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Konjunktur-Einschätzungen im verarbeitenden Gewerbe Herbst 2022

Produktionsstandort Deutschland: Wie geht es weiter?

Die aktuelle Deloitte CFO-Umfrage zeigt, dass die Unternehmen in Deutschland schwierigen Zeiten entgegensehen, besonders im verarbeitenden Gewerbe sind die Konjunktur-Einschätzungen pessimistisch. Wie die Lage zu bewerten ist und was nun zu tun ist, klärt ein Interview mit Florian Ploner, Partner und Sector Lead Industrial Products & Construction bei Deloitte.

Herr Ploner, Deloitte hat für den CFO Survey Herbst 2022 gerade zum 22. Mal die Finanzvorstände in Deutschland befragt. Wie ist die Stimmung nach acht Monaten Krieg in der Ukraine? 

Florian Ploner: 
Den deutschen CFOs ist klar: Wir stehen vor einer Rezession. Die Frage ist lediglich, wie tief und wie lang die Rezession sein wird. Viele CFOs haben da auch konkrete Befürchtungen: Gas-Abschaltungen, Brownouts – also teilweise Stromabschaltungen – und insbesondere das Thema De-Industrialisierung; das treibt die deutschen Finanzvorstände um, insbesondere die von produzierenden Unternehmen. De-Industrialisierung hieße, dass ganze Bereiche aus Deutschland heraus verlegt werden, wenn sich die heimischen Kostenstrukturen als unhaltbar erweisen, um hier weiter zu produzieren. 

Für wie ernst halten Sie die Lage denn im Sektor der Industrials?

Florian Ploner: 
Sehr ernst. Gerade kommen fünf fatale Faktoren zusammen: Der Ukraine-Krieg, das Nachfrageloch in China, die hohen Energiekosten, die anhaltenden Lieferketten-Probleme, und das Dauerthema Talent. Die Faktoren, die den produzierenden Unternehmen in der Vergangenheit Vorteile verschafft haben, brechen weg – das sind die billige Energie und die gute Nachfrage aus China. Gleichzeitig können die Unternehmen Ihre Altaufträge nicht abarbeiten, weil dazu die Vorprodukte fehlen. Auch technische Energiesparmaßnahmen können nicht umgesetzt werden, wenn die dafür nötige Ausrüstung gerade nicht lieferbar ist. 

Gibt es denn Hoffnung, dass das alles bald wieder besser wird? 

Florian Ploner: 
Die CFOs der produzierenden Unternehmen sind sich sehr einig, dass hohe Energiepreise bleiben und die gestiegene Inflation uns noch lange beschäftigen wird. Auch die deutsche Industrie wird künftig Weltmarktpreise für Energie zahlen müssen. Zudem wird sich die geopolitische Weltkarte vermutlich grundsätzlich verändern. Es gibt also dauerhaften Anpassungsbedarf an die neuen Realitäten. 

Was wollen die Unternehmen denn jetzt tun? 

Florian Ploner
Krisen und geopolitische Realitäten muss man managen, denn zu ändern sind sie ja nicht. Die CFOs sagen – und das sehe ich auch an den Anfragen, die auf meinem Schreibtisch landen – dass es jetzt erstmal um Optimierungs- und Kostensenkungsmaßnahmen geht. Davon sind in erster Linie die variablen Kosten wie Reisen, Fortbildung, Marketing betroffen; es geht aber auch um Arbeitsplätze, das zeigt die Umfrage ganz klar. Außerdem versuchen die Finanz-Vorstände, ihr Cash-Management zu optimieren. Wegen der stockenden Lieferketten sind viele Aufträge liegengeblieben und blockieren Betriebskapital. Und obwohl die Auftragsbücher voll sind, kann nur rund die Hälfte der produzierenden Unternehmen ihre Kosten an die Kunden weitergeben. In Einzelfällen verschlingen allein die Energiekosten bereits die gesamten Prroduktionskosten. Daher werden Kunden künftig höhere Anzahlungen leisten müssen und kürzere Zahlungsziele bekommen. Um dem Preisdruck darüber hinaus standzuhalten, werden häufig auch der verstärkte Fokus auf regenerative Energie sowie Energieeinsparungen Teil der Lösung, wodurch auch die Nachhaltigkeit innerhalb der Branche weiter an Bedeutung gewinnt.

Insgesamt sehen wir also typische Krisen-Vorbereitungen. Was aber jetzt anders ist, als zu Beginn der Corona-Krise im ersten Halbjahr 2020 – und was mir Hoffnung macht: Die bereits begonnenen Transformations-Initiativen in den Unternehmen gehen weiter; niemand stoppt die bereits laufenden Projekte, wie wir das am Anfang der Pandemie häufig gesehen haben. Dasselbe Bild zeigt sich bei den Produkteinführungen: Hier haben die deutschen produzierenden Unternehmen nichts beschnitten, die Neuentwicklungen gehen weiter. Das zeigt mir, dass die deutschen produzierenden Unternehmen weiter die Zukunft im Blick haben und an sich glauben! 

Wie sieht es denn mit den Investitionsplänen und Zukunftsprojekten aus? 

Florian Ploner: 
Aktuell schieben viele CFOs geplante und noch nicht gestartete Investitionen auf, auch das wie immer am Beginn einer Krise. Besonders massiv ist dieser Trend im deutschen Maschinenbau und bei Engagements in Asien. Nur noch 15 Prozent der produzierenden Unternehmen wollen in Asien expandieren, einschließlich China und Indien, aber knapp ein Viertel interessiert sich für Süd- und Osteuropa. Plötzlich schlägt Osteuropa China als Standort, das finde ich eine spannende Entwicklung! 

Zudem wollen ganze 35 Prozent der produzierenden Unternehmen in Nordamerika investieren – das ist den guten Wachstumsaussichten dort geschuldet, aber ziemlich sicher auch den günstigen Gaspreisen in den USA. Deutschland war in den vergangenen Jahren Niedrigpreisland für Energie. Jetzt sind wir plötzlich Hochpreisland. Einfache, energieintensive Produkte wandern nun in Länder mit günstigen Energiekosten aus – und die USA, aber auch Kanada, werden hier erste Wahl sein.

Die Investitionsbereitschaft verlagert sich. Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen gibt an, hierzulande investieren zu wollen, anstatt viel in Übersee.

Wo und wann sehen die CFOs denn wieder Licht am Ende des Tunnels? 

Florian Ploner
Jetzt heißt es, die Kosten im Griff zu behalten sowie die Marktposition und den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Wir stehen erst am Anfang einer Krise; viele deutsche Großunternehmen kommen sogar gerade erst aus einer hochprofitablen Phase heraus. Die Unsicherheit ist also groß, wenn auch nicht so groß wie zu Beginn der Pandemie Anfang 2020. 

Umso wichtiger ist, dass dort, wo noch freie Mittel vorhanden sind, in die Zukunft investiert wird – um Marktanteile zu halten, Zukunftsprodukte zu entwickeln, und um die digitale und nachhaltige Transformation fortzuführen. Und für diejenigen, die Geld auf der Seite haben, wird die Krise auch Übernahmemöglichkeiten bieten. Aber jetzt noch nicht, wir sind noch immer vor der zu erwartenden Rezession. 

Wie wird Deutschland nach dieser Krise aussehen?

Florian Ploner: 
Wenn sich die Wolken der jetzt kommenden Krise einmal verzogen haben, wird die Welt geopolitisch und energetisch sehr wahrscheinlich anders aussehen. Ich denke, es ist nicht zu verhindern, dass Deutschland energieintensive Produktionen verliert; gerade dort wo es sich um verhältnismäßig einfache Produkte handelt, wie etwa Harnstoff.

Eine der großen Fragen der nächsten Jahre ist, ob und wie sich die Asien Strategie unserer Kunden verändern wird, welche Märkte in Zukunft attraktiv sind und welche Länder neben China an Relevanz gewinnen. Sollte der Welthandel ins Stocken geraten, ist das nicht gut für die Exportnation Deutschland und ihre Maschinenbauer. Dennoch: In der Vergangenheit haben die deutschen Hersteller und Maschinenbauer immer wieder gezeigt, dass sie Krisen überwinden und gestärkt aus ihnen hervorgehen können. Für mich heißt es jetzt: Zweckoptimismus bewahren.

CFO Survey Herbst 2022 | Sektorauskopplung | Verarbeitendes Gewerbe

Laden Sie hier die vollständige „CFO Survey Herbst 2022 Sektorauswertung Verarbeitendes Gewerbe“ herunter und erfahren Sie alle Ergebnisse der Befragung im Detail.

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