Digitale Zwillinge im Einsatz

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Von der Raumfahrt in den Alltag

Digital Twins

Digitale Zwillinge steuern Produktionsstraßen, überwachen Industrieparks. Zunehmend halten sie auch Einzug in unser Leben und machen neue Anwendungen möglich – von Smart Home bis zum vernetzten Fahren.

Ein Beitrag aus dem Deloitte-Jahresbericht 2017/2018

Ihren Ursprung haben Digital Twins bei der US-Raumfahrtbehörde NASA. Sie wurden entwickelt, um Atmosphären außerhalb der Erde zu simulieren und so Roboter bauen zu können, die unter diesen Bedingungen zuverlässig funktionieren. Heute bringen sie Entwicklungen rund um Industrie 4.0, Smart City und Connected Car voran. Was steckt hinter den digitalen Helfern? Und warum sind sie so relevant?

„Digitale Zwillinge schlagen die Brücke zwischen der physischen und der digitalen Welt. Sie sind virtuelle Abbilder von realen Objekten oder vernetzten Systemen. Als digitale Kopien von Maschinen oder Fertigungsstraßen verarbeiten, analysieren und visualisieren sie Daten in Echtzeit und steuern die realen Gegenstücke“, erklärt Milan Sallaba, Leiter des Technologie-Sektors bei Deloitte. „Unternehmen eröffnen sie die Chance, servicebasierte Geschäftsmodelle aufzubauen und neue Quellen der Wertschöpfung zu erschließen. Sie haben darüber hinaus das Potenzial, jede Unternehmensfunktion zu erneuern – von der Entwicklung bis zum Aftersales Service.“ Mit Hilfe der digitalen Abbilder lassen sich Produkte in der Designphase schnell testen und fortlaufend optimieren, Anlagen können effizient gesteuert und vorausschauend gewartet werden. Doch auch für Konsumentenanwendungen sind die Möglichkeiten enorm. Beispiel individuelle Mobilität: Die digitalen Zwillinge spielen eine wichtige Rolle für Konzepte, die Standort- und Fahrzeugdaten mit Stauinformationen verbinden und Fahrer anschließend zum nächsten freien Parkplatz navigieren können.

Noch steht die Nutzung der digitalen Zwillinge am Anfang. Das wird sich in wenigen Jahren ändern. Bis 2020 wird nach Deloitte-Schätzungen die Zahl der Internet of Things-Endpunkte auf über 20 Milliarden anwachsen, 750 Millionen davon allein in Deutschland. Diese Endpunkte werden zunehmend Daten an eine digitale Kopie übermitteln – den Digital Twin.

Autos, die mitdenken

Digital Twins stehen hinter einer Vielzahl von Funktionen rund um das vernetzte Auto. Sie bilden relevante Fahrzeugdaten ab und geben so jederzeit aktuelle Informationen zum Motor- oder Wartungszustand. Wenn das Fahrzeug auch Geo-Informationen in Echtzeit teilt, lassen sich Warnungen vor Glatteis oder Falschfahrern zeitnah an den Fahrer übermitteln.

Und noch in einem anderen fahrzeugrelevanten Bereich eröffnen Digital Twins völlig neue Optionen – bei einer virtuellen Probefahrt im neuen Auto. Hierbei werden alle entscheidenden Fahrzeugparameter in einem digitalen Zwilling abgebildet und anschließend mit Hilfe von Virtual Reality visualisiert. So kann der Käufer im Autohaus oder per App zu Hause eine erste Fahrt erleben – inklusive Überholvorgängen, Spurwechseln und Ausweichmanövern. Die Wetterverhältnisse werden simuliert, genauso wie die für eine Autofahrt typischen Begleitgeräusche.
 

Von unterwegs alles zu Hause regeln

Alarmanlage sowie Beleuchtung an- und ausschalten, Jalousien steuern, die Heizung regulieren – all das funktioniert für den Nutzer bequem von unterwegs. Bereits heute gibt es entsprechende Smart Home-Apps. Das digitale Abbild des Hauses würde diese einzelnen Steuerfunktionen zudem intelligent vernetzen.

Neben einer komfortableren Bedienung hätte dies noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Ein digitaler Zwilling kann lernfähig sein und passt sich daher den Bedürfnissen und dem Nutzerverhalten der Bewohner an. In welchen Räumen wird das Licht mehr genutzt als in anderen? Wann kommt jemand nach Hause und stellt dann als Erstes die Alarmanlage aus? Der Digital Twin merkt sich diese Informationen und verarbeitet sie zu individuellen Nutzungsmustern, die dann hinterlegt, ausgewählt und optimiert werden können.

Smart Home
Das digitale Abbild des Hauses vernetzt einzelne Steuerfunktionen, die sich über Smart Home-Apps bequem von unterwegs bedienen lassen.

Optimale Produktionsabläufe ohne Wenn und Aber

In der Produktion ermöglichen Digital Twins eine effizientere Steuerung der einzelnen Produktionsschritte – Maschinen werden so optimal ausgelastet, Abläufe transparenter. Beinahe noch wichtiger ist allerdings, dass digitale Zwillinge durch die ständige Übertragung und Analyse aller relevanten Daten einzelne Maschinen, Produktionsstraßen und ganze Industrieparks überwachen und managen können.

Die laufend verarbeiteten Daten erlauben auch eine vorausschauende Planung, um beispielsweise den Energieverbrauch zu optimieren. Mit einem Digital Twin lassen sich aber auch Änderungen im Produktionsablauf simulieren und solange testen und anpassen, bis sie so ausgefeilt sind, dass sie auf das reale Gegenstück übertragen werden können.

Wartung, die ihren nächsten Einsatzort kennt

Wie trägt ein digitaler Zwilling schon heute zur vorausschauenden Wartung großer Maschinen und Anlagen bei? Er erkennt eigenständig Fehler oder Schwachstellen und schlägt Lösungen zu deren Behebung vor. Mess- und Produktionsdaten ermöglichen einen genaueren Rückschluss auf den Zustand. So können Ausfallzeiten minimiert und eventuelle Störungen vermieden werden. In Windparks lassen Sensordaten beispielsweise eine kontinuierliche Kontrolle von einzelnen Windrädern zu. Bei Triebwerken in der Luftfahrt verhält es sich ähnlich. Hier analysieren und überwachen die digitalen Helfer permanent Öldruck, -temperatur oder Vibrationen. Ein solches Monitoring trägt nicht zuletzt zu höherer Sicherheit bei.

Offenheit, die Mehrwerte schafft

Bisher bieten sich im Internet der Dinge überwiegend einzelne Ökosysteme mit in sich geschlossenen Plattformen zur Nutzung an. Neue Dienste lassen sich so oft nur mit erheblichen Schwierigkeiten integrieren – und manchmal gar nicht.

Digital Twins sorgen in Zukunft dafür, dass sich reale und virtuelle Welt noch enger miteinander verbinden. Ihr volles Potenzial können sie aber erst entwickeln, wenn die bisher isolierten Lösungen miteinander vernetzt werden. Voraussetzung dafür sind standardisierte Schnittstellen, Datenformate und ein übergreifender Datenaustausch. Wie kann das gelingen? Mittel zum Zweck könnte eine offene Supra-Plattform sein. Bis es so weit ist, müssen noch etliche Hürden genommen werden.

„Eine Supra-Plattform braucht ein partnerübergreifendes Ökosystem, in dem alle Beteiligten ihre Datensilos unterordnen und Informationen intelligent miteinander verknüpfen. Das erfordert allseits akzeptierte Strukturen und ‚Spielregeln‘, Vertrauen und Kompromissbereitschaft“, sagt Milan Sallaba. In einem solchen Ökosystem werden Technologie- und Telekommunikations- mit Industrieunternehmen und staatlichen Organisationen zusammenarbeiten. Aus diesem Austausch werden Lösungen und Angebote entstehen, die unser Leben bereichern.