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BAG-Entscheidung im Fokus: EuGH soll über die Privilegierung der Personalgestellung der öffentlichen Hand entscheiden
Welche Konsequenzen für (öffentliche) Arbeitgeber drohen könnten
Im öffentlichen Dienst gilt die Personalgestellung als verbreitetes Mittel, um Arbeitnehmer dauerhaft Dritten zu überlassen. Dies könnte sich jedoch in Zukunft ändern. Wir verschaffen Ihnen einen Überblick über die Sachlage und die möglichen Konsequenzen.
Bisher gilt der öffentliche Dienst in Bezug auf Arbeitnehmerüberlassungen als privilegiert. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) greift bei einer Verlagerung von Aufgaben eines Arbeitnehmers vom Vertragsarbeitgeber zu einem anderen Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (insbesondere TVöD) eine Bereichsausnahmeregelung. Diese ermöglicht eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD, ohne an wesentliche Bestimmungen des AÜG gebunden zu sein. Allerdings steht die - nicht erst seit heute umstrittene - Regelung nun auf dem Prüfstand beim europäischen Gerichtshof (EuGH).
EuGH soll die Vereinbarkeit der Personalgestellung mit Unionsrecht überprüfen
Das BAG hat zwei Fragen zur Überprüfung an den EuGH weitergegeben. Zum einen soll klargestellt werden, ob die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) fällt. Sollte dies der Fall sein, ist zum anderen zu klären, inwiefern die Bereichsausnahme gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG trotz der Richtlinie zulässig und damit unionsrechtskonform ist.
Dem Anruf des EuGH durch das BAG liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Klägers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft im Wege der Personalgestellung bei einem Drittunternehmen zu erbringen, nachdem sein Aufgabenbereich zu diesem verlagert worden ist. Die Beklagte, deren Trägerin und einzige Gesellschafterin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, betreibt ein Krankenhaus. Bei eben dieser ist der Kläger nunmehr beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TVöD Anwendung. Die Beklagte besitzt keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Kläger beklagt Verstoß gegen die europäische Leiharbeitsrichtlinie
Im Zuge einer Umstrukturierung gründete die Beklagte 2018 eine Service GmbH, um in der Folgezeit verschiedene Bereiche auszugliedern. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sollte im Rahmen eines Betriebsteilübergangs auf die Servicegesellschaft übergehen. Hiergegen widersprach der Kläger gem. § 613a Abs. 6 BGB mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den bisherigen Arbeitsvertragsparteien unverändert bestehen blieb. Die Beklagte reagierte indem Sie den Kläger im Wege der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD nunmehr dauerhaft bei der Service GmbH einsetzt. Das bisherige Arbeitsverhältnis besteht zwischen den bisherigen Arbeitsvertragsparteien unverändert fort. Dem Entleiher, mithin der Service GmbH, obliegt lediglich das fachliche und organisatorische Weisungsrecht.
Der Kläger macht geltend, dass es sich bei der Personalgestellung nach § 4 Abs.
3 TVöD um eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung handelt. Diese verstoße gegen die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit und sei daher rechtswidrig. Die Beklagte führt demgegenüber die Zulässigkeit der Personalgestellung aufgrund der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG an. Vorinstanzlich wurde das Begehren des Klägers abgewiesen.
Konsequenzen einer möglichen Unzulässigkeit
Sollte der EuGH die Personalgestellung tatsächlich für europarechtswidrig halten, könnten sich drastische Auswirkungen im nationalen Recht ergeben. Durch den Wegfall der Privilegierung der öffentlichen Hand würde die Privatisierung öffentlich-rechtlicher Aufgaben enorm erschwert. Unter anderem würden Arbeitgeber fortan Genehmigungen für eine Überlassung benötigen. Eine solche Überlassung unterläge dann der zeitlichen Befristung des AÜG. Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis würden die Sanktionen des AÜG greifen, mithin Ordnungswidrigkeiten gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG und damit einhergehend hohe Bußgelder.
Auch für Arbeitnehmer können sich aufgrund des Wegfalls einer Bereichsausnahme Probleme stellen. Nach § 10 Abs. 1 AÜG würde bei einer (rechtswidrigen) Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis ein fingiertes Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und „Entleiher“ entstehen. In Fällen, in denen also der Arbeitnehmer einem Betriebsübergang, aufgrund einer Privatisierung o.ä, widersprochen hat und in denen dieser im Wege der Personalgestellung einem Dritten zugewiesen werden soll, entsteht das ungewollte Ergebnis einer Entlassung aus dem öffentlichen Dienst.
Die Zulässigkeit einer solchen Bereichsausnahme auch in anderen Tatbeständen ist in der Literatur schon länger umstritten. Die Entscheidung des EuGH könnte somit auch für andere Regelungen wie die Ausnahmeprivilegierung für Konzerne gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG wegweisend sein.
Fazit: Schnelles Handeln könnte notwendig werden
Das Ergebnis des Vorlageverfahrens beim EuGH wird nicht nur von Arbeitsrechtlern, sondern besonders auch von der öffentlichen Hand mit Spannung erwartet. Insbesondere ein Großteil der Krankenhausträgerschaften wäre betroffen. Bereits jetzt ist den Arbeitgebern der öffentlichen Hand, die Dritten Mitarbeiter überlassen, zu raten, sich einen Überblick über die personelle Struktur, Organisation und Nutzung von Servicegesellschaften zu verschaffen und sich vor allem auf eine mögliche Beendigungen von Personalgestellungen einzustellen oder alternative Vorgehensweisen frühzeitig zu prüfen.
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