Posted: 29 Mar. 2021 6 Lesezeit

Sustainability Industry Briefings: Nachhaltigkeit in deutschen Technologieunternehmen – Anspruch und Wirklichkeit

Nachhaltiges Wirtschaften ist in Deutschland zu einem verbreiteten Zielbild von Unternehmen geworden. Dies gilt auch und besonders für den Technologiesektor. Tatsächlich bietet dieser eine Vielzahl spezifischer Ansatzpunkte für Nachhaltigkeitsaspekte, angefangen mit dem Energiebedarf von Cloud-Diensten über stark globalisierte Lieferketten bis hin zum Einsatz kritischer Rohstoffe bei der Chip-Produktion.

Doch wie verbreitet und verankert ist das Thema „Nachhaltigkeit“ im deutschen Technologiesektor wirklich? Wie setzen Unternehmen entsprechende Initiativen um und welche positiven oder negativen Effekte nehmen sie wahr? Im Januar 2021 hat Deloitte im Rahmen des Technology Sustainability Survey  über 170 Führungskräfte aus den Reihen deutscher Tech-Unternehmen befragt. Ziel ist es, die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion im Technologiekontext auf eine konkrete Datenbasis zu stellen. 

 

Bemerkenswertes Aktivitätsniveau

 

Tatsächlich belegen die Studienergebnisse eine bemerkenswerte Dynamik: Für 86 Prozent der deutschen Technologieunternehmen ist Nachhaltigkeit inzwischen zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit geworden (s. Abb. 1), acht von zehn haben sich sogar öffentlich zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Das Thema hat in den letzten beiden Jahren sogar weiter an Bedeutung gewonnen, wie 88 Prozent der Befragten bestätigen. Dabei nehmen die großen Technologiekonzerne eine Sonderrolle ein. Das in der Branche ohnehin schon ausgeprägte Engagement fällt in den Konzernen noch einmal erheblich stärker aus – sei es aus eigenem Antrieb oder als Reaktion auf die Erwartung externer Stakeholder, dass gerade die Tech-Größen beim Thema „Nachhaltigkeit“ vorangehen müssen. Ebenfalls eine Rolle in diesem Kontext spielt die seit 2017 geltende europäische CSR-Richtlinie, nach der alle kapitalmarktorientierten Unternehmen Rechenschaft zu ihrem sozialen und ökologischen Handeln ablegen müssen.

Abb. 1: Nachhaltigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Unternehmens/ unserer Branche. (Zustimmung zur Aussage)

 

Nachhaltigkeit ist kein Selbstzweck, sondern bietet handfesten, wirtschaftlichen Nutzen

 

Nachhaltigkeit ist für die Technologiebranche kein reines Investment oder gar notwendiges Übel. Im Gegenteil, ein konsequentes Engagement verspricht den Unternehmen potenziell niedrigere Betriebskosten, höhere Margen sowie zusätzliche Marktanteile und neue Märkte. Darüber hinaus wirkt nachhaltiges Wirtschaften positiv auf Reputation und Mitarbeiterbindung. Tatsächlich nehmen 84 Prozent der Befragten schon heute im eigenen Unternehmen positive Effekte von Nachhaltigkeitsaktivitäten wahr (s. Abb. 2). Besonders erfolgreich sind Initiativen im Bereich Software und Services. Hier liegt die starke Zustimmung sogar um 60 Prozent höher als im Hardware-Subsegment, wo Anbieter die komplexe Umstellung auf nachhaltige Rohstoffe und Lieferketten meistern müssen. 

Abb. 2: Unser Unternehmen sieht bereits jetzt positive Effekte, die aus unseren Nachhaltigkeitsinitiativen resultieren. (Zustimmung zur Aussage)

 

Nur jedes zwölfte Unternehmen setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

 

Wie wird Nachhaltigkeit in der deutschen Technologiebranche operativ und organisatorisch gelebt? Hier zeigen die Ergebnisse der Studie: In 64 Prozent der Unternehmen ist Nachhaltigkeit bereits Teil der Geschäftsstrategie, doch nur 8 Prozent setzen entsprechende Initiativen ganzheitlich um. Stattdessen verfolgen zwei Drittel der Studienteilnehmer einen eindimensionalen Ansatz mit entweder ökologischem (z.B. Reduzierung von Energieverbrauch oder Abfallmenge), sozialem (z.B. Mitarbeitervielfalt, Menschenrechte in der ausländischen Produktion) oder wirtschaftlichem (z.B. wirtschaftliche Stabilität, faire Löhne) Schwerpunkt (s. Abb. 3). Auch große Konzerne mit über 10.000 Mitarbeitern sind hier nur einen kleinen Schritt weiter. Nicht mehr als 14 Prozent von ihnen haben sich einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie  verschrieben.

Abb. 3: Die Nachhaltigkeitsinitiativen unseres Unternehmens sind…

 

Die erste Zwischenbilanz der Studienergebnisse für den deutschen Technologiesektor fällt also durchaus vielversprechend aus. Nachhaltigkeit ist höchst relevant, in den Unternehmen strategisch verankert und erzeugt positive Effekte. Doch es gibt auch eine Kehrseite: Zwei Drittel der Befragten nehmen eine Lücke zwischen dem kommunizierten und dem tatsächlich umgesetzten Engagement ihres Unternehmens wahr (s. Abb. 4). In den großen Technologiekonzernen liegt der Anteil sogar bei 82 Prozent. Und mehr als jeder Zweite sieht die eigenen Wettbewerber bei Nachhaltigkeitsthemen besser aufgestellt. 

Abb. 4: Mitarbeiter können eine Lücke zwischen dem nach außen getragenen Nachhaltigkeitsengagement unseres Unternehmens und der tatsächlichen Umsetzung beobachten. (Zustimmung zur Aussage)

 

Hohe Ziele, komplexe Umsetzung

 

Die Zahlen lassen nur einen Schluss zu: Viele Technologieunternehmen haben sich intern und extern sehr hohe Zielvorgaben auferlegt oder auferlegen müssen, um ihre Geschäftstätigkeit mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen und ökologischen Belangen in Einklang zu bringen. Bei der Umsetzung dieser Vorsätze tun sie sich jedoch noch schwer. Die Studienergebnisse verdeutlichen Handlungsbedarf beispielsweise in Sachen Priorisierung, Transformation und Cultural Change. Es wird deutlich: Ein nachhaltiges Unternehmen entsteht nicht über Nacht. Dies gilt nicht zuletzt für große Organisationen, in denen die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität von den befragten Führungskräften stärker wahrgenommen wird als in kleineren Unternehmen mit bescheideneren Nachhaltigkeitsambitionen. Vorteilen der Konzerne bei Ressourcen und Know-how stehen mitunter falsche Zielvorstellungen und ein zu eindimensionaler Angang des Themas „Nachhaltigkeit“ entgegen. 

Nichtsdestotrotz, Technologieunternehmen in Deutschland sind bei der Verfolgung von Zielen zur verstärkten Nachhaltigkeit auf dem richtigen Weg. Dies belegen die zahlreich wahrgenommenen positiven Effekte der bestehenden Initiativen. Hierbei sind unternehmensspezifische Schwerpunkte von großer Bedeutung. So müssen Technologieunternehmen mit einem kritischen Ressourcenkonsum in Produktion oder Betrieb anders priorisieren als beispielsweise digitale Lösungsanbieter, die ihre innovativen Produkte gezielt unter Verweis auf deren Nachhaltigkeit am Markt platzieren können. 

Trotz der vielfach heterogenen Ausgangspositionen von Technologieunternehmen lassen sich aus unseren Experteninterviews vier Handlungsmaximen ableiten, die zusätzliche Orientierung im Nachhaltigkeitskontext versprechen.

1. Denke groß, beginne im Kleinen 

Eine Lücke zwischen ausgesprochenem und gelebtem Engagement kann die Motivation dämpfen. Kleine Schritte zum großen Ziel sind am erfolgreichsten.

2. Mache Nachhaltigkeit zum Bestandteil der DNA

Die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Unternehmens-DNA lässt Initiativen voll wirken. Wichtige Ankerpunkte für Nachhaltigkeit sind Kultur und Strategie.

3. Erkenne die Potenziale und Risiken

Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Jedes Unternehmen und jede Branche hat andere, passende Hebel, um die Nachhaltigkeit zu steigern. Gerade neue, digitale Produkte sind Enabler für viele nachhaltige Geschäftsmodelle und sichern dem Technologiesektor eine gute Ausgangposition.

4. Lerne von den Besten

Nachhaltigkeits-Champions haben bereits erprobt, wie sie Nachhaltigkeit steigern können. Sie sind ideale Vorbilder für eigene Nachhaltigkeitsinitiativen.

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Ralf Esser

Ralf Esser

Leiter Sector Insights & Studies

Ralf Esser leitet bei Deloitte das deutsche Sektor-Research-Team und ist darüber hinaus verantwortlich für Industry Insights im Bereich Technologie, Medien und Telekommunikation. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung als Analyst in der TMT-Industrie. Ralf Esser ist Autor und Co-Autor zahlreicher Studien, Fachartikel und Buchbeiträge und tritt regelmäßig als Referent bei Fachveranstaltungen und Konferenzen auf. Der aktuelle Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in den Bereichen Digital Consumer, 5G sowie Digital Media. Ralf Esser studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln.