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Anforderungen an den Arbeitsschutz sowie die Anwesenheit von Erst- und Evakuierungshelfern in Zeiten der Corona-Pandemie

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Anforderungen des ArbSchG sowie die zu beachtenden Besonderheiten aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie, wobei unter anderem die Verpflichtung zur Anwesenheit von Erst- und Evakuierungshelfern näher berücksichtigt wird.

Die Corona-Pandemie stellt Arbeitgeber vor eine Vielzahl von Herausforderungen, auch wenn derzeit Lockerungen geplant sind, wird in Aussicht gestellt, dass sich die Bevölkerung für den Herbst/Winter 2022 möglicherweise wieder auf Abstandsgebote und Maskentragungspflicht einstellen soll. Aspekte des Arbeitsschutzes werden dabei nach wie vor relevant sein. Arbeitgeber tun gut daran, wenn sie weiterhin arbeitsschutzrechtliche Anforderungen – auch mit Blick auf Anwesenheit von Erst- und Evakuierungshelfern – im Auge behalten.

Tätigkeiten im Home Office – § 28b Abs. 4 Infektionsschutzgesetz

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Beschäftigung der Arbeitnehmer im Home Office immer mehr in den Vordergrund gerückt, so dass viele Arbeitnehmer die Büroräumlichkeiten ihrer Arbeitgeber nur noch gelegentlich aufsuchen. Ende letzten Jahres wurde im Infektionsschutzgesetz (IfSG) zudem die Pflicht mit Blick auf die Arbeitgeber normiert, ihren Arbeitnehmern – vorausgesetzt, dass keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen – anzubieten, insbesondere Bürotätigkeiten im Home Office auszuüben. Auch wenn diese Verpflichtung zeitlich bis zum 19. März 2022 begrenzt ist, ist zu erwarten, dass auch bei Auslaufen dieser Verpflichtung, eine Vielzahl von Arbeitnehmern weiterhin im Home Office tätig sein wird. Von der Regierung ist außerdem bereits angekündigt, dass erneute Maßnahmen im Herbst/Winter 2022 weiterhin nicht ausgeschlossen erscheinen, auch wenn es Lockerungen für das Frühjahr/Sommer 2022 aufgrund sinkender Infektionszahlen geben sollte.

Gesetzliche Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes

Im Rahmen der Beschäftigung der Arbeitnehmer im Home Office müssen Arbeitgeber nicht nur eine Vielzahl organisatorischer Aspekte beachten, sondern auch den gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes Rechnung tragen.

Mit Blick auf den Arbeitsschutz normiert eine weitere Regelung, der § 3 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), grundlegende Pflichten von Arbeitgebern die auch für das Home Office gelten. Hiernach sind Arbeitgeber in der präventiven Pflicht, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Als vorrangiger Normadressat des ArbSchG sind Arbeitgeber für die umfassende Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer auch hier verantwortlich.

Da eine Herleitung der „erforderlichen Maßnahmen“ unter Berücksichtigung des Wortlauts des Gesetzes nicht möglich ist und Arbeitgebern für die Beurteilung der erforderlichen Maßnahmen das Gefährdungspotenzial der Tätigkeit der Arbeitnehmer bekannt sein muss, ist die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG unerlässlich. Folglich stehen § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG und § 5 ArbSchG in systematischem Zusammenhang. Die Tätigkeit der Arbeitnehmer im Home Office stellt Arbeitgeber allerdings vor die Problematik, dass die Überwachung sowie Durchsetzung der Anforderungen des Arbeitsschutzes regelmäßig stark begrenzt ist. Gerade mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Wohnung eines Arbeitnehmers in Artikel 13 Grundgesetz (GG) besteht die Herausforderung, dass Arbeitgeber – ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung – kein Zutrittsrecht zur Wohnung eines Arbeitnehmers haben. Sollte keine Zutrittsmöglichkeit gegeben sein, könnte die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung des Home Office-Arbeitsplatzes notfalls auf Grundlage einer detaillierten Befragung des Arbeitnehmers erfolgen.

Allerdings ist eine einmalige Gefährdungsbeurteilung (z.Bsp. in der Form einer Befragung) in aller Regel nicht ausreichend. Sofern sich die Umstände der Beschäftigung ändern, – wie zum Beispiel durch die derzeitige Corona-Pandemie – müssen Arbeitgeber eine erneute Gefährdungsbeurteilung vornehmen sowie die ursprünglich getroffenen Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit prüfen und gegebenenfalls anpassen. In der Praxis sollten daher regelmäßige Befragungen auch nach Änderung der Rahmenbedingungen (z.Bsp. durch Umzug, Schulschließungen, KiTA Schließung etc.) vorgenommen werden.
In diesem Zusammenhang sind Arbeitgeber darüber hinaus auch verpflichtet, ihre Arbeitnehmer während der Arbeitszeit im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz ausreichend und angemessen zu unterweisen, § 12 Abs. 1 ArbSchG. Als Grundlage der Unterweisung ist auch in diesem Zusammenhang die durchgeführte Gefährdungsbeurteilung heranzuziehen.

Arbeitgeber müssen allerdings der vorstehenden Unterweisungspflicht nicht selbst nachgekommen. Insofern haben diese die Möglichkeit, die vorstehende Pflicht etwa an Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu delegieren. Denn auch diesen obliegt nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 bzw. § 6 Nr. 4 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) die Aufgabe, die Arbeitnehmer über die Unfall- und Sicherheitsgefahren entsprechend zu belehren.

Auch wenn eine nicht durchgeführte bzw. hinreichende Unterweisung nach § 12 ArbSchG nicht unmittelbar bußgeldbewehrt ist, besteht das Risiko, dass etwaige Schäden durch die Arbeitnehmer im Wege eines Schadensersatzanspruches geltend gemacht werden oder Arbeitgeber durch den Unfallversicherungsträger in Regress genommen werden.

Maßnahmen zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung

Während dieser pandemischen Lage stellt sich mit Blick auf den Arbeitsschutz auch die Frage, inwieweit man den gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Anwesenheit von Erst- und Evakuierungshelfern am Betriebsstandort gerecht werden muss.

Nach den Vorschriften des ArbSchG sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, entsprechend der Gegebenheiten der Arbeitsstätte, der Tätigkeiten sowie der Zahl der Beschäftigen die Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind, § 10 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG. Durch § 10 Abs. 2 ArbSchG ist die Pflicht normiert, diejenigen Beschäftigten zu benennen, die Aufgaben der Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung übernehmen. Eine weitergehende Konkretisierung hinsichtlich der personellen Aufstellung der Erst- und Evakuierungshelfer in den Betrieben ist aus dem ArbSchG allerdings nicht ableitbar.

Erforderlichkeit der Anwesenheit von Ersthelfern im Betrieb

Diesbezüglich lassen sich detaillierte Regelungen zur Anwesenheitspflicht von Ersthelfern im Betrieb im Unfallverhütungsrecht finden, wobei das Regelwerk der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) maßgeblich ist.

Die Anzahl der erfoderlichen Ersthelfer, die § 26 DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ zu entnehmen ist, hängt überwiegend davon ab, wie viele Arbeitnehmer im Betrieb anwesend sind. Bei größeren Betrieben (mit mehr als 20 anwesenden Arbeitnehmern), muss durch die Anwesenheit ausgebildeter Ersthelfer unter Umständen eine Quote von bis zu 10% erfüllt werden.

Auch wenn es für die Unternehmen vorteilhaft ist, dass nach der gesetzlichen Regelung nicht die Anzahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer (bzw. Versicherten), sondern die der tatsächlich anwesenden Arbeitnehmer ausschlaggebend für die Quote ist, stellt dies Unternehmen vor organisatorische Herausforderungen. Unter anwesenden Arbeitnehmern versteht man die Arbeitnehmer, die sich zu den betriebsüblichen Zeiten am Arbeitsplatz im Betrieb aufhalten. Da die erforderliche Anzahl der Ersthelfer im Betrieb zu jeder Zeit gewährleistet sein muss, muss insbesondere der Abwesenheit von Ersthelfern durch Home Office, Krankheit oder Urlaub hinreichend Rechnung getragen werden.

Erforderlichkeit der Anwesenheit von Evakuierungshelfern im Betrieb

Im Unterschied zu den Ersthelfern existieren im Hinblick auf die Evakuierungshelfer keine vergleichbaren gesetzlichen Anforderungen. Auch wenn die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Brandschutzhelfer (5% der Beschäftigten) als ein erstes Indiz herangezogen werden kann, sollte diese Quote nicht ohne Weiteres übernommen werden. Vielmehr empfiehlt es sich auch hier, die Anzahl der erforderlichen Evakuierungshelfer mittels einer Gefährdungsbeurteilung im Sinne des § 5 ArbSchG im Betrieb zu bestimmen, bei der unter anderem die tatsächlichen Gefahren des Betriebs, die räumlichen Gegebenheiten sowie die Anzahl der in ihrer Bewegung eingeschränkten Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind.

Auch wenn mithin nicht ausdrücklich normiert ist, dass die erforderliche Anzahl an Evakuierungshelfern im Betrieb zu jeder Zeit gewährleistet sein muss, sollte das Risiko einer möglichen Haftung durch die Unternehmen minimiert werden.

Anforderungen mit Blick auf die Corona-Pandemie

Die Anforderungen an die Anwesenheit der Erst- und Evakuierungshelfer sind nicht zu unterschätzen. Bereits unter Normalumständen, in denen üblicherweise eine größere Konstanz hinsichtlich der im Betrieb anwesenden Arbeitnehmer gegeben ist, wird eine betriebliche Organisation erfordert, um zu gewährleisten, dass hinreichend viele Erst- und Evakuierungshelfer anwesend sind.

Die derzeitige Corona-Pandemie stellt Arbeitgeber hierbei vor besondere Herausforderungen, da oftmals keine hinreichenden Kenntnisse darüber bestehen, wie viele Arbeitnehmer an welchen Tagen im Betrieb tatsächlich anwesend sind. Zudem ist nicht erkennbar, dass derzeit etwaige Erleichterungen mit Blick auf die jeweilige Mindestzahl der anwesenden Erst- und Evakuierungshelfer gelten.

Zur Vermeidung etwaiger Haftungsrisiken sollte – trotz der aktuellen Umstände – durch Arbeitgeber sichergestellt werden, dass zu jedem Zeitpunkt unverzüglich Erste-Hilfe geleistet werden kann. Sofern die erforderliche Anzahl der anwesenden Erst- und Evakuierungshelfer aufgrund der aktuellen Situation nicht gewährleistet werden kann, sollten Arbeitgeber, auch unter Einbeziehung der Gefährdungsbeurteilung, der vorgegebenen Anzahl möglichst nahe kommen.

In einer Handlungshilfe für Unternehmen spricht die DGUV sich dafür aus, dass Unternehmen während der Corona-Pandemie erforderlichenfalls Kooperationen mit anderen Unternehmen, die in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander liegen, eingehen, um eine Erste Hilfe zu gewährleisten. Eine weitere Herausforderung liegt während der derzeitigen pandemischen Lage in der Auswahl der Ersthelfer. Zur Vermeidung von Gefährdungen von Ersthelfenden selbst müssen die Risikogruppen gemäß des Risikoprofils des Robert-Koch-Instituts berücksichtigt werden.

Verstöße gegen das ArbSchG – Nichterscheinen von Erst- bzw. Evakuierungshelfern

Den gesetzlichen Anforderungen des ArbSchG sollte hinreichend Rechnung getragen werden, da im ArbSchG selbst sowohl Bußgeld- als auch Strafvorschriften normiert sind, §§ 25, 26 ArbSchG. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass, sollte aufgrund der Missachtung der Vorschriften des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen, die zu einer Gesundheitsschädigung (oder sogar zum Tod) eines Arbeitnehmers geführt hat, sich der Arbeitgeber nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches (StGB) hierfür verantworten muss. Im Rahmen dessen kann ein Straftatbestand – aufgrund der in § 3 ArbSchG normierten Pflichten des Arbeitgebers – gegebenenfalls auch durch ein Unterlassen erfüllt werden.

Die Verpflichtungen aus dem ArbSchG richten sich zuvorderst an Arbeitgeber, fraglich ist jedoch, wie eine Weigerung von Arbeitnehmern zur Übernahme von Aufgaben, die dem Arbeitsschutz dienen, einzuordnen ist.

Das ArbSchG begründet keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung bezüglich der Arbeitnehmer zur Übernahme von Aufgaben der Ersten Hilfe, Brandbekämpfung oder Evakuierung. Eine solche Verpflichtung zur Übernahme der vorstehenden Tätigkeiten lässt sich insbesondere weder aus § 10 ArbSchG noch aus der Unterstützungspflicht nach § 16 Abs. 2 S. 1 ArbSchG herleiten.

Allerdings können Arbeitgeber nach überwiegender Auffassung kraft ihres Direktionsrechts (anderenfalls insbesondere durch arbeitsvertragliche Vereinbarung) Arbeitnehmer betriebsintern solche Aufgaben und Pflichten zuweisen. Auch wenn eine Zustimmung des jeweiligen Arbeitnehmers nicht erforderlich ist, sollte diese nach unserem Dafürhalten angestrebt werden. Sofern eine solche Aufgabenzuweisung erfolgt ist, könnten etwaige Verstöße (wie z.B. das Nichterscheinen in den Büroräumlickeiten trotz Eintragung in einem Notfallplan) arbeitsrechtlich etwa durch eine Abmahnung bis hin zu einer verhaltensbedingten Kündigung sanktioniert werden. Eine genaue Beurteilung müsste stets unter Berücksichtigung der Umstände des Sachverhalts vorgenommen werden.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine andere Beurteilung im Rahmen des Unfallverhütungsrechts (DGUV Vorschrift 1) vorzunehmen ist. Hier begründet § 28 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1 eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung geeigneter Arbeitnehmer zur Übernahme der Aufgabe als Ersthelfer.

Fazit

Die den Arbeitnehmern in der Corona-Pandemie zugesprochene Flexibilität, ihrer Beschäftigung auch im Home Office nachgehen zu können, stellt Unternehmen vor arbeitsschutzrechtliche Herausforderungen. Auch in der aktuellen Lage muss durch die Unternehmen koordiniert werden, dass die erforderliche Anzahl an Erst- und Evakuierungshelfern ausgebildet wird und auch anwesend ist.

Die Beschäftigung der Arbeitnehmer im Home Office hat aufgrund der Corona-Pandemie einen starken Zuwachs erfahren. Derzeit – gerade im Hinblick auf die politischen Gespräche zur Einführung eines dauerhaften Rechts auf Beschäftigung im Home Office – ist nicht zu erwarten, dass diese Thematik in naher Zukunft wieder abebben wird. Auch kann in diesem Zusammenhang diskutiert werden, ob die Eigenschaft als Erst- oder Evakuierungshelfer ein betrieblich zwingender Grund ist, der auch bei einem grundsätzlichen Recht auf Home Office zur Ablehnung des Anspruchs berechtigt. Insofern ist es für die Unternehmen umso wichtiger, sich hinsichtlich der arbeitsschutzrechtlichen Themen sowie insbesondere der Notfallvorsorge richtig zu positionieren und eine entsprechende Organisation sicherzustellen.

Sprechen Sie uns gerne an, sofern Sie eine Beratung zu dieser Thematik wünschen.

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