Elektronische Schuldverschreibung

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Auf der Zielgeraden: Elektronische Wertpapiere in Deutschland 

Neues Gesetz über elektronische Wertpapiere im Regierungsentwurf (eWpG-E) 

Nun ist es da: Das Gesetz über elektronische Wertpapiere im Regierungsentwurf (eWpG-E), der vom Bundeskabinett am 16. Dezember 2020 beschlossen wurde.

Spätestens seit dem Eckpunktepapier des Bundes vom 7. März 2019 wurde in Deutschland intensiv und teils euphorisch über die Loslösung von der Urkundspflicht im Wertpapierrecht diskutiert. Ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Bundesministerium der Finanzen wurde im August 2020 zur Diskussion gestellt. Er wurde überwiegend sehr positiv aufgenommen. 

 

Hintergrund

Schon lange hat sich die Inhaberschuldverschreibung in ihrer Verwaltung, Übertragung und Abwicklung im Großen und Ganzen von der Urkunde selbst entfernt, vgl. auch hier. Die Urkunde ist zwar im Kern des Systems. Drumherum hat sich jedoch ein ausgefeiltes, computergestütztes Administrationssystem entwickelt, in dem in erster Linie die wesentlichen Vorgänge abgebildet werden. Das so wichtige Kriterium des Besitzes der Urkunde etwa ist bei am Finanzmarkt gehandelten Wertpapieren faktisch allein durch elektronische Buchungen auf den Depotkonten dargestellt. Die Urkunde hat so in weiten Teilen eher anachronistische Züge. Sie als Erfordernis abzuschaffen war vor diesem Hintergrund ebenso naheliegend wie historisch und rechtlich schwer vorstellbar. Schließlich war doch die Grundidee die eines „Papiers“ mit Wert und viele Jahrzehnte hatte sich darauf eine zuverlässige Rechts- und Prozesssystematik aufgebaut. Es brauchte die Inspiration der weiteren Digitalisierung im Finanzbereich („Fintech“ etc.) in den letzten und den kommenden Jahren sowie der Beispiele aus der europäischen Nachbarschaft, um das Thema auch in Deutschland nunmehr tatsächlich anzugehen. In einigen europäischen Ländern sind Wertpapiere bereits entmaterialisiert und können z.B. in Form von Token begeben werden.

In diesem ersten Schritt des eWpG soll primär die elektronische Begebung von Schuldverschreibungen ermöglicht werden. In kleinerem Umfang wird ferner die Mög­lichkeit zur elektronischen Begebung von Anteilscheinen eröffnet, ein Aspekt, der im Referentenentwurf noch nicht enthalten war.

 

Elektronisches Register statt Urkunde

Wie bereits im Eckpunktepapier angelegt, wird der Skripturakt, der zuvor die Unterzeichnung auf der Schuldverschreibungsurkunde in Papierform erforderte, gemäß § 4 Absatz 4 eWpG-E durch Eintragung in einem elektronischen Register vollzogen. Nach der vorherigen Einigung zwischen Emittenten und Inhaber entsteht damit das elektronische Wertpapier – ohne Urkunde. Wesentlich ist hier das Bundesschuldenwesengesetz Vorbild gewesen, nach dem schon bisher die Ausgabe von Anleihen ohne Urkunde möglich war.

Da diese Skriptur der elektronischen Wertpapiere lediglich einen elektronischen Zustand darstellt und nicht in oder auf einem Gegenstand verkörpert ist, bewegt man sich damit eigentlich außerhalb des Sachenrechts. Eine Sache im Rechtssinne ist nämlich ein körperlicher Gegenstand, der vorliegend gerade nicht gegeben ist. Rechtssystematisch würde man damit jahrzehntelange Praxis und Theorie auf Grundlage des Sachenrechts und damit Rechtssicherheit aufgeben. Um dies zu verhindern, wird in § 2 Absatz 3 eWpG-E die Sacheigenschaft des elektronischen Wert­papiers fingiert („Ein elektronisches Wertpapier gilt als Sache im Sinne des § 90 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.“). Damit bleibt das Sachenrecht anwendbar und man bewegt sich weiter auf bekanntem und rechtlich bewährtem Terrain.

Der für die Rechtssicherheit und damit für das Vertrauen in das System so wichtige Schutz des guten Glaubens wird an den Registerinhalt geknüpft und in § 26 eWpG-E geregelt: „Zugunsten desjenigen, der aufgrund eines Rechtsgeschäfts in ein elektronisches Wertpapierregister eingetragen wird, gilt der Inhalt des elektronischen Wertpapierregisters als vollständig und richtig sowie der Inhaber als Berechtigter, es sei denn, dass dem Erwerber zum Zeitpunkt seiner Eintragung etwas anderes bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist.

Das „Elektronische Wertpapierregister“ hat zwei mögliche Ausgestaltungsformen: (1) das „zentrale Register“ (zentrale Eintragung und Publizität); dieses kann geführt werden von einer Wertpapiersammelbank oder einem Verwahrer; (2) das „Kryptowertpapierregister“ (fälschungssicheres Aufzeichnungssystem, dezentral); dieses kann geführt werden von demjenigen, der vom Emittenten gegenüber dem Inhaber als sol­cher benannt wird oder vom Emittenten selbst; allerdings wird derjenige damit zum Finanzdienstleister im Sinne des Kreditwesengesetzes und unterliegt den entsprechenden aufsichtlichen Verpflichtungen. Die BaFin ist Aufsichtsbehörde hinsichtlich der Führung des elektronischen Wertpapierregisters.

 

Das zentrale Register

Die Variante (1) ist dem bisherigen System in weiten Teilen ähnlich, insbesondere hinsichtlich institutionellen Effektengiroverkehr, jedoch ohne (Global-)Urkunde abgebildet. Neben der besonders relevanten Sammeleintragung ist auch die Einzeleintragung vorgesehen. Eine Wertpapiersammelbank oder ein zum Betrieb des Depotgeschäfts zugelassener Verwahrer können diesbezüglich als Inhaber der Emission eingetragen werden. Sie halten für die Miteigentümer am Sammelbestand als Buchberechtigte den unmittelbaren Besitz an der fingierten Sache „Sammeleintragung“, ohne selbst Rechtsinhaber zu werden. Die Wertpapiersammelbank bzw. der Verwahrer können, wie bei der Globalurkunde, auch für die Sammeleintragung die Abwicklung der Zins- und Tilgungsleistungen übernehmen. Die Sammeleintragung im zentralen Register ermöglicht im Fall von Wertpapiersammelbanken die Teilnahme am Effektengiroverkehr ohne den Zwischenschritt der Begebung einer Papierurkunde.

Wie schnell künftig auch Altemissionen das derzeitig vorherrschende System der Globalurkunde verlassen werden können, sobald die Infrastruktur steht und sich als vorteilhaft erweist, zeigt § 6 Absatz 3 eWpG-E. Danach kann der Emittent ein Wertpapier, das mittels Sammelurkunde begeben wurde oder mittels Einzelurkunden, die in Sammelverwahrung verwahrt werden, jederzeit und ohne Zustimmung der Berechtigten durch ein inhaltsgleiches Zentralregisterwertpapier ersetzen.

 

Das Kryptowertpapierregister

Das größte Interesse der digitalen Innovatoren dürfte jedoch der Variante (2), dem Kryptowertpapierregister, gelten. Es ist ebenfalls sowohl die Sammeleintragung als auch die Einzeleintragung vorgesehen. Das Wertpapierregister wird hier dezentral geführt, muss aber aus der besonderen Art der Aufzeichnung heraus die gleiche Sicherheit für Identität und Authentizität des Wertpapiers bieten wie das zentrale Register. Gedacht ist hier insbesondere an ein Register auf Grundlage der Distributed Ledger Technologie, die auch der Blockchain zugrunde liegt. Verpflichtend ist diese Technologie jedoch nicht. Auch hier ist, ebenso wie beim zentralen Register, die Ausgestaltung des Aufzeichnungssystems technikneutral gefasst. Technische Anforderung ist, dass es fälschungssicher ist und (gemäß § 4 Absatz 11 eWpG-E) einen dezentralen Zusammenschluss darstellt, “in dem die Kontrollrechte zwischen den das jeweilige System betreibenden Einheiten nach einem im Vorhinein festgelegten Muster verteilt sind“.   Die Daten müssen in der Zeitfolge protokolliert (Zeitstempel) sowie gegen unbefugte Löschung und nachträgliche Veränderung geschützt abgebildet werden.

Registerführer kann entweder eine Person sein, die dazu bestimmt wird oder auch die Emittentin selbst. Zu beachten ist, dass die Führung des Registers (Kryptowertpapierregisterführung) eine Finanzdienstleistung i.S.d. KWG darstellen wird, was nicht unerhebliche aufsichtliche Anforderungen an den Registerführer mit sich bringt. Zunächst sind die Anforderungen aber geringer als bei einem zentralen Register, welches nur durch eine Wertpapiersammelbank oder einen Verwahrer geführt werden darf. Zu beachten wird jedoch sein, dass auch bei der Kryptowertpapierregisterführung die Grenze zu Dienstleistungen der Wertpapiersammelbank fließend sein kann. Sobald diese Grenze überschritten wird, wären auch die Anforderungen an eine Wertpapiersammelbank zu erfüllen. Auch, wenn die tatsächliche Verwaltung und Fortschreibung des Registers weitgehend automatisiert und algorithmenbasiert erfolgen kann, ist ein Registerführer als natürliche oder juristische Person Adressat der regulatorischen Pflichten. Welche das im Detail sind, ist auf Grundlage der genauen Ausgestaltung der übernommenen Dienstleistungen zu analysieren. Insbesondere für Fintechs, die bisher noch nicht KWG-Institut waren, wird dieser Umstand eine Hürde darstellen.

 

Nicht Systembruch, sondern Öffnung

Die Einführung der elektronischen Wertpapiere stellt eine Zeitenwende mit grundsätzlich erheblichem Potential für die Zukunft dar. Den Charakter einer „Revolution“ oder „Disruption“ hat sie, für sich genommen, jedoch nicht, eher den einer behutsamen rechtlichen Weiterentwicklung der bestehenden Bedingungen – im Sinne einer Öffnung.

Man ist mit dem Regierungsentwurf deutlich darauf bedacht, den derzeitigen Status Quo zu bewahren, aber darüber hinaus neue Möglichkeiten zu schaffen. Ziel ist, ohne großen Umstellungsaufwand die Vorteile elektronischer Wertpapiere nutzen zu können. Hierfür sollen sich die neu zu schaffenden Regelungen möglichst reibungslos in das bestehende Zivil- und Aufsichtsrecht einordnen. Die Nutzung der elektronischen Wertpapiere wird insbesondere nicht „verordnet“, sondern zur Wahl gestellt. Wer davon keinen Gebrauch macht, kann in gewohnter Weise Wertpapiere im etablierten und gut funktionierenden Prozess begeben. Wer davon jedoch Gebrauch macht, kann sich durch die Anwendbarkeit des Sachenrechts der weiteren Gültigkeit bisheriger, hoch entwickelter Rechtsgrundsätze sicher sein und hat somit weitgehende Rechtssicherheit beim Betreten des neuen Terrains.

 

Fortsetzung folgt

Der Gesetzentwurf ist in mehrfacher Hinsicht „offen“ gefasst.

Einmal ist die Ausgestaltung von zahlreichen Detailaspekten den Rechtsverordnungen vorbehalten, die die Exekutive auf Grundlage des eWpG-E erlassen kann. Ferner ist man bestrebt, dem Markt möglichst wenig vorzugreifen, d.h. lediglich einen gewissen Rahmen zu schaffen, in dem sich der Markt entfalten kann. Dies geschieht vor dem Hintergrund, das sowohl Markt als auch Technik sich, bei allem Fortschritt, noch im Entwicklungsstadium befinden.

Schließlich wurde in dogmatischer Hinsicht der Weg einer Fortschreibung des bisherigen Systems gewählt (vgl. oben). Letztlich sind die Neureglungen überschaubar (wenn auch mit einem potentiell großen Effekt). Dies dürfte auch dadurch motiviert sein, dass Deutschland sich entschieden hat, vor einer möglichen europäischen Harmonisierung den Schritt des eWpG-E zu gehen. Vor dem Hintergrund u.a. der Kapitalmarktunion erscheint es naheliegend, dass auch auf europäischer Ebene in absehbarer Zeit das Wertpapierrecht harmonisiert wird. Vor einer solchen Harmonisierung bereits einen grundlegenden Systemwechsel durchzuführen, erschiene wenig sinnvoll.

Die Öffnung für weitere Inhaberpapiere, wie z.B. Aktien, soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, ist aber bereits angelegt. Das eWpG wird am Tag nach der Verkündung in Kraft treten, da kein unmittelbarer Vorbereitungsbedarf im Markt besteht.

 

 

Autoren

Philipp von Websky
pvonwebsky@deloitte.de
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Jan Schwandowski
jschwandowski@deloitte.de
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