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Die Zukunft der Regulierung
Big Data, Robotik und Künstliche Intelligenz verändern nahezu alle Wirtschafts- und Lebensbereiche. Digitale Assistenten „erraten“ Konsumentenwünsche, Fahrzeuge kommunizieren miteinander, Maschinen lernen selbstständig dazu. Dies wirft Fragen rund um Haftung und Verbraucherschutz auf. Der Druck, Regelwerke zügig anzupassen, steigt. Doch wie kann die Regulierung mit dem technologischen Fortschritt mithalten?
Inhaltsübersicht
- Das Tempoproblem
- Neue Geschäftsmodelle, vielfältige Zuständigkeiten
- Data Privacy: Regulatoren vertreten unterschiedliche Positionen
- KI und das „Blackbox-Problem“
- Wie kann eine zeitgemäße Regulierung gelingen
Künstliche Intelligenz, Data Analytics und das Internet der Dinge verändern die Art und Weise, wie Unternehmen mit Kunden interagieren, etablierte Geschäftsmodelle kommen auf den Prüfstand, ganze Branchen sind im Umbruch. Maschinen lernen selbstständig dazu, Fahrzeuge kommunizieren miteinander, digitale Assistenten „erraten“ Konsumentenwünsche und geben Empfehlungen ab.
Doch wie sollen Bürger am besten geschützt und ein fairer Marktzugang gewährleistet werden, während sich innovative Technologien und Geschäftsmodelle entfalten? Der Druck, in einem bislang unbekannten Tempo neue Regelwerke zu erarbeiten und bestehende zu anzupassen, steigt. Für die Regulierung gilt es, die Balance zu finden – zwischen Innovationsförderung, Verbraucherschutz und der Vermeidung unbeabsichtigter Konsequenzen.
Das Tempoproblem
Existierende Regulierungsprozesse passen sich oftmals zu langsam an die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung an. Und so droht die Lücke zwischen technologischen Errungenschaften und Regulierungsmechanismen – das „Tempoproblem“ – immer größer zu werden. Die hohe Geschwindigkeit technologischer Innovationen verstärkt dieses Phänomen: Die Nachfrage nach digitalen Produkten und Dienstleistungen kann innerhalb kürzester Zeit wachsen. Im Gegensatz dazu dauert die Entwicklung von neuen Regulierungen zwischen fünf und zwanzig Jahre.
Neue Geschäftsmodelle, vielfältige Zuständigkeiten
Technologische Innovationen durchbrechen Branchengrenzen, sie wechseln von einer regulatorischen Kategorie zur anderen. Ein Fahrdienstvermittler, der etwa Lebensmittel ausliefert, könnte unter die regulatorische Aufsicht der Gesundheitsbehörden fallen. Sollte dieses Unternehmen dann Helikopter für Transportdienste einsetzen, würden die Luftfahrtbehörden aktiv. Benutzt es auch noch autonom fahrende Fahrzeuge, wären die Telekommunikationsbehörden für die regulatorische Aufsicht zuständig.
Hinzu kommt: Neue Geschäftsmodelle werfen komplexe Fragen rund um Verbraucherschutz und Haftung auf. Wer ersetzt beispielsweise den Schaden, wenn ein autonom fahrendes Fahrzeug einen Unfall verursacht: der Softwareentwickler, der Besitzer des Fahrzeugs oder dessen Insasse?
Immer mehr vernetzte Geräte und Sensoren vergrößern den digitalen Fußabdruck der Verbraucher. Doch wem gehören die Daten? Wie sollen sie gespeichert und geschützt werden? Und können sie mit Dritten geteilt werden?
Data Privacy: Regulatoren vertreten unterschiedliche Positionen
Immer mehr vernetzte Geräte und Sensoren vergrößern den digitalen Fußabdruck der Verbraucher. Doch wem gehören die Daten? Wie sollen sie gespeichert und geschützt werden? Und können sie mit Dritten geteilt werden? Zweifelsohne sind das wichtige Fragen. Allerdings vertreten Regulatoren unterschiedliche Positionen, da ein globales Datenschutzabkommen nicht existiert. Auf nationaler Ebene haben fast 30 Prozent aller Länder kein Datenschutzgesetz. Und auch wenn die überwiegende Mehrheit (70 Prozent) über solche Regelwerke verfügt, widersprechen sich deren Inhalte oft gegenseitig. Ein Beispiel: Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) soll EU-weit den Schutz der Privatsphäre, strikte Kontrollen von grenzüberschreitenden Datenübertragungen und „das Recht auf Vergessenwerden“ gewährleisten. In den USA dagegen gelten branchenspezifische Regeln – unter anderem für das Gesundheitswesen, die Finanzindustrie und den Einzelhandel.
KI und das „Blackbox-Problem“
Künstliche Intelligenz ist das große Zukunftsthema. Sie birgt großes Potenzial für neue Services, personalisierte Produkte, effiziente Prozesse. Algorithmen unterstützen bereits heute bei der Entscheidungsfindung – sei es, um Kredite zu genehmigen oder medizinische Diagnosen zu erstellen. Ihre Bedeutung für Konsumenten und Unternehmen wird weiter steigen. KI lässt sich mit einem traditionellen Ansatz schwer regulieren. Dafür sind ihre Anwendungen zu vielfältig. Umso wichtiger ist es zu verstehen, wie Algorithmen funktionieren und Prozesse steuern. Informationen darüber sind aber oft Geschäftsgeheimnisse oder die Algorithmen sind so komplex, dass nicht einmal die Entwickler eine Antwort liefern können. Dieses sogenannte „Blackbox-Problem“ erschwert die Kontrolle.
Wie kann eine zeitgemäße Regulierung gelingen
Um Lösungen für die regulatorischen Herausforderungen im digitalen Zeitalter zu finden, müssen sich Regulatoren einige zentrale Fragen stellen. Diese umfassen sowohl die technologische Entwicklungsphase als auch die spätere Modifizierung: Wie sieht die aktuelle Regulierung des relevanten Bereichs aus? Wann ist der richtige Zeitpunkt für neue Regelwerke? Was ist der passende Ansatz dafür? Zunächst gilt es sicherzustellen, dass bestehende Gesetze keine Innovationen ausbremsen, veraltet oder doppelt vorhanden sind. Auch ist ein flexibleres Vorgehen für das „Wann“ der Technologieregulierung notwendig. Regulatoren müssen sich entscheiden, inwieweit ein Bereich neue Regeln braucht. Und sie müssen überlegen, wie sich Überprüfungen vorhandener Regelwerke institutionalisieren lassen.
Wenn Stakeholder aufeinander treffen, entstehen sowohl handfeste Regeln als auch freiwillige Standards. Das Ökosystem macht es möglich, Innovationen zu fördern und gleichzeitig die Verbraucher zu schützen.
Fünf Wege und ihre Vorteile
Folgende fünf Prinzipien können helfen, den richtigen Zeitpunkt und den besten Ansatz für die Regulierung zu finden.
Adaptive Regulierung
Hohe Dynamik, flexible Geschäftsmodelle und Experimentierfreude zeichnen technologiegetriebene Unternehmen aus. Dagegen entwickelt sich die Regulierung meistens langsam, sie umfasst zahlreiche Prozessschritte, um unterschiedliche Ansichten der öffentlichen Debatte aufzunehmen. Regulatoren stehen vor zwei zentralen Herausforderungen. Meistens sind Einschätzungen darüber, wie Unternehmen und Konsumenten auf neue Regeln reagieren werden, schwierig. Sind die neuen Regelungen in Kraft getreten, werden sie selten erneut überprüft. Adaptive Regulierung wiederum basiert auf dem „Try and Error“-Prinzip. Durch kürzere Rückkopplungsschleifen können Regulatoren den Effekt von Regeln schneller bewerten und nachjustieren.
Regulatorische „Sandkästen“
Ein wachsender Trend sind die sogenannten regulatorischen „Sandkästen“. Hier können Unternehmen in kontrollierter Umgebung Innovationen fördern und mit neuen Technologien experimentieren. Sie testen Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, ohne dass sie sämtlichen Regulierungen folgen müssen.
Ergebnisbasierte Regulierung
Regulierung ist in der Regel präskriptiv – sie fordert ein gewisses Verhalten, das zu einem Ziel führen soll. Auch eine ergebnisbasierte Regulierung gibt ein Ziel vor. Sie lässt jedoch Freiraum, wie das Ziel erreicht werden soll. Unternehmen und Konsumenten erhalten dadurch mehr Freiheit, selbst über ihr gesetzeskonformes Handeln zu entscheiden. Ergebnisbasierte Regulierung verbessert die Effizienz der Regulatoren und gibt Innovatoren mehr Freiraum.
Risikoorientierte Regulierung
Der schnelle Markteintritt ist für Unternehmen mit technologiegetriebenen Geschäftsmodellen von zentraler Bedeutung. Doch wie kann die Regulierung den Weg bis zur Markteinführung verkürzen? Der Weg zur Lösung führt über das Modell der Flugsicherheitskontrollen. Mit Hilfe datenbasierter Auswertungen werden Fluggesellschaften mit niedrigem Risiko identifiziert, ihre Maschinen werden dann weniger umfangreich kontrolliert. Übertragen auf den Regulierungsansatz bedeutet das: Unternehmen, die auf Basis veröffentlichter Informationen als sicher eingestuft wurden, können beispielsweise verkürzte Zulassungsverfahren durchlaufen.
Kollaborative Regulierung
Eine aktuelle Umfrage unter mehr als 250 Experten und Führungskräften aus der Finanzindustrie kommt zum Ergebnis: Globale regulatorische Divergenzen kosten Unternehmen zwischen fünf und zehn Prozent ihres Jahresumsatzes. Insgesamt verursacht das Flickwerk der internationalen Finanzregulierung einen jährlichen Wirtschaftsschaden von 780 Milliarden US-Dollar.
Die digitale Wirtschaft ist längst global. Ihre datenbasierten Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen werden weiter expandieren. Und die Regulatoren? Sie können von einer engen, grenzüberschreitenden Zusammenarbeit profitieren. Wenn verschiedene Stakeholder aufeinander treffen, entstehen sowohl handfeste Regeln als auch freiwillige Standards. Dieser Ökosystem-Ansatz bringt länderübergreifend Regulatoren, Unternehmen und Konsumenten zusammen. Er hilft, Innovationen zu fördern und gleichzeitig die Verbraucher zu schützen.