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Vergesell­schaftung von Wohnungs­bau­gesellschaften nach herrschender Ansicht verfassungs­widrig

Auch die Grenzen zulässiger Rekommunali­sierungs­bestrebungen werden überschritten

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ fordert die Vergesellschaftung privater Wohnungsbaugesellschaften in Berlin. Die herrschende Rechtsmeinung geht von einer Verfassungswidrigkeit des Vorhabens aus. Auch die Grenzen zulässiger Rekommunalisierungsbestrebungen werden überschritten.

Siehe auch die ausführliche rechtliche Abhandlung der Verfasser: Petersen/Maier, Vergesellschaftung als Rekommunalisierung, ZfIR 2019, S. 737 ff.

Eine Initiative des Berliner Mietenvolksentscheid e.V. fordert derzeit die Vergesellschaftung großer Berliner Wohnungsbaugesellschaften, die sich in privater Hand befinden. Mitte letzten Jahres übergab „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ dem Berliner Senat 77.001 Unterschriften für ein Volksbegehren, das den Erlass des „Gesetzes zur Vergesellschaftung von Grund und Boden“ („Rekommunalisierungsgesetz“) zum Gegenstand hat. Hierdurch wird in der wohnungspolitischen und verfassungsrechtlichen Diskussion – nicht nur in Berlin – die nahezu in Vergessenheit geratene Ermächtigungsgrundlage des Art. 15 GG für eine Vergesellschaftung von Wirtschaftsgütern und Grund und Boden belebt.
 

Vergesellschaftung als eingriffsintensivstes Mittel eines staatlichen Markteingriffs

Die Vergesellschaftung ist das eingriffsintensivste Mittel des Staates im Kontext der sozialen Marktwirtschaft. Üblicherweise verfolgt der Staat bestimmte soziale oder marktwirtschaftliche Ziele durch regulatorische Vorgaben, zu denen auf dem Miet- und Wohnungsmarkt beispielsweise die gesamte Mietgesetzgebung des Bundes und speziell in Berlin auch der sogenannte Mietendeckel (siehe ausführlich dazu diesen Beitrag) gehören. Ergänzt wird diese gesetzgeberische Rahmensetzung durch Maßnahmen, bei denen der Staat als normaler Marktteilnehmer auftritt. Als Beispiel hierfür sei der Rückkauf von knapp 6.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten in den Bezirken Spandau und Reinickendorf durch das Land Berlin.

Demgegenüber ist die Vergesellschaftung ein staatlicher Hoheitsakt, der die freie wirtschaftliche Entscheidung zwangsweise ersetzt. Den betroffenen Unternehmen steht es nicht mehr offen, ihre wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen regulatorischer Vorgaben auszuüben oder freiwillig auf ein ihnen vom Staat „auf Augenhöhe“ unterbreitetes Angebot einzugehen. Vielmehr geht ihr Eigentum unmittelbar durch Gesetz oder durch einen auf Gesetz basierenden Verwaltungsakt auf den Staat über.

Es mag überraschen, dass das Grundgesetz als bundesdeutsche Verfassung überhaupt eine Ermächtigungsgrundlage für eine so einschneidende Maßnahme enthält. Die Vergesellschaftungsmöglichkeit nach Art. 15 GG ist jedoch Ausdruck der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes. Sie verdeutlicht, dass die Organisationsform der (sozialen) Marktwirtschaft grundgesetzlich keinesfalls zwingend vorgegeben ist. Zugleich steht eine Vergesellschaftung jedoch zumindest im Widerspruch zu der wirtschaftspolitischen Ausrichtung, die seit der Adenauer-Zeit als überwiegender gesellschaftlicher Konsens angesehen werden darf. Art. 15 GG wurde deshalb bislang noch nie angewandt.

Verfassungswidrigkeit des Begehrens der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“

Weil bislang ein Anwendungsfall einer Vergesellschaftung nach Art. 15 GG fehlt, wird eine eingehendere rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung erstmalig hinsichtlich „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ geführt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Initiative selbst von “Enteignung” spricht, sich aber inhaltlich auf eine Vergesellschaftung nach Art. 15 GG stützt, um die in Art. 14 Abs. 3 GG ausdrücklich geregelten verfassungsrechtlichen (vermeintlich strengeren) Vorgaben an eine Enteignung zu umgehen.

Im Kontext der Vergesellschaftung hat sich jedoch zwischenzeitlich die weit überwiegende und insofern als herrschend zu bezeichnende Ansicht durchgesetzt, dass ein Vergesellschaftungsgesetz gemäß den Vorstellungen der Beschlussvorlage für das „Rekommunalisierungsgesetz“ der Initiative verfassungswidrig wäre. Im Kern wird diese Rechtsansicht, die auch die Verfasser dieses Beitrags vertreten, mit folgenden Erwägungen begründet:

Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot

Rechtsstaatliches Handeln muss sich aufgrund der ihm innewohnenden grundrechtlichen Relevanz stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren. Der Staat ist insofern gezwungen, auf übermäßige Eingriffe in die Grundrechtssphäre von Bürgerinnen und Bürgern sowie von juristischen Personen zu verzichten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet, entgegen der Ansicht der Initiative, auch im Rahmen einer Vergesellschaftung Anwendung.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordert, dass staatliches Handeln geeignet, als milderes Mittel erforderlich und angemessen sein muss. Während eine Vergesellschaftung gegebenenfalls noch als geeignet angesehen werden kann, um bestimmte soziale Ziele wie Mietstabilität und das Zurverfügungstellung einer gesicherten Wohnraumversorgung insbesondere für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen zu erreichen, mangelt es jedenfalls bereits an der Erforderlichkeit als mildestes Mittel. So sind, wie bereits angeführt, andere wohnungspolitische Maßnahmen denkbar, die private Wohnungsbaugesellschaften weniger grundrechtlich belasten würden als eine Vergesellschaftung. Hier kann an eine Anpassung des Mietrechts oder auch an staatliche Wohnungsrückkäufe gedacht werden. Ein konkretes mietrechtliches Beispiel sind die stets diskutierten und regelmäßig umgesetzten Mietrechtsreformen unter Anpassung des BGB auf Bundesebene (z.B. das zum 01.01.2019 in Kraft getretene Mietrechtsanpassungsgesetz). Dass eine Eigentumsübertragung von privaten Wohnungsbaugesellschaften auf den Staat zudem einen unangemessen schweren Eingriff in die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG mit sich bringt, steht in der rechtswissenschaftlichen Literatur außer Frage.

Als weiterer Aspekt sei auch angeführt, dass eine Vergesellschaftung lediglich Teilbereiche der Berliner Wohnungsthematik betrifft. Zwar könnte argumentiert werden, dass für Wohnungen, die durch die öffentliche Hand bewirtschaftet und vermietet werden, ein stabileres Mietniveau bestehe. Zugleich muss jedoch – auch im Kontext der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung – berücksichtigt werden, dass durch eine Vergesellschaftung keine einzige neue Wohnung geschaffen würde. Die Vergesellschaftungsinitiative zielt somit lediglich auf eine Perpetuierung des derzeitigen Berliner Mietstandes ab, wofür auf der anderen Seite ein gravierender grundrechtlicher Eingriff in Kauf genommen werden soll.

Gleichheitssatz

Nicht nur vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit, sondern auch angesichts des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG erscheint die Forderung der Initiative verfassungswidrig. Als „Schwelle der Vergesellschaftungsreife“ definiert Initiative das Eigentum an 3.000 oder mehr Wohnungen. Private Wohnungsbaugesellschaften, die diese Schwelle erreichen, sollen vergesellschaftet werden.

Rechtlich tragende Argumente für gerade diese Schwelle kann die Initiative nicht vorbringen. Relativierend muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass eine auf ein Volksbegehren gerichtete Initiative nicht gezwungen ist, eine abschließende tragfähige Gesetzesbeschlussvorlage zu präsentieren. Es verbleibt vielmehr dem Gesetzgeber, eine verfassungsmäßige Ausgestaltung zu finden.

Entschädigungsbemessung

Angesichts der finanziellen Situation des Landes Berlin und der ab 2020 vollständig wirksamen Schuldenbremse kann die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ nur dann auf Realisierung hoffen, wenn die Vergesellschaftungsentschädigung „deutlich unter dem Verkehrswert“ verbleibt. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive kann damit jedoch jedenfalls nicht gemeint sein, erheblich unterhalb des Verkehrswerts zu verbleiben. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Entschädigungshöhe bei Enteignungen verdeutlicht, dass Ausgangspunkt zwingend der Verkehrswert sein muss. Möchte der Gesetzgeber hinterdem Verkehrswert zurückbleiben, kann dies nur durch konkret mit dem Enteignung- oder Vergesellschaftungsobjekt verbundene Umstände gerechtfertigt werden. Solche sind hinsichtlich der privaten Berliner Wohnungsbaugesellschaften jedoch nicht ersichtlich. Der Wohnungsbestand soll und wird auch zukünftig lediglich zur Vermietung genutzt werden können.
 

Vergesellschaftung kein adäquates Mittel der Rekommunalisierung

In der politischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion weitgehend unbeachtet blieb bislang der Kontext, in den die Initiative selbst ihr Begehren nach einer Vergesellschaftung privater Wohnungsbaugesellschaften stellt: Die Rekommunalisierung.

Hintergrund ist, dass das Land Berlin 2004 über 65.000 Wohneinheiten unter anderem an die Fondsgesellschaften Whitehall und Cerberus verkaufte, was vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller im Nachhinein als Fehler bezeichnet wurde. Eine Vergesellschaftung würde diesen Vorgang rückgängig machen, die Wohneinheiten also rekommunalisieren.

Die geforderte Vergesellschaftung nach Art. 15 GG kann jedoch kein adäquates Mittel der Rekommunalisierung sein. Auch Rekommunalisierungsbestrebungen haben sich an die verfassungsrechtlichen Grenzen staatlichen Handelns zu halten. Zentrale Themen sind diesbezüglich das Verhältnis von Staat und Bürger, die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte und generelle Fragen der Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Hieraus resultieren weitere Restriktionen, die ebenfalls gegen die Verfassungsmäßigkeit des von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ angestrebten Vergesellschaftungsgesetz sprechen.
 

Keine kompetenzielle Selbstverständlichkeit des Landes Berlin

So bewegt sich Rekommunalisierung stets im Spannungsfeld von staatlicher und privater Aufgabenerfüllung. Grundsätzlich hat der Staat das Recht, öffentliche Aufgaben, die im Interesse der Allgemeinheit liegen und damit einen Gemeinwohlbezug aufweisen, in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Durch den Verkauf von über 65.000 Wohneinheiten im Jahr 2004 hat sich das Land Berlin jedoch entschieden, die Aufgabe der Vermietung dieser Wohnungen nicht mehr eigenverantwortlich auszuführen, sondern in die Hand privater Wohnungsbaugesellschaften zu legen. Durch eine Vergesellschaftung würde diese Entscheidung wieder rückgängig gemacht werden.

Aufgrund des hiermit verbundenen erheblichen Eingriffs in die Berufsfreiheit privater Wohnungsbaugesellschaften bedarf dieser Schritt auch in kompetenzieller Hinsicht einer besonderen Begründung. Eine kompetenzielle Selbstverständlichkeit, dass Berlin nach Belieben die derzeit in privatem Eigentum befindlichen Wohnungsbestände wieder auf sich zurück übertragen und selbst vermieten darf, besteht nicht. Eine stichhaltige Begründung, die den hiermit verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit der privaten Wohnungsbaugesellschaften rechtfertigen würde, ist ebenso wenig ersichtlich.
 

„Sozialisierung von Wertsteigerungen“

Des Weiteren sind Rekommunalisierungsbestrebungen immer auch als wirtschaftliche Entscheidungen des Staates zu sehen. Aus haushaltspolitischen Gründen muss der Staat immer auch die Wertentwicklung der zu rekommunalisierenden Wirtschaftsgüter und Vermögenswerte im Blick behalten.

Die angestrebte Vergesellschaftung könnte vor diesem Hintergrund plakativ als „Sozialisierung von Wertsteigerungen“ gesehen werden. Denn es ist davon auszugehen, dass sich die Werte der von einer Vergesellschaftung betroffenen Wohnungsbestände bei normalem volkswirtschaftlichen Verlauf weiter erhöhen. Aufgrund der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes ist ein solches Vorgehen aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beanstanden. Auch wurden in den 1970er Jahren bereits – parteiübergreifend – ähnliche Überlegungen angestellt, nach denen Wertsteigerungen von Immobilien in Ballungsräumen, die ausschließlich auf Platz- und Wohnraumknappheit zurückzuführen sind, dem Staat und nicht den Eigentümern zugutekommen sollten. Realisiert wurden solche wohnungspolitischen Erwägungen bislang jedoch nicht.

Klar ist aber auch, dass der gegenläufige Weg einer „Privatisierung möglicher Wertverluste“ nicht per staatlichem Hoheitsakt erreicht werden kann. Der erneute Verkauf landeseigener Wohnungsbestände müsste sich nach den dann herrschenden Marktbedingungen richten. Eine „Entgesellschaftung“ sieht das Grundgesetz nicht vor.
 

Fazit

Eine Vergesellschaftung privater Wohnungsbaugesellschaften nach Art. 15 GG gemäß den Vorstellungen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wäre verfassungswidrig und zudem kein adäquates Mittel der Rekommunalisierung. Das Land Berlin sollte deshalb, nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen, eine entschieden ablehnende Haltung gegen die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ einnehmen. Auch gegen andere wohnungspolitische Maßnahmen wie den Berliner Mietendeckel (siehe ausführlich dazu diesen Beitrag) bestehen erhebliche rechtliche Bedenken.

In der Berliner Miet- und Wohnungsmarktpolitik sollte deshalb stärker als bislang auf die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen geachtet werden. Letztlich ist ein allumfassendes Konzept zur Lösung der Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze notwendig.
 

 
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