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Totgesagte leben länger! Mit dem StaRUG zur neuen deutschen Sanierungskultur
Als Teil des Gesetzespakets zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts und in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen trat am 1. Januar 2021 das Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz („StaRUG“) in Kraft. An das Gesetz hatte der Markt hohe Erwartungen geknüpft: endlich stand nun auch in Deutschland ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zur Verfügung, das mit den Verfahren anderer Staaten wie z.B. dem englischen Scheme of Arrangement und/oder dem Restructuring Plan konkurrieren konnte, so wie es von den Restrukturierungsberatern über viele Jahre gefordert worden war.
Recht schnell setzte jedoch an mancher Stelle eine gewisse Ernüchterung ein. Die prognostizierten Fallzahlen blieben aus, das Wort vom „Ladenhüter“ machte die Runde. Im gesamten Jahr 2021 wurden an den bundesweit 24 Restrukturierungsgerichten gerade einmal 22 Restrukturierungsvorhaben angezeigt. Im Folgejahr wurden nur unwesentlich mehr, nämlich gerade einmal 27 Restrukturierungsvorhaben angezeigt. Für die Sanierungsmoderation wurden 2022 ganze drei statistisch erfasst (2021: sechs), von denen eine mit einem Sanierungsvergleich erfolgreich abgeschlossen werden konnte (2021: drei). Ein Erfolg sieht anders aus und so verwunderte es nicht, dass der INDat Report 20/2022 dem StaRUG ein vernichtendes Zeugnis ausstellte.
Das vorherrschende Bild wird durch die Teilnehmer unserer Restrukturierungsstudie bestätigt: lediglich 6% der Befragten hielten das StaRUG für ein im Markt häufig angewandtes Vorgehen. Eine überwiegende Mehrheit von 65% der Befragten schätzte dies vollkommen anders ein. Zu den Aussichten befragt, zeigten sich immerhin 40 % überzeugt, dass das StaRUG zukünftig vermehrt zur Anwendung kommen würde. Immerhin 28% der von uns Befragten glaubten nicht an eine Zunahme entsprechender Verfahren.
Sämtliche Statistiken sind indes immer mit Vorsicht zu genießen. Sie können z.B. diejenigen Fälle nicht erfassen, in denen schon aufgrund des „Drohpotentials“ eines StaRUG-Vorhabens eine konsensuale Sanierungslösung mit ursprünglich opponierenden Gläubigern gefunden wurde. Im Übrigen benötigt jedes neu eingeführte Verfahren eine gewisse Zeit, bis es sich in der Praxis entfalten kann. Unerwähnt blieben denn auch die in den Jahren 2012/22 kontinuierlich sinkenden Fallzahlen der Insolvenzverfahren, wobei soweit ersichtlich niemand auf den Gedanken kam, das deutsche Insolvenzrecht als gescheitert und/oder Ladenhüter zu bezeichnen.
Tatsächlich hat das StaRUG allen Schwarzsehern und Unkenrufen zum Trotz im laufenden Jahr eine bemerkenswerte Aufholjagd begonnen. Hatte zunächst nur der Hemdenhersteller Eterna ein StaRUG-Vorhaben von Substanz erfolgreich durchlaufen, nutzten in diesem Jahr namhafte Großunternehmen wie die GERRY WEBER International AG sowie der Nürnberger Automobilzulieferer LEONI AG („LEONI“) die Möglichkeiten dieses Verfahrens für ihre Sanierungsvorhaben und setzten damit neue Maßstäbe.
Der Fall LEONI als Blaupause für ein erfolgreiches StaRUG-Verfahren
Die LEONI und ihre Gruppengesellschaften befanden sich seit geraumer Zeit in einer anhaltenden wirtschaftlichen Krise. Im Jahr 2022 lag das bereinigte operative Ergebnis (Ebit) gerade bei elf Millionen Euro (gegenüber 130 Millionen Euro in 2021), der Aktienkurs der LEONI AG brach von knapp 56 Euro im Mai 2018 auf etwas unter drei Euro Anfang des Jahres 2023 ein. Zu hausgemachten Problemen kamen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Halbleiterkrise und Unterbrechung der weltweiten Lieferketten hinzu. Auch der Ukraine-Krieg wirkte sich nachhaltig auf die LEONI-Gruppe aus, die in der Ukraine zwei Produktionsstätten für Kabelbäume betrieb.
In dem Bestreben, die bestehende Schuldenlast von mehr als 1,5 Milliarden Euro zu verringern, verhandelte LEONI u.a. über den Verkauf einzelner Unternehmenssparten. Letzten Endes scheiterten aber die Verkaufsbemühungen. Die Schuldentilgung war zentraler Teil des Refinanzierungskonzepts der LEONI. Nachdem die Tilgung nicht wie geplant erfolgen konnte, wurde zusammen mit den Gläubigerbanken ein neues Konzept zur Restrukturierung der Finanzverbindlichkeiten erarbeitet. Die Umsetzung des ausgearbeiteten Restrukturierungskonzeptes erfolgte über ein StaRUG-Verfahren.
Der Restrukturierungsplan der LEONI sah im Wesentlichen eine Kapitalherabsetzung auf Null sowie eine nachfolgende Barkapitalerhöhung in Höhe eines Betrages von 150 Millionen Euro gegen Ausgabe neuer Aktien der LEONI an einen Investor bei gleichzeitigem Bezugsrechtsausschluss für die Altaktionäre vor. Außerdem sollten Finanzforderungen gegen Einräumung eines Wertaufholungsinstrumentes übernommen und anschließend im Wege eines Sachagio in die LEONI eingebracht werden.
Der Restrukturierungsplan wurde den Planbetroffenen zugestellt und ein gerichtlicher Erörterungs- und Abstimmungstermin für den 31. Mai 2023 anberaumt. In jenem Termin stimmten schließlich die vom Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger in Gruppen über dessen Annahme ab. Die Mehrheit der Gruppen votierte für die Annahme des Restrukturierungplans. Eine Gruppe von Altaktionären der LEONI votierte wegen des Bezugsrechtsausschlusses gegen die Annahme und Umsetzung des Restrukturierungsplans und präferierte stattdessen die Einleitung von Insolvenzverfahren in Form der Eigenverwaltung. Nicht recht nachvollziehbar vertrat diese Gruppe die Auffassung, Insolvenzverfahren (zumindest als Eigenverwaltungsverfahren) würden die Aktionäre besserstellen, insbesondere auch nicht in deren Rechte eingreifen. Nicht zuletzt aufgrund der offenkundigen Substanzlosigkeit der Wunschvorstellungen wurde diese Minderheit im Wege des sogenannten „Cross-Class Cram Downs“ zugunsten der ansonsten die Umsetzung befürwortenden Gruppen- und Gläubigermehrheit überstimmt. Das Restrukturierungsgericht Nürnberg bestätigte den Restrukturierungsplan mit einem in den Entscheidungsgründen robust und stringent gehaltenen Urteil vom 21. Juni 2023. Am 17. Juli 2023 wurden durch das Landgericht Nürnberg-Fürth sämtliche gegen den Planbestätigungsbeschluss eingelegten sofortigen Beschwerden verworfen. Der Restrukturierungsplan der LEONI war danach rechtskräftig.
Ungeachtet der von mancher Seite im Anschluss geäußerten Kritik zeigt der Fall LEONI eindrucksvoll, wie mithilfe des StaRUG eine erfolgreiche Sanierung eines Krisenunternehmens bewerkstelligt werden kann. Insbesondere kann mit der Möglichkeit des gruppenübergreifenden „Cram-Downs“ im vorinsolvenzlichen Verfahren dem mitunter opportunistischen Verhalten einzelner Verfahrensbeteiligter entgegengetreten und eine Sanierungslösung umgesetzt werden, die bei objektiver Betrachtung im Interesse aller Beteiligter liegt.
Weiterhin ungeklärte Detailfragen in Literatur und Rechtsprechung
Dass die Praxisanwendung des StaRUG jedoch keineswegs trivial und vieles noch nicht abschließend geklärt ist, zeigen exemplarisch die jüngsten Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur. So beschreibt das Restrukturierungsgericht München in seiner Entscheidung vom 15. Februar 2023, dass bei reinen Gesellschafterplänen die Zustimmung von lediglich einer Gruppe für die Annahme des Restrukturierungsplans nicht ausreicht und außerdem eine Gruppenbildung, bei der im Ergebnis zwischen sanierungswilligen und sanierungsunwilligen Gesellschaftern unterschieden wird, nicht sachgerecht sein soll. Dies haben andere Restrukturierungsgerichte, aber auch Kommentatoren teilweise anders gesehen.
Nach Auffassung des AG Hamburg bedarf außerdem die Anzeige eines StaRUG-Vorhabens durch einen GmbH-Geschäftsführer der Einholung eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit (Beschluss vom 17. März 2023). Das LG Hamburg hat diesen Beschluss am 20. April 2023 bestätigt und ausgeführt, die wirksame Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens durch den Geschäftsführer einer GmbH setze einen dazu ermächtigenden Gesellschafterbeschluss voraus, sofern der Restrukturierungsplan der Schuldnerin rein gesellschaftliche Maßnahmen vorsieht, die in die alleinige Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fallen und einem Mehrheitserfordernis von 75% unterliegen. Es entspreche nicht dem Sinn und Zweck des StaRUG, diese gesellschaftsrechtlichen Zustimmungserfordernisse zu unterlaufen. Das Restrukturierungsgericht sei außerdem nach dem Schutzzweck des StaRUG befugt, diese Voraussetzungen zu überprüfen.
Diese Entscheidungen sind in der Rechtsliteratur teilweise erheblich kritisiert worden. Tatsächlich wäre bei Zugrundelegung dieser Anforderungen den Geschäftsführern eines Krisenunternehmens ein Bärendienst erwiesen: sie sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG gesetzlich zur Krisenfrüherkennung und zur Einleitung geeigneter Gegenmaßnahmen verpflichtet. Die Anzeige eines StaRUG-Vorhabens wird allgemein als solche im Einzelfall geeignete Gegenmaßnahme angesehen. Wenn die Anzeige des Vorhabens aber zunächst der Einholung eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses bedarf, eröffnet sich hier ein Spannungsfeld: die Gesellschafter werden in der Regel dem Vorhaben nicht zustimmen, müssen sie doch befürchten, ihrer Rechte verlustig zu gehen. Wie soll dann der Geschäftsführer seiner ihm auferlegten Pflicht zur Einleitung von Gegenmaßnahmen nachkommen? Hilfreich wäre insoweit die Nachbesserung durch den Gesetzgeber, idealerweise durch (Wieder)Aufnahme des im Gesetzgebungsverfahren aufgegebenen Shift of Duties, wonach die Unternehmensleitung mit zunehmender Krise der Gesellschaft vermehrt die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen und ihnen, je nach Krisenstadium, ggf. den Vorrang vor den Gesellschafterinteressen einzuräumen hat.
„Die Einführung des StaRUG war der konsequente Schritt des Gesetzgebers zur Belebung der außerinsolvenzlichen Restrukturierungspraxis. Nicht nur das Verfahren selbst, sondern bereits die theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme tragen zur Disziplinierung der typische Akkordstörer bei und helfen, die Erfolgsaussichten für eine Restrukturierung von Unternehmen zu steigern.“
Frank Tschentscher
Fazit
Die Aktualität des StaRUG könnte in der derzeitigen Wirtschaftslage nicht größer sein. Vor dem Hintergrund einer sich abschwächenden Konjunktur, anhaltend hoher Inflation und steigender Zinsen ist insbesondere eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung ein Schlüssel zur Überwindung der angespannten Finanzlage vieler Unternehmen. Dabei stehen Branchen wie die Immobilienwirtschaft und die Automobilindustrie im Fokus, deren Finanzierung vielfach über Darlehen und Konsortialkredite gewährleistet werden.
Gläubigern ist indes anzuraten, sich früh in einen Restrukturierungsprozess einzubringen und diesen aktiv zu begleiten. Als Mitglieder einer Gläubigergruppe mit vergleichbarer Rechtsstellung müssen sie aber ggf. – sofern die Mehrheit der Gläubiger der Gruppe den Restrukturierungsplan annimmt – geplante Kürzungen ihrer Rechte akzeptieren. Mit den Rechten, die ihnen der Minderheitenschutz gewährleistet, sollten sie sich rechtzeitig vertraut machen.
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