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Produkt-Governance für Verbraucherdarlehen, Einlagen, Konten und Zahlungsverkehr

Neue organisatorische Anforderungen für „einfache“ Retail-Produkte

Mit aktuellen Rundschreiben (08/2023) verpflichtet die BaFin Kreditinstitute, “einfache” Privatkundenprodukte einer Produkt-Governance zu unterwerfen. Dies gilt ab 1. Mai 2024 für neue und für erheblich veränderte Darlehens-, Einlagen-, Konten- und Zahlungsverkehrsangebote und führt zu erheblichem Dokumentations- und Organisationsaufwand bei der Einführung und bei der laufenden Umsetzung.

a) Überblick

Vorgaben zur Produkt-Governance sind vertraut - aus den MiFID II-Regelungen für Finanzinstrumente. Ab dem 1. Mai 2024 werden neue Produkt-Governance-Regeln auch für Verbraucherdarlehen, Einlagen, Konten und Zahlungsverkehr gelten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat am 30. Oktober 2023 ein Rundschreiben zur Überwachung und Governance von Bankprodukten im Privatkundengeschäft - Rundschreiben 08/2023 - veröffentlicht. Damit übernimmt die Bafin, gestützt auf §§ 25a Abs. 1 KWG, 27 Abs. 1 ZAG, die schon 2015 veröffentlichten EBA-Leitlinie für die Überwachung und Governance von Bankprodukten im Privatkundengeschäft (EBA/GL/2015/18) in die deutsche Aufsichtspraxis.

b) Erfasste Produkte (Verbrauchergeschäft)

Nach dem Rundschreiben der Bafin gelten die Produkt-Governance-Regeln, wenn die relevanten Produkte Verbrauchern angeboten werden. Dies sind alle natürlichen Personen, die die Produkte für private Zwecke erwerben (§ 13 BGB), und auch Existenzgründer beim Handeln für die Aufnahme einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit (§ 513 BGB).

Anzuwenden sind die neuen Regeln auf Verbraucherdarlehen, Sparprodukte sowie Konten und Zahlungsverkehr; im Detail auf die folgenden Produkte:

  • Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge (§ 491 Abs. 3 BGB) mit Ausnahme von Immobiliar-Förderdarlehen (§ 491 Abs. 3 S. 3 BGB),
  • Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge (§ 491 Abs. 2 BGB),
  • Einlagen (§ 2 Abs. 3 S. 1, 2 EinSiG) mit Ausnahme strukturierter Einlagen (§ 2 Abs. 11 WpHG),
  • Zahlungskonten (§ 1 Abs. 17 ZAG),
  • Zahlungsdienste (§ 1 Abs. 1 S. 2 ZAG),
  • Zahlungsinstrumente (§ 1 Abs. 20 ZAG),
  • andere Zahlungsmittel wie z.B. Reisechecks und Bankschecks (gemäß Anhang 1 Nr. 5 der KapitaladäquanzRichtlinie IV)
  • sowie E-Geld (§ 1 Abs. 2 Satz 3 ZAG)

Die Produkt-Governance-Pflichten gelten für Produkte, die nach dem 1.5.2024 neu in den Markt eingeführt werden, und für Produkte, die nach dem 1.5.2024 erheblich verändert werden.

c) Erfasste Finanzdienstleister

Beachtet werden müssen die Vorgaben von Produktherstellern und Produktvertreibern.

Produkthersteller sind alle CRR-Kreditinstitute, Zahlungsinstitute und E-Geld-Institute, die die relevanten Produkte konzipieren, also entwerfen, entwickeln, kombinieren oder erheblich verändern. Produktvertreiber werden als Hersteller angesehen, wenn sie an der Produktkonzeption mitwirken.

Produktvertreiber sind alle Unternehmen, die die erfassten Produkte Verbrauchern anbieten oder an diese verkaufen.

d) Pflichten der Hersteller

Wesentliches Ziel der neuen Produkt-Governance ist der Verbraucherschutz. Für die Bafin sichert Produkt-Governance einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Herstellungs- und Vertriebsprozess von Finanzprodukten, der weniger am Ziel der Gewinnmaximierung des Unternehmens, sondern vor allem am Kundeninteresse orientiert ist.

Zentral für die neuen Regeln ist deshalb, dass die Hersteller für die relevanten Produkte jeweils einen Zielmarkt festlegen müssen und dass das Produkt für die Interessen, Ziele und Eigenschaften des jeweiligen Zielmarkts geeignet erscheinen muss. Produkte, deren Merkmale, Kosten und Risiken den Interessen, Zielen und Eigenschaften des jeweiligen Zielmarkts nicht entsprechen und die keinen Nutzen für diesen Zielmarkt haben, dürfen weder konzipiert noch in den Markt eingeführt werden. Dabei muss der Produkthersteller vor der Markteinführung Produkttests durchführen, die zeigen, wie sich das Produkt in verschiedenen Szenarien einschließlich Stressszenarien auf die Kunden auswirken würde.

Für die Markteinführung darf der Produkthersteller nur solche Vertriebskanäle auswählen, die für den Zielmarkt geeignet sind. Die ausgewählten Produktvertreiber müssen über ausreichende Kenntnis, Kompetenz und Fähigkeit verfügen, das Produkt ordnungsgemäß in den Markt einzuführen und geeignete Informationen mit Erläuterungen zu den Produkteigenschaften und -risiken für die Verbraucher bereitzustellen.

Dazu muss der Hersteller dem Produktvertreiber eine Beschreibung des Produkts zur Verfügung stellen, mit klaren, präzisen und aktuellen Angaben zu den Risiken sowie zum Gesamtpreis für den Verbraucher.

Nach der Markteinführung ist der Hersteller verpflichtet, das Produkt laufend zu überwachen, ob die Interessen, Ziele und Eigenschaften der Verbraucher berücksichtigt werden. Dabei müssen auch die Produktvertreiber überwacht werden, dass das Produkt nur in seinem Zielmarkt verkauft wird und der Produktvertreiber die Regelungen des Herstellers für die Produktüberwachung und Governance einhält. Für die Hersteller erfordert dies die Aufnahme entsprechender Regelungen in die Vertriebsvereinbarungen.

Werden Probleme festgestellt, müssen die Produkthersteller für Abhilfe sorgen. Sie sind verpflichtet, die notwendigen Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um eingetretenen Schaden zu begrenzen und weiteren Schaden zu verhindern.

e) Pflichten der Produktvertreiber

Die neuen Vorgaben zur Produktüberwachung und -Governance nehmen auch die Produktvertreiber in die Pflicht. Sie müssen Regelungen einrichten, umsetzen und überprüfen, die bei der Markteinführung von Produkten sicherstellen, dass Verbraucherinteressen in angemessener Weise entsprochen wird, ein potenzieller Schaden von Verbrauchern vermieden wird und Interessenkonflikte so gering wie möglich gehalten werden. Erforderlich sind insbesondere eine ausreichende Informationen über die Zielmärkte sowie eine Unterrichtung der Verbraucher über die wichtigsten Merkmale des Produkts, seine Risiken und den Gesamtpreis.

f) Organisation und Dokumentation

Die Bafin erwartet eine Einbettung der Produkt-Governance in den Neu-Produkt-Prozess gemäß (oder entsprechend) AT 8.1 MaRisk. Die Beaufsichtigung der Prozesse muss in die üblichen Aufgaben der Risikocontrolling-Funktion und der Compliance-Funktion integriert werden. Auch müssen die Institute ihre Regelungen für die Produktüberwachung und Governance in ihren Rahmen für die Unternehmensführung (Governance) und das Risikomanagement im Sinne (oder entsprechend) der MaRisk einbinden. Die Geschäftsleitung muss diese Regelungen und späteren Überprüfungen genehmigen.

Alle Maßnahmen, die für die Produktüberwachung und Governance ergriffen werden, sind hinreichend zu dokumentieren. Die Dokumentation muss für Prüfungszwecke mindestens fünf Jahre aufbewahrt und der Bafin auf Anforderung zur Verfügung gestellt werden.

g) Inkrafttreten und Vorbereitung

Produkthersteller sowie Produktvertreiber müssen ab dem 1.5.2024 die in dem Rundschreiben genannten Produkt-Governance-Pflichten erfüllen. Auch wenn bei vielen Instituten ein Großteil der neuen Anforderungen an die Überwachung von Darlehens-, Einlagen-, Konto- und Zahlungsprodukten schon in Neu-Produkt-Prozessen berücksichtigt wird, wird eine umfangreiche Anpassung der geschriebenen Regeln und der Prozesse, unter Einbeziehung der Geschäftsleitung, notwendig sein. Auch werden die Dokumentationsanforderungen umfangreicher. Besonderes Augenmerk ist im Übrigen auf die Umsetzung in der Zusammenarbeit mit Vertriebspartnern zu richten, wo auch die Anpassung bestehender Vereinbarungen erforderlich sein wird.

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