um ein globales Beispiel zu nennen benötigte eine Nestlé-Fabrik in Brasilien einen kompakten Roboter, der die Produkte so präzise lädt, dass weniger Nacharbeit (Nachbesserung) nötig ist. Gleichzeit müssen Mitarbeiter sicher in der Nähe des Roboters arbeiten können. Für Nestlé war es sehr wichtig, mit einem anderen international aktiven Unternehmen zusammenzuarbeiten, da sie Produktionsstandorte auf der ganzen Welt unterhalten und überall Zugang zu Kundenservice und Supportleistungen haben wollten.
Letztes Jahr hat ABB den Ausbau seines grössten Schweizer Standorts in Turgi, Aargau in Form einer Investition von 40 Millionen Schweizer Franken in neue Büros und Flächen für Forschung und Entwicklung (F&E) angekündigt. Was macht die Schweiz zu einem attraktiven Standort für ABB?
Marina Bill: ABB kann in der Schweiz auf eine lange und erfolgreiche Geschichte zurückblicken und hat demzufolge eine grosse Anzahl hochqualifizierter Mitarbeiter und bestens ausgestattete Einrichtungen hier. Die Lage des Landes in der Mitte Europas ist ein grosser Vorteil. Und die Schweiz bietet hochqualifizierte Arbeitskräfte und ein grossartiges Netzwerk an führenden Universitäten. Wir arbeiten auch mit einigen von ihnen zusammen, zum Beispiel mit der ETH.
Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz als führenden Standort für Forschung und Entwicklung in der Industrierobotik weiter zu steigern?
Harald Lumetzberger: Wir meinen, dass in erster Linie die eigene Automatisierungsbereitschaft und Roboterdichte der Schweiz der Schlüssel zur Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Robotik ist. Die Schweiz liegt in Europa auf Platz 11 mit einer Roboterdichte von rund 160 Robotern pro zehntausend Beschäftigten. Das erscheint vielleicht nicht allzu beeindruckend, aber wir beobachten ein stetiges Wachstum und eine Aufwärtsentwicklung. Allein im letzten Jahrzehnt hat sich die Roboterdichte mehr als verdoppelt. Aber sie sollte noch höher werden, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will.
In einer weltweiten Umfrage im Januar 2021 unter 1’650 grossen und kleinen Unternehmen in Europa, den USA und China gaben 84 Prozent der Unternehmen an, dass sie in den nächsten zehn Jahren planen, Robotik und Automatisierung einzuführen oder stärker zu nutzen. In der Schweiz lag der Wert bei 92 Prozent. Er ist wichtig, neben den klassischen Faktoren wie Clustern, Forschungsabkommen usw., ein Umfeld weiterzuentwickeln, das Start-ups unterstützt. Diese kleinen Firmen können schnell agieren und Risiken eingehen und sind bereit, neue Technologien auszuprobieren. Wir haben gute Beziehungen zu solchen Unternehmen und zu Berufsfachschulen. Enge Partnerschaften sind heutzutage unerlässlich, um erfolgreich zu sein.
Wenn wir in die Zukunft blicken, welche Trends beobachten Sie in der Industrierobotik und welche Rolle werden andere neue Technologien wie KI in diesem Zusammenhang spielen?
Marina Bill: Ich möchte mich auf drei Megatrends konzentrieren: Vereinfachung, Kollaboration und Digitalisierung. Die Vereinfachung wird immer wichtiger, denn Automatisierung und Robotik dringen in neue Bereiche und zu einem neuen Typ von Kunden vor, insbesondere zu KMUs. Die neuen Kunden verfügen nicht über Mitarbeiter, die zwei Jahre Roboterprogrammierung studiert haben. Sie wollen die Roboter direkt aus dem Karton nehmen und sofort in ihre Produktion einbauen können. Dafür ist die Benutzerfreundlichkeit entscheidend.
Stark im Kommen sind auch die kollaborativen Roboter, die sogenannten Cobots: kollaborative Roboter, die Hand in Hand und Seite an Seite mit Menschen arbeiten und so die Produktivität steigern.
Ein letzter wichtiger Trend ist der ganze Bereich der Digitalisierung, der schon vor langer Zeit begonnen hat, aber durch COVID-19 beschleunigt worden ist. Ein Beispiel dafür: Wir führen jetzt eine virtuelle Inbetriebnahme durch, das heisst, wir nehmen die Roboter zusammen mit unserem Kunden virtuell in Betrieb. Wir haben auch eine Fernüberwachung, bei der wir die Roboter anschliessen und sicherstellen, dass wir bei der vorausschauenden Wartung helfen können und immer einen Überblick darüber haben, was mit den Robotern passiert. Und schliesslich schliesst die Digitalisierung den ganzen Bereich der künstlichen Intelligenz und insbesondere des maschinellen Lernens ein. Dadurch ergeben sich viele neue Möglichkeiten, wie wir die Roboter in der Produktion noch nützlicher machen können und die Art und Weise, wie wir Dinge produzieren, entwickelt sich weiter. Insgesamt geht der Trend somit in Richtung einer vereinfachten Nutzung von Robotern mit mehr Kollaboration und allen Vorteilen der digitalisierten Welt.
Über Marina Bill
Marina Bill ist Global Head of Marketing and Sales für den Geschäftsbereich Robotics and Discrete Automation bei ABB. Sie hat diese Rolle seit 2019 inne. Seit 2020 ist Marina Mitglied des IFR (International Federation of Robotics) Executive Board, derzeit als Vorsitzende des IFR Robotic Suppliers Committee. Marina hat einen Master in Wirtschaftsingenieurwesen mit Spezialisierung auf Thermodynamik vom Royal Institute of Technology in Stockholm. Sie ist Absolventin des International Institute for Management Development (IMD) Senior Leadership Development Program in Lausanne, Schweiz.
Über Harald Lumetzberger
Harald Lumetzberger arbeitet als Local Business Division Manager Robotics Schweiz und hat diese Rolle am 01.05.2020 angetreten. Er ist seit 2019 bei ABB tätig und hatte zuvor die Leitung Verkauf und Marketing für die lokale Business Line Robotics Schweiz inne. Harald ist diplomierter Ingenieur für Elektrotechnik von der Fachhochschule Hollabrunn in Österreich und bildete sich in der Schweiz zum Wirtschaftsingenieur weiter. Zudem besitzt er einen Abschluss EMBA fm Bereich Entrepreneurship der UAS Kaleidos Zürich.