Posted: 30 Jul. 2020 5 min Lesezeit

COVID-19 Briefing: Corona ist keine Bankenkrise – doch hält Corona die Banken in der Krise?

Die Herausforderungen für europäische Kreditinstitute verschärfen sich

Die Corona-Krise ist von einer unvergleichlich hohen Unsicherheit in Bezug auf gesundheitliche, soziale, aber auch wirtschaftliche Fragen geprägt. Nur in einem Punkt sind sich alle sicher: Eine Krise dieser Art hat es zuvor noch nicht gegeben. So ist sie auch kaum zu vergleichen mit der letzten globalen Krise, der Finanzkrise von 2008.

Dennoch: spurlos wird die Pandemie auch an der Finanzindustrie nicht vorbeiziehen. Zwar ist der Bankensektor in Europa heute deutlich stabiler als noch 2008, doch seit der globalen Finanzkrise war das Umfeld für Kreditinstitute extrem herausfordernd. Laut einer Studie der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) verzeichnete fast die Hälfte aller EU-Banken in den vergangenen Jahren sogar eine so geringe Profitabilität, dass sie nicht einmal ihre Eigenkapitalkosten verdienten.

Führt COVID-19 nun dazu, dass europäische Banken gar nicht mehr aus der Krise kommen? Ein wichtiger Trend ist bereits absehbar: Die Pandemie wird vorhandene Entwicklungen deutlich beschleunigen und den Kreditinstituten abverlangen, auf diese nun noch schneller zu reagieren. Neben kurzfristigen Herausforderungen, wie Fragen zur Business Continuity oder regulatorische Anpassungen,¹ sind dies vor allem die langfristigen Aufgaben der Konsolidierung des europäischen Bankenmarktes und die Transformation in Richtung digitale Geschäftsmodelle. Diese erwachsen nicht zuletzt aus der absehbaren Fortsetzung des Niedrigzinsumfelds und der Verschärfung der Profitabilitätsprobleme europäischer Banken.

 

Zunichte, die Hoffnung auf eine Zinswende

 

Während sich US-Banken an einem diversifizierteren Einkommensstrom erfreuen, sind europäische Banken seit jeher stark vom Zinseinkommen abhängig. Gemäß EZB beläuft sich das Zinsergebnis von EU-Banken im Schnitt auf rund 60% des Gesamtergebnisses. So waren sie schon in den letzten Jahren mit Blick auf ihre abgeschmolzenen Margen leidgeprüft. Die Erträge waren in Folge der Niedrigzinsphase in großen Teilen weggebrochen. Diese ausgeprägte Zinsabhängigkeit wird das Wirtschaften zukünftig wohl noch schwieriger machen. Zwar befanden sich die Zinsen bereits vor der Krise auf einem Rekordtief, doch aufgrund der massiven Rezession in Folge der Pandemie gilt nun: Lower for Longer. Dazu zeigt eine Simulationsanalyse des IWF, dass auf lange Frist – und trotz der nunmehr steigenden Kreditnachfrage – die noch länger anhaltende Niedrigzinsphase höchstwahrscheinlich zu einem weiteren Einbrechen des Zinseinkommens der Banken führen wird. 

 

Die Talsohle der Profitabilität ist noch nicht durchschritten

 

Über kurz oder lang wird die Niedrigzinsphase die Margen der Banken also noch weiter schmälern. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum im Zuge der Pandemie die bereits äußerst geringe Profitabilität europäischer Kreditinstitute noch stärker unter Druck gerät. Denn es dürfte zusätzlich zu einer deutlichen Verschlechterung der Kreditqualität kommen. Die EU-weiten Lockdowns haben viele Unternehmen in die Knie gezwungen – sie laufen Gefahr ihre Kredite nicht mehr bedienen zu können. Angesichts der tiefen Rezession werden sich Kreditausfälle zukünftig wahrscheinlich noch häufen. Die Analyse des IWF bringt hervor, dass der durch COVID-19 verschärfte Rentabilitätsdruck lange bestehen bleiben wird – auch nach der Erholung der Realwirtschaft. Selbst in 2025 werden viele Banken in Europa ihre Eigenkapitalkosten wohl noch immer nicht verdienen. Zunächst eine ernüchternde Perspektive. Daraus ergibt sich auch die Frage, auf welche Herausforderungen Banken reagieren müssen, um eine solches Szenario zu vermeiden. 

 

Herausforderung 1: Konsolidierungsdruck

 

Obwohl sich die Zahl der Institute seit der Finanzkrise durchaus verringert hat, ist der europäische Bankensektor noch immer ziemlich fragmentiert – besonders im Vergleich zum deutlich profitableren US-Markt. Dadurch drücken vor allem in Europa die Überkapazitäten auf die ohnehin geringe Profitabilität der Banken. COVID-19 dürfte den Konsolidierungsdruck, gerade auf schwächere Institute, noch einmal erhöhen. Letztendlich könnte Konsolidierung also ein Teil der Lösung für die sich zuspitzende Ertragssituation sein.

So betont die EZB, dass Fusionen einerseits zu einer Profitabilitätssteigerung durch Kostensynergien und verbesserte Effizienz führen können. Technologische Innovationen könnten zudem gemeinsam erweitert werden und länderübergreifende Zusammenschlüsse erlauben nicht nur den Eintritt in neue Märkte, sondern tragen auch zur Risikodiversifikation bei. Andererseits sind solche Transaktionen gerade im Bankensektor komplex und kostenintensiv. Angestrebte Synergien können nicht immer realisiert und die Integration kann zudem durch kulturelle, technische oder Governance-Fragen erschwert werden. Vor allem grenzüberschreitende Zusammenschlüsse sind nach wie vor eine Seltenheit. Nun sind Banken und Regulatoren gleichermaßen gefragt. Banken müssen ihre Beweggründe sorgfältig abwägen und eine robuste M&A Strategie zur Förderung von Wachstum und Profitabilität entwickeln. Regulatoren sind gefordert, ein Level Playing Field in Europa sicherzustellen und die Hürden für grenzüberschreitende Konsolidierung zu beseitigen, um Bankzusammenschlüsse zu erleichtern. 

 

Herausforderung 2: Digitalere Geschäftsmodelle

 

Schon vor der Krise stellten viele Banken ihre traditionellen Geschäftsmodelle auf den Prüfstand. Ein Vorhaben, das ebenfalls auf die Stabilisierung der Erträge abzielt. Denn zu den abgeschmolzenen Zinserträgen kommt noch hinzu, dass der erhöhte Wettbewerb durch sog. FinTechs und BigTechs zunehmend Druck auf die Erträge der Banken ausübt. Angesichts der Art der jüngsten Krise wird auch dieser Druck wohl noch weiter zunehmen. Denn unvermeidlich wurden innerhalb kürzester Zeit nicht nur die Betriebsabläufe, sondern auch die Interaktionen mit den Kunden deutlich digitaler. Ein Nährboden für die digitalen Wettbewerber – und auch die Wechselbereitschaft der Bankkunden zur digitalen Konkurrenz dürfte nun noch steigen. Damit wird eine nachhaltige Transformation der Geschäftsmodelle fast unausweichlich.

Neben einer Digitalisierung im technischen Sinne – d.h. einer verbesserten technologischen Effizienz zur Reduktion von operativen Kosten – ist genauso wichtig, eine Kultur und ein Umfeld zur Förderung von Innovationen zu schaffen, um den veränderten Kundenbedürfnissen in einer zunehmend digitalen (Banken)Welt gerecht zu werden. Um Innovationen zu fördern, könnten Banken zudem Partnerschaften mit den digitalen Wettbewerbern weiter forcieren. Denn FinTechs und BigTechs sind nicht nur eine Gefahr, sondern sind auch potenzielle Partner in Innovations-Ökosystemen. Innovationen dürften im Zuge der Pandemie vor allem für die Bereiche Zahlungsverkehr und Kundenbetreuung gefragt sein.

 

Die deutsche Liebe zum Bargeld: Nur eine Pandemie kann uns trennen

 

Das Bargeld ist im Zuge der Pandemie in Verruf geraten. Zwar scheint die Ansteckungsgefahr objektiv gering zu sein, letztendlich spielt eher Psychologie die Hauptrolle in dieser Situation. Konsumenten scheinen mit Bargeld ein erhöhtes Infektionsrisiko zu verbinden, sodass selbst Bargeld-Liebhaber wie die Deutschen zunehmend Scheine und Münzen meiden. Dazu zeigt eine Befragung der Initiative Deutsche Zahlungssysteme: Sind Konsumenten erst einmal an neue Technologien gewöhnt, erkennen sie auch deren Vorteile. Daher kann man davon ausgehen, dass dieser Trend COVID-19 überdauert. So beabsichtigt laut der besagten Umfrage die Mehrheit der deutschen Kunden, auch zukünftig bargeldlos zu zahlen. Banken müssen auf diesen Trend nun zügig reagieren. Zwar haben sie in der Vergangenheit bereits große Teile des bargeldlosen Zahlungsverkehrs an die digitale Konkurrenz verloren, doch sind digitale Zahlungsmethoden in Europa noch nicht so präsent wie in den USA oder China. Es gibt also durchaus noch Potenzial, um mit innovativen und auf Kunden zugeschnittenen Angeboten zu punkten oder eben gemeinsam mit FinTechs bzw. BigTechs digitale Zahlungsmethoden zu etablieren.

 

Social Distancing: Die Filialen bleiben zu

 

Viele Bankfilialen waren während der Lockdowns geschlossen oder nur eingeschränkt geöffnet. Banken haben daher spezielle Corona-Homepages aufgesetzt, um Kunden zum Remote-Banking anzuleiten. Eine Deloitte-Umfrage in der Schweiz verdeutlicht, dass es auch die Kunden selbst vorgezogen haben, auf digitale Angebote auszuweichen – das gilt auch für die nicht-Digital Natives und für beratungsintensivere Dienstleistungen. Insbesondere wollen Kunden jedoch digitale und physische Alternativen kombinieren. Gerade für komplexere Produkte ist eine persönliche Beratung scheinbar nach wie vor gefragt. Derzeit zeichnet sich bereits ab, dass Banken auf die veränderten Kundenbedürfnisse mit einer beschleunigten Filialtransformation reagieren. Die Meldungen über geplante Filialschließungen häufen sich, teilweise werden die im Rahmen des Lockdowns geschlossenen Filialen auch gar nicht erst wieder geöffnet. Aus diesem Grund wird die Weiterentwicklung digitaler Angebote und die Nutzerfreundlichkeit von online sowie mobilen Kanälen erfolgskritisch für Banken. Angebote, die sowohl eine persönliche als auch eine digitale Interaktion kombinieren, sollten dabei eine zentrale Rolle spielen.

 

Wird Corona Banken also in der Krise halten?

 

Die Pandemie verschärft die Herausforderungen, mit denen Banken in den letzten Jahren zu kämpfen hatten, noch einmal erheblich: Die Hoffnungen auf eine Zinswende schwinden, eine Häufung von Kreditausfällen ist wahrscheinlich, die Ertragskraft wird weiter nachlassen. Der Konsolidierungsdruck steigt, der Wettbewerb durch FinTechs und BigTechs nimmt zu, veränderte Kundenbedürfnisse erfordern zügig die verstärkte Investition in digitale Lösungen, traditionelle Geschäftsmodelle stehen zunehmend unter Druck.

Wie sich diese Herausforderungen auswirken, hängt davon ab, wie Banken darauf reagieren. Die bereits vor COVID-19 voranschreitende Transformation des Bankensektors wird nun wohl erheblich schneller vollzogen werden als es noch im letzten Jahr zu erwarten war. Ein schnelles und strategisches Handeln der deutschen Institute dürfte die zwingende Voraussetzung dafür sein, um auch langfristig wettbewerbsfähig und wieder profitabler zu werden und verlorene Marktanteile zurückerobern zu können.

 

Ansprechpartner/in Research:

Dr. Corinna Woyand

Associate Manager | Financial Services Research

cwoyand@deloitte.de

 

¹ Für detailliertere Informationen zu den unmittelbaren Einflüssen der Pandemie, siehe beispielsweise https://www2.deloitte.com/de/de/pages/financial-services/articles/fsi-covid-19.html. Detaillierte Informationen zu den Reaktionen der Finanzaufsicht sind zu finden unter: https://www2.deloitte.com/de/de/pages/financial-services/articles/covid-19-finanzaufsicht-banken.html.

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Jörg Engels

Jörg Engels

Chief Strategy Officer (CSO)

Jörg Engels arbeitet seit 1993 in den Bereichen Wirtschaftsprüfung und Risk Advisory bei Deloitte. Er verantwortet als Mitglied des Risk Advisory Führungsteams das Offering Portfolio Regulatory & Legal Support mit Lösungsangeboten für die Bereiche Regulatory & Compliance, Financial Industry Risk & Regulatory und Financial Crime. Von Juni 2020 bis Mai 2022 leitete er den Sektor Banking & Capital Markets für Deloitte Deutschland. Seit Juni 2022 unterstützt er als Chief Strategy Officer direkt den CEO in der strategischen Entwicklung von Deloitte Deutschland.