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Europäische Harmonisierung von Risikotragfähigkeitssystemen schreitet voran

Der neue Leitfaden der BaFin zur aufsichtlichen Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitssysteme im Überblick

Auch die Less Significant Institutions müssen sich nun mit dem normativen und dem ökonomischen Ansatz beschäftigen und zwar selbst dann, wenn der institutsindividuelle Going-Concern-Ansatz alter Prägung weitergenutzt werden soll.

Europäische Harmonisierung von Risikotragfähigkeitssystemen schreitet voran

Die BaFin hat am 24. Mai 2018 die finale Fassung des Leitfadens zur „Aufsichtlichen Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessuale Einbindung in die Gesamtbanksteuerung („ICAAP“)“ veröffentlicht.

Als Konkretisierung der Auffassung der BaFin zu Fragen der Risikotragfähigkeit bildete der Leitfaden seit seiner erstmaligen Veröffentlichung im Jahr 2011 einen wichtigen Eckpfeiler für die Praxis. In den vergangenen Jahren haben sich allerdings die Rahmenbedingungen im europäischen Umfeld grundlegend verändert. Nach Übernahme der Verantwortung für die Bankenaufsicht im Euro-Währungsraum durch die EZB hat diese 2016 erstmalig ihre Erwartungshaltung hinsichtlich des ICAAPs und des ILAAPs veröffentlicht. In den vergangenen zwei Jahren wurden die aufsichtlichen Erwartungen der EZB an die direkt von ihr beaufsichtigten Institute schließlich kontinuierlich weiter entwickelt. Es kam daher nicht überraschend, dass die BaFin gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank im Juli 2016 einen Dialog zur Überarbeitung des Leitfadens mit der Deutschen Kreditwirtschaft begann. Ergebnis der Überlegungen war schließlich eine Konsultationsfassung im September 2017, die nunmehr finalisiert wurde. Mit der Veröffentlichung des finalen Leitfadens verbunden war die Einladung der BaFin an die Vertreter der betroffenen Kreditinstitute sowie der Verbände zu einer Konferenz, um die Erwartungshaltung in Zusammenhang mit dem neuen Leitfaden zu erläutern.

Mit dem Leitfaden legt die BaFin Grundsätze, Prinzipien und Kriterien dar, die von der Aufsicht bei der Beurteilung von bankinternen Risikotragfähigkeitskonzepten der Institute unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips zugrunde gelegt werden. Letztlich sind diese Grundsätze allerdings nur für jene Institute einschlägig, die der direkten deutschen Bankenaufsicht unterliegen, also den Less Significant Institutions (LSI). Inhaltlich vollzieht sich ein Übergang von den bislang etablierten Going-Concern- und Gone Concern-Ansätzen zu einem „normativen“ sowie einem „ökonomischen“ Ansatz. Entsprechend der bisherigen Anforderung aus MaRisk AT 4.1, Tz. 2, wonach die zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit eingesetzten Verfahren sowohl das Ziel der Fortführung des Instituts als auch den Schutz der Gläubiger vor Verlusten aus ökonomischer Sicht angemessen zu berücksichtigen haben, erwartet die Aufsicht von den Instituten, beide Ansätze im Rahmen ihres internen Risikomanagements zu implementieren.

In Abweichung zu diesem grundsätzlichen Ansatz hält es die Aufsicht bis auf Weiteres für zulässig, zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit auf solchen Ansätzen aufzubauen, die jenen Teil der aufsichtsrechtlichen Eigenmittel, der für die Erfüllung der Gesamtkapitalanforderungen benötigt wird, nicht zur Risikoabdeckung heranziehen. Damit bezieht sich die BaFin auf die bisherigen Going-Concern-Ansätze in den Instituten, die nun als „Going-Concern-Ansätze alter Prägung“ bezeichnet werden. Wesentliche Teile der diesbezüglichen Konkretisierungen, die Gegenstand des Leitfadens im Jahr 2011 waren, wurden daher in eine Anlage übernommen und werden weiterhin angewendet. Allerdings räumt die Aufsicht der langfristigen Zukunftsfähigkeit dieser Going Concern-Ansätze alter Prägung im Umfeld der europäischen Harmonisierungsbestrebungen eher geringe Chancen ein. Daher haben all jene Institute, die ihren bisherigen Going-Concern-Ansatz weiter nutzen möchten, sich schon heute damit zu befassen, wie die neuen Ansätze sinnvoll in die Risikotragfähigkeitskonzepte transformiert werden können. Eine kritische Auseinandersetzung mit den neuen Ansätzen ist daher für alle LSI notwendig, unabhängig davon, ob eine unmittelbare Implementierung stattfinden soll.

Der normative Ansatz berücksichtigt alle regulatorischen und aufsichtlichen Anforderungen sowie die darauf basierenden internen Anforderungen. Letztlich soll eine Betrachtung der Kapitalanforderungen sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Zusammensetzung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einflussgrößen stattfinden. Einflussgrößen können – neben den originären Eigenmittelanforderungen – bspw. auch die Vorgaben zur Leverage Ratio oder die Abhängigkeit der Großkreditgrenzen von den Kapitalgrößen sein. Der normative Ansatz ist also primär aufsichtsrechtlich determiniert und besitzt erhebliche Schnittstellen mit den Meldewesensgrößen des Instituts. Folglich ergeben sich die anzuwendenden Verfahren zur Quantifizierung der in Säule I berücksichtigten Risiken aus der CRR. Während das Meldewesen jedoch die jeweilige Stichtagsperspektive abbildet, nimmt der normative Ansatz unter Verwendung von Annahmen und Szenarien eine Analyse der zukünftigen Entwicklung vor. Mit Blick auf die wesentlichen Risiken, die im Rahmen der Risikoinventur identifiziert wurden, hat dabei eine Quantifizierung auf Basis interner Verfahren zu erfolgen. Hinsichtlich der Risikomessung ist ein Zeitraum von einem Jahr zugrunde zu legen. Der Betrachtungszeitraum für die Kapitalplanung hat mindestens einen Zeitraum von drei Jahren zu umfassen. Dabei ist neben einem Basisszenario, das die erwarteten Veränderungen umfasst, ein adverses Szenario zu definieren. Die Aufsicht erwartet, dass im Basisszenario sämtliche Kapitalanforderungen, also auch die kombinierte Kapitalpufferanforderung nach § 10i Abs. 1 KWG sowie die Eigenmittelzielkennziffer, eingehalten werden. Im adversen Szenario ist dagegen als Mindestanforderung, die SREP-Gesamtkapitalanforderung einzuhalten. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die kombinierte Kapitalpufferanforderung nach § 10i KWG – wenn überhaupt – nur in schweren adversen Szenarien unterschritten werden sollte.

Der ökonomische Ansatz löst sich weitgehend von den Vorgaben der Rechnungslegung und des Aufsichtsrechts und basiert auf internen Verfahren der Institute. Die BaFin bringt zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Umsetzung eine vollständig barwertige Betrachtung anzustreben ist. Gleichwohl können auch Vereinfachungen in Form einer barwertnahen Konzeption angemessen sein, die von Bilanzgrößen oder aufsichtlichen Kapitalgrößen ausgehen, diese jedoch durch Modifizierungen in eine ökonomische Betrachtung überführen. Hierbei liegt der Fokus insbesondere auf der Berücksichtigung stiller Lasten und stiller Reserven. Nur sehr kleine und wenig komplexe Institute dürfen zur Annäherung an die ökonomische Perspektive auch einen Ansatz verwenden, der auf der Säule I aufbaut und vereinfacht quantifizierte Risikowerte für jene als wesentlich eingestufte Risiken hinzurechnen, die in Säule I nicht oder nicht adäquat berücksichtigt werden.

Besonderen Wert legt die Aufsicht auf die Berücksichtigung von Wechselwirkungen und gegenseitigen Impulsen der beiden Perspektiven. So sollen bspw. Risiken, die in der ökonomischen Perspektive ersichtlich werden, hinsichtlich ihrer Auswirkungen in der normativen Sicht berücksichtigt werden. Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung, die Entwicklung der Kapitalgrößen sowie die Kapitalanforderungen sind hier insbesondere von Bedeutung.

Auf die Vorgabe einer Umsetzungsfrist verzichtet die BaFin. Da der Leitfaden jedoch die Auffassung der BaFin und der Deutschen Bundesbank dahingehend präzisiert, welche Überlegungen der aufsichtlichen Beurteilung vor Ort zugrunde gelegt werden, erscheint eine rasche Initialisierung der Überprüfung und ggf. Überarbeitung der bestehenden Risikotragfähigkeitssysteme sinnvoll. Wie einschneidend die Modifizierung der aktuellen Ansätze im jeweiligen Institut tatsächlich ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Da die Risikotragfähigkeit jedoch notwendigerweise in eine Vielzahl interner Prozesse eingebunden ist und das Ziel der Ableitung von Steuerungsimpulsen für die Gesamtbanksteuerung verfolgt, sollte bei der Umsetzung besonderes Augenmerk auf eine angemessene Einbindung der neuen Ansätze in die interne Steuerung gelegt werden.

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Ihre Ansprechpartner

Wilhelm Wolfgarten                                      Andreas Pelzer
Partner | Audit & Assurance                          Senior Manager | Audit & Assurance
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