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Perspectives

Was bedeutet der Brexit-Deal für den Finanzsektor?

Die Deloitte Brexit-Deal-Analysen: Financial Services im Fokus

Die Europäische Union und das Vereinigte Königreich haben am 24. Dezember 2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen in Gestalt eines Freihandelsabkommens und damit eine Einigung über ihre künftigen wirtschaftlichen Beziehungen – jedenfalls in Teilbereichen – erzielt. Mit dem endgültigen Vollzug des Brexit ist für Unternehmen jetzt der Zeitpunkt gekommen, die getroffenen Vorbereitungen entschlossen umzusetzen. Unsere Brexit-Alerts analysieren die wesentlichen Bereiche des Abkommens und zeigen die wichtigsten Maßnahmen auf, die Unternehmen nun in einer Zeit ergreifen müssen, in der sie schon von erheblichen Beeinträchtigungen betroffen sind. In dieser Ausgabe der Brexit-Deal-Alerts betrachten wir die Folgen des Abkommens für Financial Services genauer.

Was wurde in dem Freihandelsabkommen für Financial Services geregelt?

Wie erwartet – und im Großen und Ganzen im Einklang mit früheren Freihandelsabkommen – sind die Bestimmungen in Bezug auf Dienstleistungen, insbesondere auf Financial Services, ziemlich limitiert. Sie spiegeln jene Aspekte wider, in denen sich grobe Übereinstimmungen in den Entwürfen der EU und des Vereinigten Königreichs zeigten, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Jahr 2020 veröffentlicht wurden – bleiben aber in einigen Bereichen hinter den ehrgeizigeren Zielen zurück, die das Vereinigte Königreich anstrebte.

Zu den wenigen in dem Abkommen enthaltenden Financial Services-Bestimmungen gehören der gegenseitige Zugang zu Zahlungs- und Clearing-Systemen, die von öffentlichen Stellen betrieben werden, sowie der Zugang zu den offiziellen Finanzierungs- und Refinanzierungsmöglichkeiten, welche für die übliche Geschäftstätigkeit zur Verfügung stehen (Artikel SERVIN.5.44).

Ferner ist geregelt, dass die Vertragsparteien die Erbringung neuer Dienstleistungen im Bereich Financial Services dann in ihrem Gebiet gestatten müssen, wenn sie diese nach den geltenden Gesetzen auch ihren eigenen Unternehmen gestatten würden (Artikel SERVIN.5.42). Dieses grundsätzliche Verbot der Schlechterbehandlung gilt allerdings ausdrücklich nicht für Zweigstellen von juristischen Personen der jeweiligen Vertragspartei.

Die Vertragsparteien müssen sich zudem nach besten Kräften bemühen, international vereinbarte Standards für die Regulierung und Aufsicht von Financial Services umzusetzen und anzuwenden; dazu gehören zum Beispiel die Standards des Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Artikel SERVIN.5.41). Diese Vereinbarung überrascht nicht weiter, weil sich das Vereinigte Königreich zu den Gründungsmitgliedern des Baseler Ausschusses und seiner Rechtsvorgänger zählen darf und damit bereits deutlich vor seinem Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1973 und vor den meisten Mitgliedstaaten alle relevanten internationalen Standards beachtete und – in weiten Teilen – mitgestaltete.

Im Freihandelsabkommen ist eine wichtige aufsichtsrechtliche Ausnahmeregelung („prudential carve-out“) enthalten, die besagt, dass das Abkommen keine Partei daran hindern darf, weiterhin aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, die etwa der Finanzstabilität oder dem Investorenschutz dienen – auch dann nicht, wenn diese Maßnahmen nicht im Einklang mit anderen im Abkommen vereinbarten Bestimmungen stehen (Artikel SERVIN.5.39). Diese Regelung entspricht in etwa der Regelung in den relevanten Finanzaufsichtsrichtlinien, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, nationale Vorschriften zu erlassen, die dem nationalen Allgemeininteresse entsprechen.

Das Freihandelsabkommen sieht zwar grundsätzlich eine Meistbegünstigungsklausel vor, verpflichtet die Vertragsparteien die andere Partei nicht schlechter zu behandeln als andere Drittstaaten. Von dieser Verpflichtung sind jedoch Zulassungen für Dienstleistungen, also auch für Financial Services, ausgenommen (Artikel SERVIN.2.4 (3)).

Welche Unsicherheiten bleiben trotz Brexit-Deal für Financial Services bestehen?

Das Freihandelsabkommen sagt also – und etwas Anderes konnte beim besten Willen nicht erwartet werden – kaum etwas über grenzüberschreitende Dienstleistungen im Bereich Financial Services aus. Die zukünftigen Marktzugangsregelungen in diesem Sektor werden stattdessen auf Äquivalenzentscheidungen beruhen, die unilateral vom Vereinigten Königreich und der der EU getroffen werden, und sind nicht Teil des Freihandelsabkommens. Obwohl ursprünglich im Zuge einer gemeinsamen Erklärung das Ziel vereinbart worden war, die Äquivalenzbewertung während der Übergangsphase bis Ende Juni 2020 abzuschließen, steht diese in weiten Teilen aus.

Zwar wurde 2020 für den Bereich des CCP-Clearings von Derivaten eine Äquivalenzentscheidung getroffen, jedoch nur vorübergehend für den Zeitraum von 18 Monaten. Die damit noch bis zum 30. Juni 2022 gültige Übergangsregelung soll laut der EU-Kommission insbesondere auch dazu dienen, den EU-Finanzmarktteilnehmern Zeit zu geben, um ihre Abhängigkeit von CCPs im Vereinigten Königreich zu verringern. Eine Verlängerung oder dauerhafte Anerkennung der Äquivalenz in diesem Bereich wurde bisher nicht signalisiert. Auch die EZB hat im Zuge der Brexit-Vorbereitungen der Banken auf den Wegfall der temporären Äquivalenz für Clearinghäuser hingewiesen. Die in diesem Statement erwähnten Anforderungen an „EU Products“ werden in naher Zukunft sicherlich weiter spezifiziert werden.

Derzeit hat die EU-Kommission keine weiteren Äquivalenzentscheidungen angekündigt. Getroffene Äquivalenzentscheidungen können zudem jederzeit von beiden Parteien einseitig wieder aufgekündigt oder geändert werden. Die Unsicherheit für den Finanzsektor bleibt also trotz des Brexit-Deals hoch. Dies gilt insbesondere für den Handel mit Finanzinstrumenten. Die Vertragsparteien vereinbarten allerdings in einer gemeinsamen Erklärung die Absicht, ein Rahmenwerk für die Zusammenarbeit in aufsichtsrechtlichen Fragen zu erarbeiten. So soll Transparenz und ein gemeinsamer Dialog bei dem Prozess rund um den Erlass, der Aussetzung oder der Rücknahme von Äquivalenzentscheidungen sowie ein stetiger Austausch in Bezug auf aufsichtsrechtliche Initiativen ermöglicht werden. Das Vereinigte Königreich und die EU wollen bis März 2021 ein Memorandum verabschieden, um den Rahmen für diese Kooperation festzulegen.

Während die gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit in Aufsichtsfragen den Grundstein für einen stabileren Äquivalenzprozess legen soll, wird die Festlegung des Rahmens weitere Verhandlungen erfordern. Das Ergebnis ist derzeit ungewiss. Ein gemeinsames Rahmenwerk wird jedoch wichtig sein, um ein verlässliches Umfeld für den Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU im Bereich Financial Services zu schaffen und einen engen kontinuierlichen Dialog bei der Regulierung des Finanzsektors zu gewährleisten. Es bleibt abzuwarten, ob zumindest der Diskussionsrahmen – wie vereinbart – bis März 2021 geschaffen sein wird.

Welche Folgen hat der Brexit-Deal für Financial Services?

Unternehmen der Finanzbranche haben sich nun über vier Jahre hinweg darauf vorbereiten können, den Zugang zu den Märkten in Großbritannien und der EU auch nach dem Brexit sicherzustellen. Diese Unternehmen müssen nun die weiter reichenden Auswirkungen des Abkommens bewerten, auch in anderen Bereichen wie etwa der Mobilität ihrer Arbeitskräfte. Obwohl Financial Services im Freihandelsabkommen weitgehend ungeregelt blieben, ist alleine die Tatsache, dass ein Freihandelsabkommen geschlossen wird, positiv für das Geschäftsumfeld und die Kunden des Finanzsektors. Alles andere hätte auch den Finanzsektor hart getroffen und hätte sich, unter anderem, negativ auf die Kreditwürdigkeit von Geschäftskunden mit starkem Bezug zum Vereinigten Königreich ausgewirkt. Dies wäre zu einer Zeit geschehen, in der die meisten Unternehmen aufgrund der COVID-19-Pandemie ohnehin unter Druck stehen. Trotzdem: Der Finanzsektor hat ein großes Interesse an schnellen und sicheren Äquivalenzentscheidungen.

Die mit dem Freihandelsabkommen geschaffenen Grundlagen tragen dazu bei, einen Rahmen für Bereiche zu schaffen, die nicht geregelt werden konnten, also etwa hinsichtlich der Äquivalenzbewertung, des Datenschutzes oder der Kooperation in aufsichtsrechtlichen Fragen. Die Nutzung dieses Rahmens kann zu einer Stärkung der künftigen grenzüberschreitenden Leistungserbringung im Finanzsektor beitragen und Vorteile für Verbraucher und Unternehmen sicherstellen.

Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen darüber, wie der Brexit-Deal Ihr Unternehmen beeinflusst und wie wir Sie bei Ihren konkreten Vorbereitungen mit Blick auf die neuesten Entwicklungen unterstützen können.